Das Leben Jesu
I. „Gekreuzigt soll er werden!“
Das schrien die Juden dem römischen Statthalter Pilatus zu, als sie von ihm gefragt wurden, was er mit Jesus machen sollte (Mt 27,22b.23). Die Juden waren fest davon überzeugt, dass Jesus nicht der Messias war, auf den sie seit Jahrhunderten warteten. Deshalb gaben sie noch einen oben drauf und sprachen (Mt 27,25): „Sein Blut über uns und unsere Kinder!“ Mit anderen Worten nahmen sie die volle Verantwortung samt den Folgen auf sich, die mit der Kreuzigung Christi verbunden waren. Was für eine fatale Fehlentscheidung, die bis heute das jüdische Volk peinigte.
Die Juden warteten sehnsüchtig auf den verheissenen Messias, doch als er endlich da war, lehnten sie ihn ab. Weshalb?
II. Jesus enttäuschte die Juden in ihren Erwartungen
Die Juden erwarteten einen weltlichen König, der sie von der römischen Unterdrückung befreite. Die Propheten sprachen von einem Nachfolger des Königs Davids (2 Sam 7,12). Einmal mehr zeigt sich, wie vorsichtig die prophetische Sprache verstanden und ausgelegt werden sollte. Nachdem Jesus mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen etwa fünftausend Menschen gespeist hatte, wollten die Juden ihn gewaltsam zum König machen, doch Jesus entkam ihnen und zog sich zurück (Joh 6,14-15). Diese falschen Vorstellungen über den kommenden König und das Reich Gottes pflegten auch seine Jünger (Lk 24,21). Selbst nach der Auferstehung Jesu verstanden sie die Herrschaft des kommenden Königreichs nicht (Apg 1,6). Bis heute sind viele der Meinung, Israel müsse sich irdisch sammeln und zu einem starken Reich in der Welt werden. Doch Jesus erklärte damals schon dem Pilatus (Joh 18,36): „Mein Reich ist nicht von dieser Welt ...“
Die römischen Machthaber waren beruhigt und die Juden enttäuscht, als sie sahen, dass Jesus kein irdischer Machthaber sein wollte. Propheten und Könige im AT hätten viel dafür gegeben, um die Zeit des Messias erleben zu dürfen (Lk 10,24). Doch als sie endlich da war, distanzierte sich die privilegierte Generation vom prophezeiten Messias, weil er nicht ihren Erwartungen entsprach. Noch heute haben die meisten Menschen Vorurteile gegenüber Jesus, ohne sein Wort je richtig gelesen und verstanden zu haben, wer er wirklich ist.
III. Jesus verurteilte den Materialismus
Damals wie heute widerstehen Menschen, wenn sie sich in ihrem luxuriösen Lebensstil in Frage gestellt fühlen. Sie wollen das Leben geniessen und möglichst viel davon profitieren. Doch Jesus stellte die provozierende Frage (Mt 16,26): „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, dabei aber Schaden nimmt an seinem Leben?“
Als Jesus den See Galiläas überquerte, begegnete er einem Mann mit einem Dämon (Lk 8,26; Mk 5,1-20). Der Mann wurde von Legionen von Geistern geplagt, trug keine Kleider und hielt sich in Grabhöhlen auf. Er versetzte die Menschen in den umliegenden Dörfern in Angst und Schrecken. Jesus heilte den Mann, so dass die Dämonen in eine grosse Schweinsherde fuhren, die sich den Abhang hinab zu Tode stürzte. Die Menschen waren schockiert und baten Jesus das Gebiet zu verlassen. Zweitausend Schweine waren ein grosser materieller Verlust. Ein von Dämonen geheilter Mensch, der sich kleidete, vernünftig dasass und Jesus zuhörte, war für sie weniger Wert als die toten Schweine.
Jesus ruft uns Menschen auf (Mt 6,19-21): „Sammelt euch nicht Schätze auf Erden, wo Motte und Rost sie zerfressen, wo Diebe einbrechen und stehlen. Sammelt euch vielmehr Schätze im Himmel, wo weder Motte noch Rost sie zerfressen, wo keine Diebe einbrechen und stehlen. Denn wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz.“ Jesus erklärt, dass die Seele wichtiger ist als unser Leib und als alles Materielle, das es auf Erden gibt. Es gibt nichts, mit dem sich ein Mensch sein wahres Leben erwerben kann. Wer das irdische Leben loslässt und sich dem himmlischen zuwendet, der wird wahren Reichtum und ewiges Leben finden (Mt 16,25). Woran hängt unser Herz, am irdischen oder am himmlischen Leben?
IV. Jesus verurteilte die Traditionen der Juden
Jesus verurteilte die religiösen Rituale, Angewohnheiten und menschlichen Traditionen der Pharisäer und Sadduzäer. Sie ehrten Gott nur mit ihren Lippen, doch ihr Herz war fern von IHM (Mk 7,6-9). Gebote, die von Menschen stammen und nicht von Gott, sind verwerflich (Mt 7,21). Eine Religion, die sich auf menschliche Traditionen gründet und nicht auf dem Fundament Christi, ist unannehmbar (1 Kor 3,11). Damals wie heute verfielen religiöse Führer demselben Irrtum.
Die Mehrheit der Menschen wird verloren gehen, weil sie den Herrn nicht suchten, um IHM nach seinem Willen zu dienen. „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand“ (Mt 22,37). „Wenn ihr mich liebt, werdet ihr meine Gebote halten“ (Joh 14,15). „Setzt alles daran, durch die enge Tür einzutreten! Denn viele, sage ich euch, werden es versuchen, und es wird ihnen nicht gelingen“ (Lk 13,24).
Jemand hat einmal gefragt: „Gibt es einen einzigen Fall in der Geschichte, wo die Mehrheit im Recht war?“ Deshalb kann sich eine Demokratie sehr gefährlich und gottlos entwickeln. Die Mehrzahl der Menschen lag meistens im Unrecht, wenn es um die Wahrheit ging.
Jesus ging es weder um die Mehrheit der Menschen, noch um religiöse Rituale oder menschliche Traditionen. „Wie eng ist das Tor und wie schmal der Weg, der ins Leben führt, und wenige sind es, die ihn finden!“ (Mt 7,14). „Denn ein anderes Fundament kann niemand legen als das, welches gelegt ist: Jesus Christus“ (1 Kor 3,11). „Wer euch etwas als Evangelium verkündigt, das dem, was ihr empfangen habt, widerspricht, sei verflucht“ (Gal 1,9).
V. Jesus war zu demütig, um den Juden ein König zu sein
Die Juden suchten nach Macht und Ansehen in der Welt. Sie sehnten sich die Zeiten Davids und Salomos zurück, wo die Nationen vor ihnen Respekt hatten und sich von ihnen beraten liessen. Sie lehnten das geistliche Königtum ab, das Jesus ihnen anbot, denn er war für sie eine Demütigung und eine Schande.
Die Juden lehnten Jesus schon wegen seiner Herkunft ab. Ein Mann aus einer gewöhnlichen Stadt wie Nazaret (Joh 1,46). Geboren in einem Stall von Bethlehem (Lk 2,1-7). Ungläubig fragten sie sich (Mt 13,55): „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns? Heisst seine Mutter nicht Maria, und sind nicht Jakobus, Josef, Simon und Judas seine Brüder?“ Jesus war für sie zu einfach und zu demütig.
Jesus heilte zum Beispiel einen Blindgeborenen, indem er auf die Erde spuckte, mit seinem Speichel einen Brei machte und dem Blinden auf die Augen strich (Joh 9,6-7). Dann sagte er zum Blinden, er solle sich im Teich Schiloach waschen. Nachdem sich der Blinde dort gewaschen hatte, wurde er wieder sehend. Solche Heilungsmethoden waren für die Juden entwürdigend und nicht revolutionär genug. Nachdem Paulus Gottes Mittel und Wege erkannt hatte, lehrte er (1 Kor 1,27-29): „Das Törichte dieser Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zu beschämen, und das Schwache dieser Welt hat Gott erwählt, um das Starke zu beschämen und das Geringe dieser Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts gilt, um zunichte zu machen, was etwas gilt, damit kein Mensch sich rühme vor Gott.“
Im Alten Testament gibt es ein wunderbares Beispiel, das diese Theorie unterstützt. In zweiten Könige 5 ist die Rede von Naaman. Der grosse Heerführer von Syrien bekam Aussatz und ging zum Propheten Elischa, um sich von ihm heilen zu lassen. Elischa gebot ihm durch einen Boten, sich sieben Mal im Jordan untertauchen zu lassen. Das erzürnte Naaman sehr und er wollte das nicht tun. Weshalb nicht? Zuerst nahm er Anstoss daran, dass Elischa ihm nicht einmal entgegen kam als er, der grosse Heeresführer sein Haus aufsuchte. Elischa sandte nur einen Boten zu ihm hinaus (siehe Auslegung in 2Kön 5!). Dann sollte er sich im schmutzigen Jordan baden und dabei noch gesund werden. Das alles klang für Naaman zu einfach und zu demütigend.
Gottes Wege sind heute noch für viele Menschen zu einfach und zu demütigend. Die Meisten suchen nach spektakulären Veranstaltungen, wo tausende von Menschen ergriffen werden durch angeblich grosse Zeichen und Wunder. Viele lassen sich niemals auf das Kleine und Unbedeutende ein, sei es eine Hausgemeinde oder eine kleine Gemeinde, die sich in irgendeinem Gebäude ausserhalb der Stadt eingemietet hat. Viele schämen sich für die unspektakuläre Einfachheit des Evangeliums. Wenn Jesus heute auf Erden leben würde, dann würden sich viele schämen wegen seiner Schlichtheit und Demut (Lk 9,26).
Schlussfolgerungen
Neigen auch wir zur Ehre, Macht und zum grossen Spektakel?
Oder geben wir uns mit kleinen und unspektakulären Dingen zufrieden? Erwarten wir hier auf Erden Ansehen und zählen uns deshalb zur Mehrheit von „Gläubigen“ in einer Stadt?
Jesus verspricht (Lk 12,32): „Fürchte dich nicht, du kleine Herde, denn es hat eurem Vater gefallen, euch das Reich zu geben.“ Es geht nicht um Massenveranstaltungen, Grosskirchen und menschliche Traditionen (Ex 23,2). Es geht um die Einfachheit des Evangeliums zu leben und das findet oft im Kleinen statt. Es geht um den Willen Gottes zu tun, ohne prunkvolle Gebäude. Für viele ist das gebotene „Abendmahl“ des Herrn zu einfach und zu unbedeutend, als dass sie es wöchentlich feiern (1 Kor 11,23-26). Viele betonen den Glauben und die Gnade zu sehr und vergessen dabei, dass der Herr uns durch die Taufe im Wasser retten will wie Noah durch das Wasser gerettet wurde (1 Petr 3,21; Apg 2,38). Viele suchen grosse Zeichen und Wunder mit lauter Musik und Lobpreis, statt die Stille der Andacht, wo sich das demütige und einsichtige Herz dem Herrn neu verspricht. Es geht darum, Gottes einfache Heilswege anzunehmen und Jesu Demut als grösste Tugend nachzuahmen.