Offenbarung-06: Die Öffnung der ersten sechs Siegel

Der Sieg Christi

 

 I.   Einleitung

In der Offenbarung wird von drei grossen Visionen gesprochen:

1.  Die sieben Siegel (= Aufklärung: 6,1-17; 8,1-6).

2.  Die sieben Posaunen (= Aufruf: 8,7-9,21; 11,15-19).

3.  Die sieben Plagen (= Ausführung: 16,1-21).

Diese drei Visionen verlaufen parallel, d. h. sie beziehen sich auf die Gerichtszeit. Diese Gerichtszeit ist in erster Linie mit dem Fall Roms beschäftigt. In zweiter Linie betrifft die Gerichtszeit Ereignisse, die es auf der Welt immer wieder geben wird. Schliesslich können wir bei der Beschreibung von diesen Szenen auch klare Hinweise auf das Ende der Welt erkennen. Die ersten sechs Ereignisse beschreiben jeweils die Zeit vor dem Gerichtstag. Das siebte Ereignis wirft einen Einblick auf den Gerichtstag, der auch auf das Endgericht bezogen werden kann. Die drei grossen Visionen beschreiben unterschiedliche Ereignisse, die die Menschheit betrifft.

Die sieben Siegel erläutern die Streitmächte auf dieser Erde, die sich auf das physische Leben der Menschen auswirken. Die sieben Posaunen erläutern die Streitmächte, die sich auf das geistliche Leben der Menschen auswirken. Die sieben Plagen zeigen die Konsequenzen des Ungehorsams gegen Gott.

Diese drei grossen Visionen geben über Ereignisse Aufschluss, die parallel dargestellt werden, sich aber in der Intensität steigern.

 

 II.   Erstes Siegel: Weisses Pferd (V. 1-2)

Das Lamm (= Christus) nimmt die Buchrolle aus den Händen Gottes und öffnet die Siegel. Die Buchrolle enthält die Ereignisse, die in Kapitel 6 - 11 detaillierter erläutert werden. Jedes geöffnete Siegel spricht von einer Steigerung zukünftiger Schreckensereignisse. Jedes der vier Wesen lädt Johannes ein, hinzusehen auf das, was künftig geschehen wird. Die folgenden vier Pferde sind nicht etwa Werke Satans, sondern beauftragte Gottes. Im AT sandte Gott die Assyrer gegen Israel, das Götzendienst trieb. Später sandte Gott die Babylonier, um Juda zu züchtigen, wegen ihres Ungehorsams. Es war schon immer Gottes Hand, die Aufstieg und Untergang einer Nation bestimmte. Mit den vier Pferden demonstriert Gott erneut seine Allmacht über die ganze Welt und ihre Ereignisse. Christen können getrost sein, auch wenn sie leiden müssen, denn Gott hat nach wie vor die volle Kontrolle über die geschichtlichen Ereignisse in der Welt.

Das weisse Pferd symbolisiert den Eroberungssieg des Reiters. Das Pferd war das Tier, mit dem man in den Krieg zog. Der Ochse für die Landwirtschaft. Der Esel für den Transport. Wenn ein römischer Feldherr nach einem siegreichen Kampf mit seinen Truppen, Gefangenen und seiner Kriegsbeute zurückkehrte, präsentierte er sie auf der Hauptstrasse Roms der ganzen Stadt. Er zog unter dem Triumphbogen hindurch. Seine Kampfwagen wurden von weissen Pferden gezogen, dem Symbol des Sieges. Die Krone des Reiters symbolisiert ebenfalls den Sieg (στέφανος). Der griech. „stephanos“ ist die Siegeskrone. Das griech. „diadema“ ist die Herrschaftskrone.

Der Reiter hat einen Bogen, d. h. eine Angriffswaffe die militärische Macht darstellt (gem. alttestamentlichen Vorstellungen). Gott zerbricht Bogen, zerschlägt Speere und verbrennt Streitwagen im Feuer, keine irdische Kriegsmacht vermag ihm standzuhalten (Ps 46,9). Wenn die Bogen Babels zerbrochen sind, dann ist es vorbei mit ihrer militärischen Überlegenheit (Jer 51,56). Genau gleich (wie Babel) ergeht es dem Grossfürsten von Gog (Ez 39,3.9). In der Ebene Jesreel zerbricht Gott den Bogen Israels, d. h. ihre militärische Streitmacht (Hos 1,5).

Mit dem Reiter auf dem weissen Pferd kann unmöglich Jesus gemeint sein (wie in 19,11). Die Unterschiede sind zu gross!

Vergleiche:

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Es ist unmöglich, dass das Lamm (Christus), nachdem es das erste Siegel geöffnet hat, auf einem weissen Pferd auf Eroberungstour geht.

Der erste Reiter muss mit den andern drei Reitern identifiziert werden. Gemeinsam bilden sie eine zerstörerische Streitmacht, die auf Erden losgelassen wird. Diese Reiter werden oft mit den vier Reitern in Sacharja gleichgestellt (Sach 1,8-10; 6,1-7). Doch es gibt grosse Unterschiede zwischen den Reitern in Sacharja und denen in der Offenbarung. In Sacharja symbolisieren die vier Reiter die vier Himmelsrichtungen. Diese Streitmacht besteht seit die Sünde in die Welt kam (Gen 3) und ist typisch für das Böse auf dieser Welt. Der Krieg bedeutet soziale Bosheit und zerstört die Beziehungen unter den Menschen, die Gott uns ermöglicht hat (= Sünde gegen die Gesellschaft). Hungersnot bedeutet ökologische Bosheit und zerstört Gottes Segen für die Menschen (= Sünde gegen das fruchtbare Land). Krankheiten bedeuten biologische Bosheit und zerstören das kostbare Leben, das Gott uns Menschen geschenkt hat (= Sünde gegen den Leib).

Mit dem Reiter auf dem weissen Pferd ist jede Person, Gruppe oder Herrschaft gemeint, die andern ihre Meinung aufzwingen will. Der Reiter wirkt also auf allen Stufen der Beziehungen (persönlich, national und international). Dabei geht es auch um den Schrecken des Krieges zwischen den Völkern. Nach wie vor herrschen viele Kriege in der Welt, die die Beziehungen unter den Menschen zerstören. Jak 4,1: „Woher kommen denn die heftigen Auseinandersetzungen unter euch, woher die Machtkämpfe? Doch von den Begierden, die in euren Gliedern zum Krieg rüsten!“

 

III. Zweites Siegel: Rotes Pferd (V. 3-4)

Christus öffnet das zweite Siegel und das zweite Wesen fordert Johannes auf hinzusehen, mit den Worten: „Komm!“

Johannes sieht ein rotes Pferd und einen Reiter mit einem Schwert. Diese Erscheinung symbolisiert das Schwert (V. 8b), bei dem es um Aufruhr und Tod geht. Der Reiter auf dem roten Pferd bringt den Schrecken des Krieges (Mt 24,6-7). Das Schwert (μάχαιρα) diente den römischen Legionären als tödliche Waffe. Der Krieg ist nach wie vor überall in der Welt traurige Tatsache, die grosses Elend und Verzweiflung bringt. Es geht um die Profitgier und Machtgier der Völker. Menschen werden angestachelt zum Blutvergiessen und anderen Unrecht zuzufügen (sei es aus politischen, wirtschaftlichen, religiösen oder anderen Gründen). Doch die Geschichte zeigt, dass es im Krieg nur Verlierer gibt!

Für einen Christen gilt es jedoch dem Frieden nachzujagen mit allen und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn schauen wird (Hebr 12,14). Tit 3,3: „Denn auch wir waren einst unverständig, ungehorsam, ohne Ziel und Halt, Begierden und allerlei Gelüsten ausgeliefert; wir lebten in Bosheit und Missgunst, waren verhasst und hassten einander.“ Jesus lehrt (Mt 5,44): „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, so werdet ihr Söhne und Töchter eures Vaters im Himmel ...“

 

IV. Drittes Siegel: Schwarzes Pferd (V. 5-6)

Christus öffnet das dritte Siegel und das dritte Wesen fordert Johannes auf hinzusehen, mit den Worten: „Komm!“

Das schwarze Pferd symbolisiert den Hunger (V. 8b), bei dem es um grosse Not mit schweren Belastungsprüfungen geht. Der erste Reiter trug einen Bogen, der Zweite ein Schwert. Der dritte Reiter hält eine Waage in der Hand. Das heisst, das Essen wird rationiert und somit auf das Nötigste eingeschränkt. Die Mengen, die in Vers 6 angegeben werden deuten darauf hin, dass ein Tageslohn eines Arbeiters gerade ausreicht, um sich selbst zu ernähren. Wer eine Familie zu unterstützen hat, muss auf die Gerste ausweichen, die normalerweise den Tieren verfüttert wird.

Dem Johannes wird noch nicht das Ende der Welt porträtiert, sondern bloss Zeichen und Ereignisse, die dem Ende vorausgehen. Die Zeit des schwarzen Pferdes wird die Menschen nicht in jedem Fall umbringen, aber sie wird ihnen schwer zu schaffen machen. Brot nach Gewicht zu essen, ist im AT immer ein Zeichen für Hungersnot und grossen Mangel (Lev 26,26; Ez 4,16). Doch diesen Mangel an Essen betrifft nur das gewöhnliche Volk, nicht aber die Reichen.

Hungersnot bedeutet ökologische Bedrängnis und zerstört Gottes vielfältigen Segen, der aus dem Boden hervorwächst (= Sünde gegen das fruchtbare Land). Landwirtschaftliche Erträge bestanden in Palästina vorwiegend aus Getreide, Wein und Öl (diese Drei werden stets erwähnt: Dtn 7,13; 11,14; 28,51; Hos 2,7.23 f.). Dabei war es durchaus möglich, dass es reichlich Wein und Öl gab, jedoch kein Getreide. Trotz Hungersnot war z. B. Jakob fähig seinen Söhnen „vom Besten des Landes“ als Geschenk für den Pharao mitzugeben (Gen 43,11 f.).

Diese Situation besteht heute noch in der Welt. Es gäbe genug Nahrung für alle Menschen auf der ganzen Welt. Es ist nur eine Sache der gerechten Verteilung. Tatsache ist aber, dass 70% der Weltbevölkerung am Abend hungrig ins Bett geht. Das schwarze Pferd reitet heute noch und bringt die Menschheit in grosse Bedrängnis und Not.

 

 V.   Viertes Siegel: Fahles Pferd (V. 7-8)

Christus öffnet das vierte Siegel und das vierte Wesen fordert Johannes auf hinzusehen, mit den Worten: „Komm!“

Das fahle Pferd symbolisiert die Pest (V. 8b), bei dem es um Leid und Tod geht. Das Wort „fahl“ ist griechisch chloros (χλωρός) und bedeutet „grün“, die Leichenfarbe. Interessant ist, dass der griechische Begriff thanatos (θάνατος) in Vers 8 zweimal vorkommt. Einmal wird er mit Tod und einmal mit Pest übersetzt. Der vierte Reiter hat die Aufgabe, alle Toten, die bei den ersten drei Reitern umkamen und alle, die noch durch die Pest sterben werden, aufzusammeln. Die Seelen der Verstorbenen befinden sich im Hades (ᾅδης), in der Unterwelt. Diese Bedrängnis wird so heftig sein, dass viele Menschen elend sterben. Auch Christen auf der ganzen Welt sind von diesem Unheil betroffen. Gottes Gnade verhindert aber, dass die ganze Erde zur selben Zeit darunter leidet, deshalb trifft es jeweils einen vierten Teil der Weltbevölkerung. Auch dieses Unheil hat bis zur heutigen Zeit kein bisschen abgenommen!

Das fahle Pferd reitet heute noch und tötet durch das Schwert, durch Hunger, Pest und wilde Tiere: Kriege gibt es heute überall, bei denen tausende und abertausende ums Leben kommen oder auf der Flucht sind. Hungersnöte sind oft eine Folge des Krieges und der falschen Verteilung. Auch Seuchen konnten trotz Impfungen auf unserem Planeten nicht ausgerottet werden. Obschon die wilden Tiere in unseren Breitengraden meistens im Zoo zu finden sind, gibt es heute viel tödlichere Mittel wie die Terroristen, die in allen Teilen der Welt wüten. Angesichts dieser Tatsachen, will da jemand behaupten, dass das fahle Pferd heute nicht mehr reitet?

Krankheiten bedeuten biologische Bosheit und zerstören das kostbare Leben, das Gott uns Menschen geschenkt hat (= Sünde gegen den Leib). Dabei ist zu beachten, dass Gott selbst keine Kriege und Plagen als Strafe über die Menschheit hereinbrechen lässt (Jak 1,13). Es ist die Sünde, die sich gegen den Sünder kehrt und ihm zur Strafe wird (Num 32,23). Gott hat schon seinem Volk im AT Segen oder Fluch vorgelegt und mit denselben Konsequenzen ihres Ungehorsams gedroht (Lev 26,22-26). Die vier Gerichte sind typisch alttestamentliche Sprache (Ez 14,21), die auch Johannes verwendet für die Strafen, die eine Folge der Sünden der Menschen sind. Sie werden in der Geschichte der Menschheit eher intensiviert als aufhören.

Weshalb lässt es Gott zu, dass diese schrecklichen Pferde mit ihren Reitern in der heutigen Zeit immer noch unterwegs sind? Es ist eine Tatsache, dass wir Menschen nicht nur böse sondern auch unvollkommen sind und deshalb viele Fehler machen. Wir leben in einer sündhaften Welt und deshalb müssen wir die Konsequenzen von unseren falschen Entscheidungen und Handlungen tragen. Die erste Sünde brachte den Fluch der Dornen und Disteln, des Schweisses und des Leidens (Gen 3,16-19). Gott möchte nur das Beste für uns, doch der Mensch besitzt einen freien Willen und sucht sein Bestes auf anderem Weg, als nach dem Schöpfer und seinen Plänen zu fragen.

Gott will auch uns Gläubige mit Prüfungen und Leiden testen. Die meisten Menschen wollen nicht geprüft und getestet werden. Sie wollen auf keinen Fall leiden. Jedes Leiden bringt sie eher noch weiter weg von Gott. Doch der Gläubige weiss, dass alles nur zeitlich ist und zum irdischen Leben dazu gehört. Es ist einfach an Gott zu glauben, wenn alles nach unseren Vorstellungen verläuft. Gott liebt uns zwar so wie wir sind, aber er möchte uns nicht so lassen wie wir sind. Deshalb gilt es, sich gegen das Böse zu behaupten und dem Herrn treu zu sein. „Glücklich zu preisen ist der, der standhaft bleibt, wenn sein Glaube auf die Probe gestellt wird. Denn nachdem er sich bewährt hat, wird er als Siegeskranz das ewige Leben erhalten, wie der Herr es denen zugesagt hat, die ihn lieben“ (Jak 1,12).

Gott will, dass wir nach ihm fragen und rufen. Wir Menschen sind klein, verletzbar und von Gottes Gnade und Barmherzigkeit abhängig. Der Herr steht seinen Kindern in allem Leid und in allen Versuchungen bei. Der Herr lässt uns nicht allein; er ist gütig und will nur das Beste für uns. Deshalb sollen wir zuerst nach Gottes Reich und Gerechtigkeit trachten, damit uns alles, was wir zum Leben benötigen gegeben werden kann (Mt 6,33).

 

 VI.  Fünftes Siegel: Geschlachtete Seelen (V. 9-11)

Während die Hufe der vier Pferde immer leiser werden, bricht Christus das fünfte Siegel. Johannes erhält Einblick in die geistige Welt, d. h. den Himmel. Im Hintergrund sieht er das Heiligtum Gottes. Davor steht der grosse Brandopferaltar, von dem Stimmen hervorgehen (Ex 40,29; 2 Tim 4,6). Johannes schaut genauer hin und entdeckt Christen, die verfolgt und umgebracht wurden, weil sie an Gott und seinem Wort festhielten (12,17; 13,15; 20,4).

Die geschlachteten Seelen sind die ersten Christen, die als Märtyrer starben: Sie sind die Opfer der wilden Reiter auf den Pferden. Stephanus wurde gesteinigt (Apg 7,58-60). Johannes und Jakobus wurden geköpft (Mk 6,22-29; Apg 12,1-2). Zur Zeit, in der die Offenbarung geschrieben wurde, wissen wir von Märtyrern wie: Paulus (Phil 2,17; 2Tim 4,6) und seinen Mitarbeitern Lukas und Timotheus. Von den 12 Aposteln (ausser Johannes). Von vielen tausend anderen Christen, die uns nicht bekannt sind, aber in Gottes Augen sehr kostbar. Sie leben noch alle und wissen, dass diese Streitmächte auch die Gläubigen in der Zukunft töten werden (Mt 24,9-10; Joh 16,2). Deshalb strecken sie ihre Arme nach dem Heiligtum Gottes und schreien laut: „Wie lange zögerst du noch Herr, bis du dich für uns rächst?“ Diese Frage darf nicht als Anklage, Klage oder Hass verstanden werden, sondern als Hilfeschrei. Sie ist ein bittender Ruf nach Gottes Gerechtigkeit! In den Psalmen (Ps 6,4; 13,1-3) finden wir ähnliche Aussagen. Auch Jesaja stellte einmal die Frage (Jes 6,11): „Herr, bis wann?“ Diese Frage ist legitim, denn es geht hier nicht um Zweifler, die fragen, ob Gott eingreifen wird, sondern wann.

Mit grossem Respekt rufen die Seelen unter dem Altar nach dem alleinigen Herrscher, dem absolut heiligen und wahrhaften Gott. Offenbar dauert diese Verfolgungszeit schon eine ganz Weile: Die Juden verfolgten Christen in Jerusalem und in den umliegenden Dörfern seit dem Tod des Stephanus (Apg 8,1). Später mussten sich Christen vor Nero und den römischen Truppen fürchten (ca. 64 n. Chr.). In den Tagen Domitians (ca. 90 n. Chr.) nahmen die Verfolgungen zu. Ihre Stimmen verhallen nicht im Leeren, sondern sie werden getröstet. Sie haben bereits ein weisses Siegesgewand empfangen, als Zeichen ihrer Heiligung.

Es wird ihnen gesagt, dass zuerst noch ihre leidenden Mitknechte zur Vollendung kommen müssen. Hier wird uns eine Antwort auf die Frage des Leidens gegeben. Was wissen wir schon in Bezug auf Gottes Pläne? (Jes 55,8-9). Hier erfahren wir, dass Gott auch vielen Mitknechten die Gelegenheit schenkt sich zu bewähren und das himmlische Ziel zu erreichen. Je mehr wir verstehen, was hinter der Szene passiert, desto mehr machen unsere Leiden auf dieser Welt Sinn. Deshalb gilt es in Leiden auf Gott zu vertrauen, denn unser Herrscher weiss, was er tut und weshalb dies oder jenes auf dieser Welt geschieht. Die Antwort Gottes lautet: „Die Verfolgungen und Leiden gehen weiter!“ Es ist wie in einem grausamen Krieg, wo es unvermeidlich ist, dass unschuldige Zivilisten in Mitleidenschaft geraten. Doch es gibt auch eine tröstende Antwort, denn dies alles soll nur eine kurze Zeit dauern. Deshalb sollen sich die Märtyrer gedulden. Es wird Hilfe kommen, denn Gott lässt seiner nicht spotten (Gal 6,7). „Denn unser Gott ist ein verzehrendes Feuer“ (Hebr 12,29). Es wird Hilfe kommen vom Allmächtigen! Schon Mose tröstete das Volk damit, dass Gott das Blut seiner Diener rächen wird (Dtn 32,43). Auch Jesus bestätigte, dass Gott seinen Auserwählten, die zu ihm schreien, Recht verschaffen wird (Lk 18,7).

Es gibt also keinen Grund verunsichert zu sein über Gottes Eingreifen, auch wenn wir noch viel Leid und Ungerechtigkeit auf dieser Erde ertragen müssen. Auch wir dürfen getrost sein, dass Gott „um der Ehre seines Namens willen“ (Ps 79,9) zu seiner bestimmten Zeit eingreifen wird. Deshalb gibt es keinen Grund uns mit eigener Kraft zu rächen (Röm 12,17-21). Die Zeit des Gerichts und der Rache Gottes wird kommen (Dtn 32,43)! Alles hat seine Zeit und Phase! (Koh 3). Besonders in Zeiten der Not und des Zweifels, gilt es Gottes durchdachten Plänen ganz zu vertrauen, denn der Herr liebt uns und wird uns zur rechten Zeit erlösen (1Petr 5,6-7).

 

 VII. Sechstes Siegel: Grosses Erdbeben (V. 12-17)

Nachdem Christus das sechste Siegel geöffnet hat, erschüttert ein heftiges Beben die Erde. Nun kommt typisch alttestamentliche Sprache zum Ausdruck. Es wäre falsch, diese symbolische Sprache buchstäblich zu verstehen.

Das Bild vom Erdbeben wird häufig für biblische Gerichte gebraucht und weist auf soziales und politisches Kaos hin. Hesekiel spricht von Gottes Zorn, der sich gegen Gog richtet, so dass die Erde in Israel beben wird (Ez 38,19-20). Joel spricht von Gottes Stimme, die sich gegen die Feinde seines Volkes erhebt, so dass Himmel und Erde erbeben (Joel 4,16). Amos spricht vom drohenden Gericht über Israel (722 v. Chr.), an dem die Erde bebt, weil es sich von ihrem Gott abwandte (Am 8,8-9). Jesaja spricht vom Gericht Gottes gegen Babel, bei dem Himmel und Erde beben werden (Jes 13,13).

Propheten sprechen vom „Tag des Herrn“, an dem die Sonne schwarz und der Mond blutrot wird, womit sie symbolisch auf ein bevorstehendes Gericht oder ein grosses Ereignis hinweisen. Jesaja spricht vom „Tag des Herrn“ als Gericht über Babel (Jes 13,9-11). Joel spricht vom „Tag des Herrn“ (Joel 3,4) und weist damit auf die Ausgiessung des Heiligen Geistes zu Pfingsten (Apg 2). Jesaja vergleicht den Untergang Babels mit einer Zeit („Tag des Herrn“), in der die Sonne sich verfinstern wird, der Mond und die Sterne nicht mehr scheinen werden (Jes 13,9-10).

Der Hebräer ist sehr bildhaft in seiner Ausdrucksweise und besonders die Propheten beschreiben in poetischer Weise die Ereignisse, die über das Land kommen werden. So spricht Jesaja vom Untergang Edoms, wie von einer Schriftrolle, die sich am Himmel zusammenrollt (Jes 34,4). Hosea beschreibt den Untergang Samarias als eine Zeit, in der die Menschen zu den Bergen rufen, sie sollen über sie fallen (Hos 10,8). Dieselbe Ausdrucksform benutzt auch Jesus, wenn er vom Untergang Jerusalems spricht (Lk 23,30; Mt 24,29). Wie können die Sterne, die um vieles grösser sind als unser irdischer Planet, alle gleichzeitig auf die Erde fallen? Ein einziger Stern würde genügen, um alles Leben auf dieser Erde auszulöschen. Generell kann gesagt werden, dass der Tag des Zornes Gottes gekommen ist. An diesem Tag wird es sein wie in jenen Gerichtstagen, die im AT beschrieben worden sind. Wie der Herr in der Vergangenheit Nationen zu Fall brachte, so ist es, nachdem das sechste Siegel gebrochen wurde.

Dann werden sieben verschiedene Kategorien von Menschengruppen erwähnt (d. h. alle Bevölkerungsschichten), die sich vor dem Gericht Gottes am liebsten verstecken möchten:

- Könige – wie zum Beispiel Kaiser Domitian.

- Grosse – d. h. berühmte oder mächtige Leute, aber keine politischen Herrscher.

- Befehlshaber – die über tausende Soldaten gestellt worden sind.

- Reiche – sind die mit viel Geld gemeint.

- Mächtige – die viel Einfluss in der Welt besitzen (auch Sportler, Sänger, Künstler).

- Sklaven – die unterste Schicht auf der sozialen Leiter, d. h. heute normale Bürger.

- Freie – die früher Sklaven waren und nun frei sind.

Sie alle fürchten sich sehr am grossen Tag des Zorns. An diesem Tag wird Gott keine Unterschiede zwischen den Menschen machen (Apg 10,34; Röm 2,9-11). Sich verbergen vor Furcht ist eine typische Reaktion von Menschen, die in Schuld stehen: Adam und Eva versteckten sich vor Gott, nachdem sie von der verbotenen Frucht gegessen hatten (Gen 3,8). Der Prophet Jona wollte vor dem Herrn fliehen, weil er nicht bereit war den Missionsbefehl Gottes auszuführen (Jona 1,3). Jeder Mensch muss erkennen, dass es unmöglich ist, vor Gottes Angesicht zu fliehen (Ps 139,7-12). Alles liegt aufgedeckt vor Gott und ist ungeschützt vor seinen Augen, dem wir Rechenschaft abgeben müssen (Hebr 4,13).

An diesem grossen Tag werden sich Menschen sogar vor dem Zorn des Lammes fürchten. Vor einem Lamm fürchten? Ja, denn damit wird die riesige Sünde ausgedrückt, die sogar ein Lamm zornig macht. Gott wird zwar lange genug warten bis zum grossen Gericht, aber wenn der Tag endlich gekommen ist, dann wird der Herr ein verzehrendes Feuer sein (Hebr 12,29). Das ist auch eine Antwort für alle Märtyrer, die mit lauter Stimme rufen, „wie lange noch ...“ (V. 10).

Die Frage ist nur „wann“? Geht es hier um den Untergang des römischen Reichs, den Untergang Jerusalems, oder um den Weltuntergang? Kommentatoren argumentieren gleich stark auf allen Ebenen. Es wäre ein Fehler, diese Ereignisse allein auf das Weltende zu verstehen. Es bleibt jedem selbst überlassen, auf wann dieses schreckliche Untergangsszenario beschrieben wird. Eigentlich spielt diese Frage am Ende keine grosse Rolle mehr. Die Betonung liegt hier nicht auf dem „wann“, sondern auf dem Zorn Gottes, der kommen wird. Es gab einen Tag des Zorns für die Assyrer, Babylonier und Römer. Der endgültige „Tag des Zorns“ steht allen ungehorsamen Seelen in dieser Welt und unter der Welt bevor (Röm 2,5; Eph 5,6). Die Menschheitsgeschichte ist kein endloser Kreis, der sich ohne besondere Bedeutung immer wiederholt (wie im Hinduismus gelehrt wird). Vielmehr ist die Geschichte eine Reise mit einem klaren Ziel. Jeden Tag sind wir einen Schritt näher am Weltende (Hebr 10,25). Gott hat nur ein kleines Zeitfenster geöffnet, um Leben auf dieser Erde zu ermöglichen, auch wenn das Universum Spuren von Millionen Jahren aufweist. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns in der heutigen Zeit vorbereiten auf den Gerichtstag, damit wir bereit sind vor den mächtigen Thron Gottes zu treten (2Kor 5,9-10).

Die Frage ist auch „wer“? Während die Märtyrer schreien: „Wie lange noch Herrscher?“ (V. 10), schreien die Ungläubigen: „Wer kann da bestehen?“ (V. 17). Diese Frage stellten schon die Propheten: Nahum schrieb (Nah 1,6): „Vor seiner Wut, wer könnte da bestehen? Und wer könnte es wagen, sich zu erheben bei seinem glühenden Zorn?“ Maleachi fragte (Mal 3,2): „Wer aber könnte den Tag ertragen, da er kommt? Und wer könnte bestehen bei seinem Erscheinen? Denn er ist wie das Feuer eines Schmelzers und wie das Laugensalz der Walker.“ Esra beantwortete die Frage (Esra 9,15): „Herr, Gott Israels, du bist gerecht! Wir aber sind als Gerettete übrig geblieben, wie es heute der Fall ist. Sieh uns vor dir in unserer Schuld! Ja, darum ist es nicht möglich, vor dir zu bestehen.“ Niemand kann vor dem Herrn bestehen, der nicht seine Gnade und Barmherzigkeit durch das Blut Jesu Christi empfangen hat! (1Joh 1,7-9; Eph 2,8-9). Es ist interessant festzustellen, dass Leiden uns von Gottes Gegenwart nicht trennen können, aber die Sünde schon.

- Die Sünde wird dich weiter wegziehen als du gehen magst.

- Die Sünde wird dich länger in Besitz nehmen als du bleiben willst.

- Die Sünde wird dich mehr kosten, als du bereit bist zu zahlen.

- Die Sünde wird dir mehr Schaden zufügen, als du dir vorstellen kannst.

Der Kontrast beider Lager ist sehr gross: Die Märtyrer rufen: „Räche uns!“ Die Unvorbereiteten rufen: „Berge, deckt uns zu!“

 

 VIII. Schlussfolgerungen

Die verschiedenartigen Pferde mit ihren Reitern symbolisieren auf schreckliche Art und Weise, dass Christen verschiedenartige Kämpfe im Leben zu bestehen haben. Vorsicht! Die sieben Siegel sprechen nicht von Ereignissen in der Weltgeschichte, die von Menschen bestimmt wurden. Vielmehr geht es ganz allgemein um Gerichte, die Gott immer wieder geschehen lässt in der Menschheitsgeschichte! Die irdische Zukunft wird immer Tragödien und Leiden mit sich bringen, selbst für Gläubige des ersten und zweiten Jahrhunderts, als auch für nachfolgende Generationen. Es handelt sich bei den sieben Siegeln um weltweite Ereignisse, die während des ganzen christlichen Zeitalters auf Erden immer wieder auftreten können. Selig ist, wer die Prüfungen und Leiden besteht, denn wer sich bewährt hat, der wird die Krone des Lebens empfangen, die Gott allen verheissen hat, die ihn lieben (Jak 1,12).

Kommentatoren sprechen gerne von den apokalyptischen Reitern in der Endzeit, dazu werden die Schlacht von Harmagedon und die tausend Jahre ins Spiel gebracht. Der Begriff „Apokalypse“ wird heute populistisch für grosse und totale Verwüstung, d. h. für den Weltuntergang missbraucht. Der griechische Begriff Apokalypsis bedeutet Enthüllung, Erleuchtung, Offenbarung. Er taucht im NT (ca. 18x) in ganz anderen Zusammenhängen auf. Wir müssen vorsichtig sein, dass wir dem Buch keine Gewalt antun und etwas hineinlesen, was wir uns vorstellen oder wünschen. In Kapitel 6 wird kein Wort gesagt von Apokalyptik, Antichrist, Endzeit, Harmagedon oder tausend Jahren.

Im folgenden Kapitel 7 wird die Frage (aus 6,17) beantwortet: „Wer kann da bestehen?“ Alle, die aus den Bedrängnissen kommen und ihre Kleider gereinigt haben mit dem Blut Christi, werden vor dem Thron Gottes mit Christus, den Ältesten und allen himmlischen Wesen vereint (7,14-15). Wer dem Herrn treu dient bis zum Tag des Zorngerichts, der wird bestehen und muss sich nicht verstecken.