Paulus-06: Seine Hirtenbriefe

Das Leben des Paulus

 

 

 I.   Hintergründe

Die Pastoralbriefe werden deshalb so genannt, weil sie hauptsächlich Belehrungen und Anweisungen für die Organisation und Leitung der christlichen Gemeinde enthalten. Der erste Timotheus- und der Titusbrief wurden ca. 62-64 n. Chr. abgefasst. Der 2. Timotheusbrief ca. 64/65 n. Chr. Diese Briefe unterscheiden sich von den andern Briefen des Paulus sehr stark, da sie ausschliesslich an Mitarbeiter des Reiches Gottes geschrieben wurden und nicht an ganze Gemeinden. (Der Philemonbrief zwar auch, aber der unterscheidet sich von den Pastoralbriefen dadurch, dass er ein reiner Privatbrief ist und keine Gemeindeanleitungen gibt.)

Um den geschichtlichen Rahmen zu verstehen, in dem die Pastoralbriefe geschrieben wurden, machen wir den Versuch einer Darstellung der letzten Jahre des Apostels Paulus:

1. Nach einer zweijährigen Untersuchungshaft in Rom wurde Paulus am Ende des Sommers 61 n. Chr. oder anfangs 62 n. Chr. in die Freiheit entlassen (kurz nachdem er den Philipperbrief verfasste). Die Briefe an die Philipper und Philemon zeigen, dass er mit einem solchen Verlauf rechnete (Phil 2,24; Phlm 22). Nach seiner Freilassung, konnte ihn nichts mehr zurückhalten von seinem unermüdlichen Missionsgeist.

2. Kurz vor seiner Freilassung sendet er Timotheus voraus nach Philippi und reist später nach (Phil 2,19-23).

3. Er reist mit Titus zuerst nach Kreta (Tit 1,5).

4. Anschliessend besucht er Philemon in Kolossä (Phlm 10-22; Kol 4,9).

5. Dann zieht er nach Milet, wo er Timotheus trifft, der in Philippi war. Paulus ging nicht mehr nach Ephesus (Apg 20,25). Paulus bittet Timotheus in Ephesus zu bleiben (1Tim 1,3).

6. In Makedonien schreibt er den 1. Timotheusbrief in der Hoffnung, bald in die Gegend von Ephesus zu kommen (1Tim 3,14-15; 4,13).

7. Er schreibt aus Makedonien auch dem Titus seine geänderten Reisepläne. Paulus will den Winter in Nikopolis zubringen. Er bittet Titus zu ihm zu kommen (Tit 3,12).

8. Einige Beweisführungen lassen darauf schliessen, dass Paulus später doch noch nach Spanien reisen konnte (Röm 15,24.28).

9. Paulus muss dann nach Kleinasien zurückgekommen sein. In Korinth lässt er den Erastus zurück. Dann geht’s nach Troas weiter, wo er seinen Mantel, Bücher und Papyrusrollen zurücklässt (2Tim 4,13.20). In Milet lässt er Trophimus krank zurück (2Tim 4,20).

10. Unterdessen erlebt Rom die schrecklichen Tage des Juli 64. Der Brand in Rom hatte die erste grosse Christenverfolgung ausgelöst. Für den schrecklichen Brand in Rom werden im Juli 64 die Christen verantwortlich gemacht. Kaiser Nero lässt die Christen verfolgen und auf brutalste Weise töten.

11. Trotzdem reist Paulus ca. 64 nach Rom, wo er erneut inhaftiert wird und nicht mehr heraus kommt (2Tim 1,16-17; 2,9; 4,14-18). Er erkennt, dass sein Lebensende nahe gekommen ist (2 Tim 4,6-8). Einsam im Gefängnis hofft er, dass Timotheus noch vor Wintereinbruch bei ihm eintrifft (2Tim 4,9-11).

12. Trotz der schwierigen Umstände ist Paulus stets zuversichtlich (2Tim. 3,18; 2Kor 4,16 - 5,1; Phil 1,21.23). Von Rom aus schreibt Paulus seinen zweiten Brief an Timotheus. Er ruft ihn dringend zu sich: „Komme bald!“ Der Herbst des Jahres 64 ist vorangeschritten (2Tim 4,21). Es ist uns nirgends gesagt, dass Timotheus den Apostel noch am Leben fand; wir dürfen es aber annehmen. Ungefähr im Frühjahr 65 n. Chr. fand dann die Hinrichtung des Apostels Paulus in Rom statt.

 

 II.  1. Timotheusbrief

Paulus schreibt also aus Mazedonien dem Timotheus, den er in Ephesus zurück-gelassen hat, den ersten Brief (1,3).

Timotheus selbst ist ein interessantes Studienobjekt.

1. Er wurde in Lystra geboren; sein Vater war Grieche, seine Mütter Jüdin.

2. Er wurde im jüdischen Glauben erzogen und von Kindheit an in den Schriften unterrichtet (2Tim 3,15).

3. Nachdem Paulus den Timotheus beschneiden liess, machte er ihn auf seiner zweiten Reise (Apg 16,1-3) zum Ersatzmann, und so blieb Timotheus von da an bei ihm.

4. Aus dem 2. Timotheusbrief (1,6) erfahren wir, dass Paulus ihm die Hände aufgelegt hatte, um ihn für die Verkündigung des Evangeliums einzusetzen.

5. Timotheus nahm an der Christianisierung von Mazedonien und Achaja teil und half Paulus während der drei Jahre der Verkündigung in Ephesus.

6. Er war also mit der Stadt Ephesus und den Bedürfnissen der örtlichen Gemeinde bestens vertraut.

7. Deshalb liess ihn Paulus auch zurück, um gegen die falschen Lehrer aufzutreten, die sich in die Gemeinde einschlichen und versuchten, ihren Einfluss geltend zu machen (Kap. 4,1f).

8. Dabei befiehlt er ihm, mit der Einsetzung von Ältesten und anderen Dienern vorsichtig zu sein: 1Tim 5,22.

9. Nachdem Paulus erneut in Rom gefangengenommen wurde, reiste auch Timotheus zu ihm und erlitt selbst die Gefangenschaft, aus der er später wieder entlassen wurde (Hebr 13,23).

10. Timotheus war ein vertrauenswürdiger, aber kein kraftvoller Charakter.

11. Er macht den Eindruck der Unreife, obwohl er mindestens 30 Jahre alt gewesen sein muss, doch Paulus schreibt ihm: 1Tim 4,12; 2Tim 1,6-7. Timotheus war offensichtlich schüchtern und litt an Magenbeschwerden: 1Tim 5,23.

Nun wollen wir uns mit dem ersten Brief auseinandersetzen:

1. Paulus schreibt den 1 Tim, um dem jungen Prediger Ratschläge und Aufmunterung für die gewaltige Aufgabe zu geben, mit der er ihn betraut hatte.

2. Dabei macht er ihn, trotz Widerstand der Irrlehrer, auf das Hauptziel seiner Verkündigung aufmerksam: 1. Timotheus 1,5-7.

3. Das Hauptthema des 1. Timotheusbriefes ist: Gemeindeordnung.

4. Paulus schreibt den Brief mit einem ganz bestimmten Ziel im Auge, das aus dem folgenden Schlüsselvers entnommen werden kann: 1Tim 3,14-15. Die Gemeinde Gottes ist die Grundfeste der Wahrheit. Nicht die Gemeinde erzeugt die Wahrheit, sondern die Gemeinde ist durch die Wahrheit Gottes erschaffen worden. Die Gemeinde dient der Wahrheit in ähnlicher Weise, wie ein Sockel einer Statue. Durch die Gemeinde soll die Wahrheit allen Menschen in der ganzen Welt offenbar werden. Gottes Wahrheit wird also durch Seine Gemeinde vertreten! Was für ein ehrenvoller Dienst! Was für eine grosse Verantwortung!

5. Die Schlüsselbegriffe sind: gut (καλός), gesund, rein, zuverlässig. Die Lehre und das Gewissen sind auch häufig gebrauchte Worte.

6. Dreimal sagt Paulus: „Zuverlässig ist das Wort ...“ (1,15; 3,1; 4,9)

7. Dieser Brief ist ein wichtiges Handbuch, das hilfreiche Hinweise für die Leiter einer Gemeinde enthält (Überblick kapitelweise):

In Kapitel 1 geht es um die falschen Lehrer, die sich in die Gemeinde Ephesus eingeschlichen hatten und wie reissende Wölfe die Herde nicht schonen, wie Paulus voraussagte (Apg 20,29-30). Zwei leitende Persönlichkeiten hatten sogar im Glauben Schiffbruch erlitten und sind abgefallen: Hymenäus und Alexander (1,20). Andere wollten Gesetzeslehrer sein und hatten keine grosse Ahnung von Gottes Sache (1,7).

In Kapitel 2 geht es um das Gebet in der Gemeinde. Paulus zählt auf, für was alles gebetet werden kann (2,1) und erwähnt besonders auch den römischen Kaiser (Nero), der zu dieser Zeit regierte. Dann erklärt er auch, dass in den Versammlungen die Männer vorbeten sollen, während die Frauen sich still verhalten sollen.

In Kapitel 3 spricht er von den Erfordernissen für den Dienst eines Ältesten (Bischofs) und die eines Diakons.

In Kapitel 4 warnt er vor dem bevorstehenden Abfall und erklärt den unermüdlichen Dienst eines Evangelisten.

In Kapitel 5 gibt er Vorschriften in Bezug auf Witwen und auf Älteste.

In Kapitel 6 gibt er Vorschriften für die gläubigen Sklaven. Er ermahnt aber auch alle die Gläubigen, die reich werden wollen oder ihre Hoffnung zu sehr auf den vergänglichen Besitz setzen, dass sie damit ihren Glauben aufs Spiel setzen (6,10). Schliesslich befiehlt Paulus dem Timotheus vier Dinge:

- Fliehe (die Geldgier)!

- Jage (der Gerechtigkeit usw. nach)!

- Kämpfe (den guten Kampf des Glaubens)!

- Bewahre (Gottes Gebote)!

- Zum Schluss ermahnt Paulus noch einmal mit aller Besorgnis: „O Timotheus, bewahre das anvertraute Gut“ (gemeint ist das Evangelium).

Alle diese Dinge sind heute noch brandaktuell für die örtliche Gemeinde und ihre Leiter.

 

 III.  Titusbrief

Über den Titus wissen wir nicht so viel wie über Timotheus.

1. Er war ein Grieche und Mitarbeiter des Paulus.

2. Im Gegensatz zu Timotheus, blieb er auch nach seiner Bekehrung unbeschnitten (Gal 2,3-5).

3. Nach seiner ersten Gefangenschaft lässt Paulus ihn in Kreta zurück, mit dem Auftrag, das Fehlende noch zu ordnen (1,5).

4. Titus hatte einen guten Einfluss auf die Glieder in Korinth und überbrachte Paulus, der ihn in Mazedonien ängstlich erwartete, gute Nachricht (2Kor 7,5-7.13).

5. Die Aufgabe, die Titus nun in den jungen Gemeinden auf Kreta übernommen hatte, war nicht leicht.

6. Denn der Charakter der Kreter galt als unsittlich und betrügerisch (1,12).

7. Vermutlich wurden die Gemeinden von heimkehrenden Juden vom Pfingstfest in Jerusalem gegründet (Apg 2,11).

8. Den Gemeinden fehlte eine gute Führung durch Älteste, die sie vor den Irrlehrern bewahrte.

9. Diese Umstände bewogen Paulus zum Schreiben, um Titus klare Anweisungen für die Gemeinden auf Kreta zu geben: Titus 1,5 (= Schlüsselstelle).

Im Titusbrief geht es im gleichen Stil weiter wie im 1. Timotheusbrief. Es geht auch um Gemeindeordnungen. Paulus redet zwei Mal vom „zuverlässigen Wort ...“ (1,9; 3,8). Die Schlüsselbegriffe sind auch hier ähnlich: gesund (ὑγιαίνω) in der Lehre und im Glauben, gut (καλός), gute Werke tuend, um das zuverlässige Wort. Das Ziel ist, durch „gesunde und untadelige Reden den Widersacher zu beschämen ...“ (2,8).

In Kapitel 1 zählt Paulus die Erfordernisse für die Leiter auf (d. h. Älteste): Vers 9. Er befiehlt dem Titus alle Gläubigen „mit aller Strenge zu überführen, damit sie gesund werden im Glauben“ (V. 13). Den nichtigen Schwätzern und Verführern aus der Beschneidung aber, soll er den Mund stopfen (V. 10).

In Kapitel 2 erwähnt er die Gnade Gottes, die alt und jung im Glauben zu guten Werken erziehen soll.

In Kapitel 3 lehrt er, wie sich die Gläubigen gegenüber der Obrigkeit und den Irrlehrern verhalten sollen.

Auch aus dem Titusbrief können wir in der Gemeinde von heute viel lernen!

 

 IV.  2. Timotheusbrief

Wie schon gesagt, befindet sich Paulus zurzeit wieder im Gefängnis und er erwartet nicht, dass er je wieder frei gelassen wird: 2Tim 4,6-8.

Paulus macht einen resignierten Eindruck, weil ihn viele im Stich gelassen haben:

1,15: Phygelus und Hermogenes. 4,9: Demas.

4,14: Alexander, der Schmied hat viel Böses zugefügt.

4,16: Kein Beistand vor Gericht.

2. Timotheus befindet sich anscheinend immer noch in Ephesus und Paulus bittet ihn zwei Mal, schnell zu ihm zu kommen (4,9.21).

Auch in diesem Brief warnt Paulus den Timotheus vor den gefährlichen Irrlehrern mit ihren verführerischen Lehren (3,1-9). Er ruft ihn auf zum Festhalten an den gesunden Worten: 2Tim 1,13-14, das Wort treuen Menschen weiter zu verkündigen: 2 Tim 2,2, zur uneingeschränkten Verkündigung des Wortes Gottes: 2Tim 4,1-5.

Er macht auch deutlich, dass es bei Gott nicht genügt, nur am Wettkampf des Glaubens teilzunehmen, ohne die Regeln - d. h. die Gebote Gottes - zu beachten: 2. Timotheus 2,5 (= Schlüsselstelle). An dieser Aussage können wir ermessen, wie genau es Gott nimmt mit unserem Glauben. Es genügt nicht, nur ein bisschen „gläubig“ zu sein! Gott will in unseren Herzen eine Veränderung bewirken! Gott will, dass wir uns von der Welt und ihrer Lust absondern! Gott will nicht, dass seine Nachfolger den Weg der Welt gehen. Gott will vielmehr, dass wir uns von seinem Geist führen lassen und IHM ein ganzes Leben lang treu dienen!

Eins der Schlüsselwörter ist sicher: Treue! (aber auch: reines Gewissen, festhalten, bewahren usw.) Treue in Leiden und Verfolgungen. Treue in der Nachfolge Christi.

 

 Schlussfolgerungen

Diese Treue ist auch von uns gefordert, wenn auch wir einmal den „Siegeskranz der Gerechtigkeit“ erhalten wollen, der ja nicht nur Paulus zusteht, sondern allen, die den Herrn liebgewonnen haben.

Darum, lasst auch uns am Vorbild der gesunden Worte festhalten und uns nicht mit schönen Worten die Ohren kitzeln lassen, sondern lasst uns nach der Wahrheit Verlangen tragen, damit wir gesund sind im Glauben an Jesus Christus und am Ende nicht vergeblich gelaufen sind!