Die Offenbarung
I. Einleitung
Der sogenannte Antichrist, hat auf viele Menschen eine besondere Anziehungskraft. Fakt ist aber, dass dieser Begriff in der Offenbarung kein einziges Mal vorkommt. Nur im 1 & 2 Johannesbrief tritt dieser Begriff auf und bezeichnet alle Irrlehrer, die Jesus Christus als Gottheit ablehnen. Trotzdem erscheint er in vielen Kommentaren der Offenbarung.
Weil viele Kommentatoren dem angeblichen Antichristen, oder Widerchrist ab Kapitel 11,7 eine besondere Bedeutung zukommen lassen, ist es notwendig, an dieser Stelle ein paar Erklärungen zu geben.
II. Menschliche Spekulationen
Der Begriff „Antichrist“ kommt nur in den Briefen des Johannes vor (1Joh 2,18.22; 4,3; 2Joh 7). Johannes meinte damit keine spezielle Person, sondern alle, die die Gottheit Jesu ablehnten. Trotzdem werden ungeheuerliche Theorien über ein übermenschliches Fabelwesen aufgestellt, das Antichrist genannt wird. Dieser Antichrist soll angeblich, kurz vor der zweiten Wiederkunft Christi, auftreten. Das behaupten jedenfalls viele evangelikale Kommentatoren. Prämillenialisten behaupten, dass der Antichrist, während der siebenjährigen Trübsal auf Erden, auftreten werde. Es gibt sogar Kommentatoren, die gehen so weit, dass sie den Antichrist bereits irgendwo in Europa gesehen haben wollen.
In vielen Kreisen ist man der festen Überzeugung, dass der Antichrist jetzt lebe und seine diabolischen Kräfte bereits ausübe. Viele Artikel über diesen Antichrist beginnen mit heidnischen Mythen (Märchen) und jüdischen (menschlichen) Traditionen, ohne die Tatsache zu berücksichtigen, dass dieser Begriff in der Offenbarung des Johannes kein einziges Mal vorkommt. Diese Theorien werden mit beliebigen Bibelstellen ergänzt und sind rein menschliche Hypothesen und Spekulationen.
III. Der Gesetzesfeind (2 Thess 2,3-10)
Paulus will den Thessalonichern zu verstehen geben, dass die Wiederkunft Christi noch nicht stattgefunden hat, wie einige Zeitgenossen behaupteten und damit die Gläubigen verunsicherten (2Thess 2,1-2). Zuerst müsse der Abfall oder „Widerruf“ kommen (wörtlich die Apostasie = ἀποστασία). Was meint Paulus mit diesem Abfall oder dieser Apostasie?
Hier gebraucht Paulus eine Ausdrucksweise der jüdischen Apokalyptik, die von einer Zeitperiode des Abfalls berichtet, bevor der Messias komme, d. h. geboren werde (Hen 5,4; 93,9). Diese bekannten Vorstellungen des Abfalls von der Parusie (Ankunft, Ankommen = παρουσία) überträgt er nun auf die Wiederkunft Christi. Das heisst; vor Christi Wiederkunft kommt zuerst – der Sohn des Verderbens (ἀπώλεια), der Widersacher (ἀντίκειμαι), der Gesetzesfeind (ἄνομος).
Der inspirierte Apostel nimmt Bezug auf das, was schon Jesus ankündigte (Mt 24), nämlich die Zerstörung Jerusalems, im Jahre 70 n. Chr., durch die Römer. Die römischen Kaiser mit ihrem gottlosen Treiben, „mit trügerischen Zeichen und Wundern“ (2Thess 2,9), der Kaiseranbetung (2Thess 2,4) und Angriffen auf das Christentum, waren schon vor dem Jahre 70 n. Chr. am Werk (2Thess 2,7).
Paulus schreibt anfangs der 50er Jahre von den zunehmenden listigen Anschlägen und Verführungen der damaligen Weltmacht Rom, die mit dem Gericht Christi rechnen muss, wie Johannes später durch seine Offenbarung bestätigt. Der Einfluss Roms auf die damalige Welt, die Christenverfolgungen und die Gottlosigkeit, der gesamten Menschheitsgeschichte bis zur heutigen Zeit, haben zu grossem Glaubensabfall geführt, der schliesslich in der Wiederkunft Christi gipfeln wird (2Thess 2,8). Der Gesetzesfeind darf nicht mit dem Antichrist des Johannes gleichgestellt werden! Mit dem Gesetzesfeind ist keine Einzelperson gemeint, sondern generell alle gottlosen Versuche der Menschheit, die „am Unrecht Gefallen gefunden haben“ (2Thess 2,12).
IV. Der Antichrist (1Joh 2,18.22; 4,3; 2Joh 7)
Der griechische Begriff in den Johannesbriefen, setzt sich zusammen aus: Anti (gegen), Christos (Gesalbter).
Antichristos bedeutet, sich „gegen Christus“ zu stellen. Johannes spricht nicht von einem einzigen Gegenspieler Christi, der zweitausend Jahre in der Zukunft auftreten wird. Um allen Gerüchten vorzubeugen, spricht er einerseits davon, dass er bereits aufgetreten ist (4,3), andererseits, dass er in der Mehrzahl aufgetreten ist (2,18). In Vers 22 desselben Kapitels erklärt er, wer mit diesem Antichrist gemeint ist: „Wer ist ein Lügner, wenn nicht der, der leugnet, dass Jesus der Christus ist? Das ist der Antichrist; wer den Vater und den Sohn leugnet.“
Auch in seinem zweiten Brief, warnt Johannes vor dem Verführer und Antichrist (2Joh 7). Der Antichrist hat im Johannesbrief mit dem Gnostizismus zu tun. Nebst anderen falschen Lehren, lehrten die Gnostiker, dass Jesus wie ein gewöhnlicher Mensch geboren wurde und als gewöhnlicher Mensch starb. Bei der Taufe kam der göttliche Geist auf Christus. Kurz vor seinem Kreuzestod, verliess ihn der göttliche Geist. Der Christus war göttlich, Jesus aber nicht. Die Schlussfolgerung des Johannes lautet: Jeder, der nicht an Jesus Christus, der fleischgewordenen Gottheit, glaubt, ist der Antichrist.
Solche Antichristen (= Irrlehrer) existierten damals bis heute in der Welt!
V. Das Tier aus dem Abgrund (Offb 11,7)
Mit blühender Phantasie identifizieren viele das Tier aus dem Abgrund als „Antichrist“, der ketzerisch und mit aller Macht gegen das Christentum auftritt. Die folgenden Begriffe, aus den verschiedenen Briefen, dürfen nicht zu einem einzigen Begriff zusammengefügt werden: Antichrist (kommt nur in den Johannesbriefen vor!). Gesetzesfeind (kommt nur bei Paulus im 2. Thessalonicher vor!) Das Tier aus dem Abgrund (kommt nur in der Offenbarung vor!). Das Ziel des Tieres (= Meeresungeheuer, 13,1) in der Offenbarung, ist nicht in erster Linie, Christus in Verruf zu bringen, sondern die Nachfolger Christi zu töten.
Das Tier aus dem Abgrund ist die römische Regierung, oder der römische Kaiser. Die Tatsache, dass es aus dem Abgrund hervorkommt, weist auf seine Verbindung zu den bösen Mächten hin. Mit der Tötung der beiden Zeugen, hinterlässt es den Eindruck, die Gemeinde der Gläubigen sei besiegt und zerstört. Die Leichen der Zeugen bestätigen Rom, dass das Christentum besiegt sei und nie wieder aufsteigen werde. In den Kapiteln 12 bis 22 erfahren wir mehr über dieses Biest (Tier).
VI. Schlussfolgerungen
Die folgenden Begriffe aus den verschiedenen Briefen, dürfen nicht zu einem einzigen Begriff zusammengefügt werden: Antichrist (kommt nur in den Johannesbriefen vor!). Gesetzesfeind (kommt nur bei Paulus im 2. Thessalonicher vor!) Das Tier aus dem Abgrund (kommt nur in der Offenbarung vor!).
Die willkürliche Auslegung einiger Kommentatoren ist ein typisches Beispiel, für „Eisegesis“ (Hineininterpretierung) und nicht „Exegesis“ (Textauslegung). Damit tun sie der Bibel Gewalt an! Exegesis bezeichnet den wissenschaftlichen Vorgang, bei der Auslegung eines biblischen Textes. Es ist zu einfach, nach über 2 000 Jahren, die Bibel als ein einziges Buch zu betrachten und alle Begriffe in einem selbst ausgesuchten Szenario zusammen zu fassen. Geben wir doch jedem Autor in der Bibel die Möglichkeit, seine Gedanken auszudrücken und in seinem Zusammenhang selbst zu erklären!