Was ist Christentum?
In einer Zeit, in der viele über den moralischen Zerfall in unserer Zeit besorgt sind, kehren einige zu den israelitischen Geboten zurück, indem sie den lehren: „Wir müssen zu den zehn Geboten als Verhaltenskodex zurückkehren!”
Obschon das Motiv für eine solche Anweisung ehrenwert ist, wird damit eine weit verbreitete und falsche Vorstellung über das Wesen der zehn Gebote gelehrt.
Die meisten Menschen sind keine Juden und haben nie unter einem Dekalog gelebt. Die zehn Gebote sind Teil des mosaischen Gesetzes und wurden nur den Israeliten gegeben (Dtn 5,1-5). Das bedeutet keineswegs, dass die alten Heiden von religiöser und moralischer Verantwortung befreit waren. Es bedeutet aber, dass das mosaische Gesetz nicht für die Heiden (= Nicht-Israeliten) bestimmt war. Das Neue Testament erklärt den alten Bund für veraltet (Hebr 8,13). Das gesamte Alte Testament (= alter Bund) wurde durch den neuen Bund ersetzt. Jesus, der das Alte Testament erfüllte, nahm die schweren und unerträglichen Lasten des Gesetzes weg (Mt 23,4), indem er am Kreuz für alle Sünder starb. Denn, niemand war fähig, das Gesetz Mose zu erfüllen (Gal 2,16). Alle haben gesündigt und benötigen dringend Gottes Gnade (Röm 3,23).
Die Forderungen des Evangeliums gehen viel weiter als das Gesetz mit den zehn Geboten. Sie werden nicht negativ formuliert, sondern weisen auf ein ganz anderes Niveau im Glauben hin. Zum Beispiel: Statt nicht zu stehlen, werden Christen aufgerufen zu geben, denn Geben macht seliger als Nehmen (Apg 20,35). Es ist wie beim Stabhochsprung: Das Gesetz stellt 1.50 Meter dar. Das Evangelium ist aber 3.00 Meter. Das heisst: Wer 3 Meter hoch springen kann, der kann auch 1.50 Meter hoch springen. Christus macht uns also durch das Evangelium fähig, höher zu springen als das Gesetz.
Jesus wiederholt alle zehn Gebote im Neuen Testament, ausser das Halten des Sabbats. Wer für die Wiedereinführung der zehn Gebote plädiert, der müsste konsequenterweise auch das Sabbatgebot für verbindlich erklären. Doch der Sabbat ist bloss ein Schatten der himmlischen Ruhe, wie es in Hebräer 4 erklärt wird.
Die christliche Praxis im ersten Jahrhundert
Es ist vergebliche Mühe, nach neutestamentlichen Beweisen dafür zu suchen, dass die Urgemeinde den Sabbat mit apostolischer Zustimmung hielt.
Es versteht sich von selbst, dass die Apostel am Sabbat die Synagogen aufsuchten, um das Evangelium zu verkünden. Dort hielten sich die Juden auf (vgl. Apg 13,14; 17,1-2 usw.), und die Botschaft von Jesus sollte zuerst ihnen übermittelt werden (Röm 1,16).
Es gibt keinen Beweis, dass die Urgemeinde unter göttlicher Führung zusammenkam, um Gott am Sabbat anzubeten. Das Reich Christi wurde zu Pfingsten aufgerichtet (Apg 2,1), das immer auf den „Morgen nach dem Sabbat” fiel (Lev 23,15-16), also auf den Sonntag. Die neutestamentliche Gemeinde versammelte sich am ersten Tag der Woche zum Gottesdienst. Das war ursprünglich der Sonntag (vgl. Apg 2,42).
Auch die Jünger in Troas versammelten sich am „ersten Tag der Woche” (Apg 20,7), um das Brot zu brechen, d. h. sie nahmen gemeinsam das Erinnerungsmahl (= Abendmahl) und beteten an. Der Tag der Anbetung war kein Zufall. Obwohl es Paulus eilig hatte, zu Pfingsten in Jerusalem zu sein (20,16), wartete er sieben Tage lang auf die Gelegenheit, sich mit der Gemeinde zur Anbetung zu versammeln. Denn, die Gläubigen in Korinth kamen „an jedem ersten Tag der Woche” (1Kor 16,2) zur Anbetung zusammen, um sich feierlich an die Auferstehung Jesu Christi zu erinnern (Mt 28,1). Deshalb wurde dieser Tag auch „Tag des Herrn” (κυριακός) genannt (Offb 1,10).
Das Zeugnis der frühen Geschichtsschreiber
Die christlichen Geschichtsschreiber der ersten drei Jahrhunderte bezeugen einheitlich, dass sich die ersten Gläubigen am Sonntag und nicht am Sabbat versammelten, um den Herrn anzubeten:
Die Didache (ca. 120 n. Chr.) erklärt, dass sich Christen „an jedem Tag des Herrn” versammeln und „das Brot brechen” (ANF.VII.381).
Im Barnabasbrief (ca. 120 n. Chr.) heisst es bei der Erörterung von Weihrauch, Neumond und Sabbat, dass der Herr „diese Dinge abgeschafft” hat, um „das neue Gesetz unseres Herrn Jesus Christus” zu achten (ANF.I.138). Später wird dies bekräftigt: „Darum halten wir auch den achten Tag mit Freude, den Tag, an dem Jesus von den Toten auferstanden ist” (I.147).
Justin der Märtyrer (140 n. Chr.) erklärte, dass sich die ersten Christen „an dem Tag, der Sonntag genannt wird”, zum Gottesdienst trafen. Er erklärte weiter, dass dies der Tag war, an dem Christus von den Toten auferstanden ist (I.186).
Klemens von Alexandrien (194 n. Chr.) sprach davon, dass derjenige, der „den Tag des Herrn hält”, „die Auferstehung des Herrn in sich selbst verherrlicht"” (ANF.II.545).
Tertullian (200 n. Chr.) vertrat die Ansicht, dass das „alte Gesetz” vollendet wurde; daher sei die „Einhaltung des Sabbats nachweislich nur vorübergehend” (ANF.III.155). An anderer Stelle sagt er, dass den Christen „Sabbate fremd sind” und dass sie gemeinsam „den Tag des Herrn” feiern (70).
Eusebius (324 n. Chr.), der als „Vater der Kirchengeschichte” bekannt ist, erklärte, dass die Einhaltung des Sabbats „nicht zu den Christen gehört”. Er bestätigte, dass die Christen „die Tage des Herrn ... zum Gedenken an seine Auferstehung feiern” (26,113).
Der renommierte Historiker Philip Schaff kommt zum Schluss: „Die allgemeine und unwidersprochene Sonntagsbeobachtung im zweiten Jahrhundert kann nur dadurch erklärt werden, dass sie ihre Wurzeln in der apostolischen Praxis hatte” (478-479).
Aus diesen ausgewählten Aussagen und Zeugnissen muss jedoch gesagt werden, dass es falsch ist, den Sonntag als „christlichen Sabbat” zu bezeichnen. Denn, der Sonntag ist kein Sabbat, sondern der Tag des Herrn, an dem Gläubige ihren Sieg durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten feiern.
Überlegungen zum alttestamentlichen Sabbat
Neben dem Sabbatgebot am siebten Tag hatten die Israeliten im AT noch viele andere „Sabbate” einzuhalten (vgl. Lev 19,3; 26,2).
Es gab zum Beispiel zusätzliche Sabbattage in Verbindung mit den fünf heiligen Festen (z. B. das Passa, die Erstlingsfrüchte usw. - vgl. Lev 23,7-8; Kap. 21; Kap. 24-25; Kap. 32; Kap. 39). Insgesamt hielten die Juden jedes Jahr neunundfünfzig Sabbate ein.
Darüber hinaus war jedes siebte Jahr ein Sabbatjahr (Lev 25,1-4), und jedes fünfzigste Jahr war ebenfalls ein Sabbatjahr (Lev 25,8-13). Während dieser Zeit blieb das Land unbewirtschaftet und die Schulden mussten erlassen werden (Dtn 15,2).
In einer Zeitspanne von fünfzig Jahren hielt der gläubige Jude – je nach den spezifischen Anforderungen des Gesetzes – insgesamt 5830 Sabbate ein. Dem gegenüber steht, dass der durchschnittliche Sabbateinhalter heute im gleichen Zeitraum – wenn er nur den Samstag hält – bloss auf 2600 Sabbate kommt, d. h. er liegt 3230 Sabbate hinter dem göttlichen Standard zurück.
Der Sabbat war, wie bereits erwähnt, als religiöse Vorschrift auf die Israeliten beschränkt. Er war nicht Teil des patriarchalischen Bundes (vgl. Dtn 5,2-3). Vielmehr handelte es sich um eine verkündete Verordnung am Sinai (Neh 9,13-14) und diente als „Zeichen” zwischen Gott und seinem auserwählten Volk (Ez 20:12). Die Heiden wurden nicht verpflichtet, den Sabbat zu halten.
Zusätzlich wurde den Juden geboten (Ex 35,3): „An keiner eurer Wohnstätten dürft ihr ein Feuer anzünden am Sabbattag.” Das ist ein eindeutiger Beweis, dass der Sabbat nicht als Gebot für alle Völker auf allen Breitengraden der Erde galt, sondern nur den Israeliten im Land Kanaan.
Der Sabbat wurde abgeschafft
Die Heilige Schrift betont ausdrücklich, dass das Gebot, den Sabbat zu halten, nicht für Christen gilt (Kol 2,16-17), sondern nur, zusammen mit anderen Vorschriften für eine Zeit bestimmt war, bis eine bessere Ordnung kommen wird (Hebr 9,10). Diese Aussage in Kolosser 2 hätte nicht gemacht werden können, wenn das Sabbatgesetz noch in Kraft gewesen wäre. Paulus bekräftigt an einer anderen Stelle, dass „das Gesetz mit seinen Geboten” „durch das Kreuz” aufgehoben wurde (Eph 2,14-16).
Hebräer 8,13: „Indem er von einem neuen Bund spricht, hat er den ersten für veraltet erklärt. Was aber veraltet und überlebt ist, das ist dem Verschwinden nahe.”
Die Sabbatbefürworter behaupten jedoch, dass nur die zeremoniellen Elemente (z. B. Tieropfer) des mosaischen Bundes am Kreuz abgeschafft wurden. Die moralischen Elemente des Gesetzes (z. B. die zehn Gebote), bleiben bis zum heutigen Tag bestehen. Diese Argumentation ist willkürlich, künstlich und hält der Prüfung durch die Bibel nicht stand.
Der Neue Bund
Gott versprach, einen neuen Bund zu schliessen. Einen Bund, der nicht mit dem gleichzusetzen ist, den das Volk beim Auszug aus Ägypten erhielt (Jer 31,31ff). Mit dem neuen Bund änderte sich auch das Gesetz (Hebr 7,12).
Das alte Gesetz, das Israel beim Auszug aus der ägyptischen Knechtschaft gegeben wurde, enthielt die zehn Gebote (1Kön 8,9,21). Doch, als der Alte Bund durch den Neuen Bund ersetzt wurde, verschwanden auch die zehn Gebote.
Dem Gesetz gegenüber tot
In Römer 7 argumentiert Paulus, dass die Gläubigen durch den Leib Christi dem Gesetz gegenüber tot sind (V. 4). Römer 7,6 (NGÜ: „Jetzt aber, wo wir dem Gesetz gegenüber gestorben sind, das uns gefangen hielt, unterstehen wir ihm nicht länger. Wir stehen jetzt im Dienst einer neuen Ordnung, der des Geistes, und unterstehen nicht mehr der alten Ordnung, die vom Buchstaben des Gesetzes bestimmt war.”
Geht es hier um ein „Zeremonialgesetz”? Nein! In der Bibel wird nicht unterschieden, zwischen einem moralischen- und einem zeremoniellen Gesetz. Es versteht sich von selbst, dass mit dem Buchstaben des Gesetzes auch die zehn Gebote gemeint sind, denen der Christ nicht verpflichtet ist.
Schlussfolgerung
Es ist unsinnig, das Sabbatgebot einhalten zu wollen, aber die übrigen Gebote (wie z. B. die Opferungen und die Beschneidung) des Alten Testaments ausser Acht zu lassen. Entweder ist immer noch der Alte Bund in Kraft, oder Gott hat für Juden und Heiden auf der ganzen Welt, für alle kommenden Generationen, durch das Blut Jesu einen neuen einheitlichen Bund geschaffen, den Wiedergeborene im Abendmahl, am Tag des Herrn, gemeinsam feiern (1Kor 11,23-26).