Hesekiel-09: Die sechs Vollstrecker

Die Herrlichkeit Gottes

 

 Einleitung

In Kapitel 8 liess Gott über Juda die Strafe verhängen. In Hesekiels Vision wird nun diese Strafe ausgeführt. Zuerst wendet sich Gott an die Ungehorsamen.

 

 II.   Verse 1-2: Sechs Männer

Gott ruft nach Vergeltung. Er fordert die Vollstrecker für die Stadt auf, ihren Auftrag auszuführen. Am nördlichen Tempeltor erscheinen sechs Männer. Jeder von ihnen hält eine Axt in der Hand, ein Werkzeug, um zu zerstören.

Es wird nicht gesagt, wer diese sechs Männer sind. In der Offenbarung wird auch von Richtern gesprochen (Offb. 8,1-6). Allerdings sind es da sieben Engel, die eine Parallele dazu sein könnten. Mit dem Mann in Leinen gekleidet sind es auch Sieben, die schliesslich die Vollständigkeit darstellen. Die Zahl 7 ist sehr wichtig in der Bibel und vermittelt hier das perfekte und vollständige Gericht Gottes. Es ist anzunehmen, dass diese Männer die babylonischen Soldaten repräsentieren, die bald in die Stadt eindringen werden.

Der Mann in Leinen gekleidet erinnert an andere Überbringer von göttlichen Botschaften (siehe Dan. 10,5; 12,6-7; Offb. 15,6). Auch Priester trugen leinene Kleider (Ex. 28,6.8.42; Lv. 16,4; 1. Sam. 2,18; 22,18). Das Leinen repräsentiert die Reinheit und Heiligkeit Gottes.

Zusätzlich trägt der siebte Mann eine Schreibtafel an seiner Hüfte. Solche Tafeln wurden öfters von Schriftgelehrten getragen. Allerdings wurden gleichzeitig auch zwei kleine Flaschen angehängt: Eine mit Tinte, eine mit Wasser. Dazu gehörten auch ein paar Schreibstifte. Archeologen entdeckten eine grosse Anzahl solcher Schreibwerkzeuge, die von Schriftgelehrten an ihren Gürteln angehängt wurden.

Der Mann mit den Schreibwerkzeugen ist dafür verantwortlich, alle Bewohner der Stadt an der Stirn zu markieren, die über die Sünde Jerusalems trauern. Denn das waren die Gerechten, die vermutlich auch im Buch des Lebens notiert waren. Die Eintragung im Buch des Lebens spielte bei den Israeliten eine zentrale Bedeutung (Ex. 32,33; Ps. 69,28; Jes. 4,3; Phil. 4,3; Offb. 3,5).

Es ist bemerkenswert, dass das Gericht beim bronzenen Altar beginnt. Dort hatten die Leiter Gottes Heiligtum geschändet. Dort reizten sie den Herrn zur Eifersucht.

 

 III. Verse 3-4: Gott ist bereit, den Tempel zu verlassen

Gottes Herrlichkeit schwebte über der Bundeslade mit den zwei Cheruben. Doch jetzt erhebt sie sich von der Bundeslade. Es ist klar, dass Gottes Gegenwart das Allerheiligste verlassen muss, wenn das grosse Gericht über sein Volk kommen wird. Doch bevor die sechs Vollstrecker ihren Auftrag ausführen können, muss der Mann im Leinengewand seine Vorarbeit leisten. Er wird aufgerufen durch die Stadt zu schreiten. Er soll die betreffenden Leute in der Stadt markieren und zwar mit einem Taw-Zeichen (ת‎). Das ist ein Buchstabe im hebräischen Alphabet. Zur damaligen Zeit sah dieser Buchstabe aus wie ein „X“ oder ein „t“. Auch in der Offenbarung (7,2-3) werden die Auserwählten vor dem Gericht mit einem Siegel gekennzeichnet. Es gibt allerdings eine weitere Stelle in der Offenbarung (13,16), in der die bösen Menschen markiert werden. In diesem Fall handelt es sich um Bewohner, die seufzen und klagen über all das Schreckliche, was in der Stadt abgeht.

Was lehrt Jesus in seiner Bergpredigt? „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden“ (Mt. 5,4). Wer sind die Trauernden? - Es sind die, welche trauern über die Sünde! Was empfand Lot über seine Stadtbewohner in Sodom? - Es heisst, dass seine gerechte Seele Tag für Tag unter dem zügellosen Treiben der Gottlosen litt (2. Pet. 2,6).

Später sagt Jesus zu seinen Jüngern: „Amen, ich sage euch: Ihr werdet weinen und klagen, die Welt aber wird sich freuen“ (Joh. 16,20). Die damalige Welt freute sich, als Jesus endlich Ruhe gab. Die Jünger aber trauerten um ihren Herrn. Heute freut sich die Welt, weil sie immer mehr Freiheit bekommt, um ausschweifende Partys zu veranstalten und immer mehr Einfluss gewinnt in der Bevölkerung. Die Gerechten aber leiden und trauern, weil man sie einengt, verstösst und abschiebt. Sie leiden, weil sich kaum jemand interessiert für den Herrn und seine Liebesgemeinschaft.

Jesaja erklärt, dass am Tag der Rache Gottes alle Trauernden getröstet werden (Jes. 61,2). In der Offenbarung verspricht Johannes allen Gläubigen (Offb. 7,17): „... und Gott wird abwischen jede Träne von ihren Augen.“ In diesem Sinn leiden auch die gerechten Bewohner Jerusalems, die nun gekennzeichnet werden sollen.

 

 IV.  Verse 5-6: Die Vollstrecker schlagen zu

Den sechs Männern wird befohlen, dem Schriftgelehrten zu folgen, der die Stadtbewohner markiert. Das heisst, es wird systematisch vorgegangen und so die ganze Stadt durchkämmt. Alle, die an der Stirn nicht markiert sind mit einem Taw-Zeichen, sollen umgebracht werden.

Die Vollstrecker sollen kein Mitleid zeigen und niemanden verschonen. Menschliches Mitleid ist hier falsch am Platz und zum falschen Zeitpunkt. Denn Gottes Gericht ist immer gerecht, auch wenn uns diese Szene überhaupt nicht gefällt. Alte und junge Männer, junge Frauen, Mütter und sogar Kinder sollen kaltblütig umgebracht werden.

Es geht hier nicht um ein Gericht, bei dem nur etliche gezüchtigt werden. Es geht hier um die Todesstrafe, der niemand entrinnen kann. Selbst unschuldige Kinder sollen dabei umkommen. Das ist ein perfektes Beispiel, welches zeigt, dass Unschuldige immer mitleiden, wenn andere sündhafte Entscheidungen treffen. Das ist im Leben auf dieser Welt so! (Bsp. Viele unschuldige Kinder mussten diese Woche ihr Leben lassen, weil ein Busfahrer im Tunnel seinen Bus nicht unter Kontrolle hatte.) Es ist offensichtlich, dass die Kinder, die im Hesekiel beschrieben werden, keine Schuld traf an den Abscheulichkeiten. Trotzdem mussten auch sie leiden.

Den Vollstreckern wird befohlen im Tempel zu beginnen. Dort befanden sich die Hauptverantwortlichen, die den Götzendienst ins Heiligtum hineinbrachten. Die 25 Ältesten (8,16), die zwischen dem Altar und dem damaligen Eingang zum Tempel standen, sollen zuerst vernichtet werden. Sie waren es, die Gott bewusst den Rücken zukehrten. Sie standen mit dem Rücken zum Tempel und den Gesichtern nach Osten.

Die Gerechten sollen in dieser Vision noch nicht umkommen. An andern Stellen jedoch lässt Gott verkünden, dass es auch den Gerechten treffen wird (Hes. 21,3-4). Wenn das Gericht später über Jerusalem hereinbrechen wird, dann werden nicht nur die Ungerechten sterben, sondern auch viele Gerechte. Doch der Herr wird trotzdem ein paar wenige verschonen, nämlich die, welche das Zeichen an der Stirne tragen.  Denn es wird ein kleiner Rest übrigbleiben.

 

 V.  Verse 7-8: Überall liegen Erschlagene

Die nächste Anweisung lautet: „Bringt die Erschlagenen in den Tempel und verunreinigt ihn damit!“ In Hinsicht auf das Gesetz Mose über die Bestimmungen, wie die Reinheit und Heiligkeit des Tempels aufrechterhalten bleibt, ist dieser Befehl geradezu skandalös. Bsp. Um den Tempel nicht zu entweihen wurde die ruchlose Königin Atalja hinausgeführt, um hingerichtet zu werden (2. Kön. 11,15). Obschon der Tempel durch die Götzen bereits entweiht war, wurde sie trotzdem zum Tempel hinausgeführt. Doch jetzt sollen die Leichen sogar in den Tempel hineingebracht werden. Das zeigt auf eindrücklichste Weise wie unwürdig der Tempel des Herrn geworden ist.

Dann gehen die Vollstrecker in die Stadt, metzeln alle nieder und schleifen die Erschlagenen in die Vorhöfe des Tempelbezirks. Hesekiel ist ausser sich und glaubt angesichts des riesigen Gemetzels allein übrig geblieben zu sein. Er fällt zu Boden. Mit Entsetzen ruft er zum Herrn und fragt: „Willst du in deinem Zorn alle Menschen restlos austilgen?“ Der Prophet hat grosses Erbarmen und Mitleid mit ihnen. Er hätte auch sagen können: „Die Menschen kriegen was sie verdient haben.“ Doch Hesekiel ist besorgt, dass sogar der versprochene Rest noch ausgerottet wird. Dann wäre Israel nur noch eine Fussnote in der Geschichte, wie andere Nationen, die es längst nicht mehr gibt. Nur zwei Mal intervenierte Hesekiel für seine Landsleute (9,8; 11,13). (Vergleiche wie Gott auf Jeremias Interventionen antwortete: Jer. 7,16; 14,7-15,4.) Jesus lehrt im Matthäus 7,13-14: „Tretet ein durch das enge Tor! Denn weit ist das Tor und breit der Weg, der ins Verderben führt, und viele sind es, die da hineingehen. Wie eng ist das Tor und wie schmal der Weg, der ins Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden!“ Auch am jüngsten Tag wird nur ein Rest übrigbleiben, der gerettet wird. In der biblischen Geschichte waren es immer nur wenige, die bei Gottes Gerichten davonkamen.

 

 VI. Verse 9-10: Gott antwortet Hesekiel

Es gibt drei Dinge, an die der Herr ihn erinnert:

1. Die Schuld Israels und Judas ist riesengross - d. h. zu gross.

2. Das Land ist verunreinigt durch Blut.

3. Die Stadt ist voll von Unrecht und Gewalt.

Diese Sünden sind schlimm genug, hinzu kommt, dass das Volk den allmächtigen Gott nicht verstehen will. Jesus erklärt später, dass das ewige Leben eines Menschen davon abhängt, dass er den wahren Gott versteht und erkennt (Joh. 17,3): „Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzig wahren Gott, erkennen und den, den du gesandt hast, Jesus Christus.“ Im 2. Thessalonicherbrief (1,8) wird erklärt, dass der Herr einst Vergeltung üben wird an allen, „die Gott nicht kennen und die dem Evangelium Jesu, unseres Herrn, nicht gehorchen.“

In Israel und Juda haben die Menschen den Herrn nicht mehr geschätzt. Sie haben nicht mehr an seine Allgegenwart geglaubt. Sie haben auch an seiner Allwissenheit gezweifelt. Deshalb behaupten sie (V. 9): „Der Herr hat das Land verlassen, der Herr sieht es nicht!“ In Kapitel 11 trifft tatsächlich das ein, was sie glaubten: Gott verlässt sie. In Wahrheit hat Gott sein Volk nie verlassen, doch weil sie nicht mehr an den Herrn glaubten und so lebten als sei er nicht mehr da, zog sich der Herr von ihnen zurück.

Auch wenn Hesekiel beim Herrn um Gnade bittet, so nützt das alles nichts mehr. Der Prophet hatte eine steinharte Stirn (3,8), aber ein weiches Herz. Doch Gott hat schon früher gesagt, dass er diesmal kein Erbarmen mehr kennt. Alles, was sie Böses getan haben, kommt nun auf sie zurück. Es war ihre eigene Entscheidung, denn sie wollten nicht hören.

 

 VII. Vers 11: Auftrag ausgeführt

Schliesslich kommt der Schriftgelehrte im Leinengewand zurück. Er berichtet, dass er den Auftrag vollständig ausgeführt hat.

 

VIII. Schlussfolgerungen zu Kapitel 9

Hesekiel sieht das Ganze in einer göttlichen Vision. Noch ist nichts passiert, aber in Kürze wird alles eintreffen wie geschildert. In jedem Kapitel wird Hesekiel über diese Katastrophe noch detaillierter informiert.

Viel zu oft meinen wir, dass die Entwicklung der Menschheitsgeschichte kaum etwas mit Gott zu tun hat; doch da liegen wir ganz falsch. Gott schreibt mit uns die Menschheitsgeschichte! Wir alle sind ein Teil seiner ganz grossen Geschichte. Der Herr beobachtet uns Schritt für Schritt und prüft unsere Herzen.

So wie es nicht die Idee der Babylonier war, 587 v. Chr. Jerusalem einzunehmen, die Bewohner zu töten oder gefangen zu nehmen und den Tempel zu zerstören, so überlässt Gott auch heute nichts dem Zufall. Er allein bestimmt was auf dieser Welt geschieht. Wir mögen vieles nicht verstehen, aber in Gottes Augen macht alles Sinn.

Darum, lasst uns unserem Gott dienen mit Ehrfurcht und mit Hingabe! Denn unser Gott ist ein lebendiger Gott, der eifersüchtig sein kann, wenn wir IHM nicht den obersten Platz im Leben einräumen. Gott meint es gut mit uns, auch wenn wir manchmal leiden müssen. Er liebt uns und will uns führen, beschützen, trösten und auferbauen. Deshalb brauchen wir keine Angst zu haben vor seinem ganz grossen Gericht, denn: „Der Herr kennt die Seinen“ (2. Tim. 2,19).