Offenbarung-13c: Der abscheuliche Nero

Die Offenbarung

 

 

Nero war ein beispielloses Ungeheuer. Als er im Jahre 68 n. Chr. starb, tanzten die Menschen vor Freude auf den Strassen. Doch dann bildete sich die Legende, er sei nicht wirklich tot, sondern sei nur in das ferne Parthien gereist. Von dort aus werde er als Anführer der gefürchteten Partherhorden zurückkehren und erneut seine Macht ausüben. Diesem Glauben lag die Vorstellung zugrunde, dass Nero in seiner Ruchlosigkeit irgendwie unsterblich sei. Selbst die Römer kamen von diesem Gedanken nicht los; noch im Jahre 80 tauchte in Parthien ein Thronprätendent auf, der behauptete, er sei Nero, und die Parther fast dazu überreden konnte, unter seiner Führung nach Europa vorzudringen.

Niemand trat bei seiner Geburt ein schlimmeres Erbe an als Nero, dessen Vater Gnaeus Domitius Ahenobarbus, ein berüchtigter Mann, war. Nur weil ein Freigelassener seiner Aufforderung, mehr Wein zu trinken, nicht nachkam, liess er ihn töten. Auf der Via Appia überfuhr er mit seinem Wagen absichtlich ein Kind. Bei einem Streit auf dem Forum quetschte er einem römischen Edelmann ein Auge aus. Schliesslich starb er an Wassersucht, die durch sein ausschweifendes Leben verursacht wurde.

Neros Mutter Agrippina zählt zu den entsetzlichsten Frauengestalten der Geschichte. Als Ahenobarbus erfuhr, dass er mit Agrippina ein Kind haben würde, meinte er voller Zynismus, dabei könne nur ein abnormes Ungeheuer herauskommen. Als Nero drei Jahre alt war, wurde Agrippina vom Kaiser Caligula verbannt und Nero wurde der Fürsorge seiner Tante Lepida anvertraut, die seine Erziehung zwei elenden Sklaven, einem Barbier und einem Tänzer, überliess. Unter Kaiser Claudius kehrte Agrippina aus der Verbannung zurück mit dem ehrgeizigen Ziel, ihren Sohn Nero zum Kaiser zu machen. Als Wahrsager und Orakel sie vor drohendem Unglück warnten, wenn Nero tatsächlich Kaiser würde, erwiderte sie: „Meinetwegen mag er mich umbringen. Hauptsache, er regiert.“ Agrippina machte sich mit allen Mitteln ihrer leidenschaftlichen, intriganten Natur ans Werk. Obwohl Kaiser Claudius bereits zwei Kinder hatte, quälte sie ihn solange, bis er Nero mit elf Jahren adoptierte. Sie selbst brachte Claudius so weit, dass er sie heiratete, obwohl er ihr Onkel war. Dann berief sie den Philosophen Seneca und den Prätorianer Afranius Burrus als Erzieher Neros. Schliesslich wurde der Thronerbe Britannicus immer mehr in den Hintergrund gedrängt, während Nero immer mehr im Brennpunkt der Öffentlichkeit stand.

Als Claudius nach fünfjähriger Ehe mit Agrippina immer noch am Leben war, liess sie ihm giftige Pilze vorsetzen. Da das Gift nur langsam zu wirken begann, beschleunigte sie seinen Tod, während er im Koma lag, indem sie ihm eine vergiftete Feder in den Hals steckte. Kaum war Claudius tot, da wurde Nero auch schon zum Kaiser ausgerufen, wobei das Militär bestochen wurde, ihn zu unterstützen.

Am Anfang seiner Regierung entwickelte sich die merkwürdige Situation, dass Rom niemals besser regiert wurde. Während Nero sich eifrig als Maler, Bildhauer, Musiker und Schauspieler betätigte und sich als Kunstliebhaber erwies, regierten der weise Seneca und der aufrechte Burrus das Weltreich. Dann aber vollzog sich ein Umschwung. Aus dem kultivierten Kunstliebhaber Nero wurde ein passionierter Verbrecher. Nachts zog er mit anderen reichen Jünglingen durch die Strassen der Stadt und fiel über jeden her, der ihm begegnete. Doch es sollte noch schlimmer kommen. Er ermordete seinen möglichen Rivalen Britannicus. Kein junger Mann und keine junge Frau war vor seiner Begierde sicher. Als Homosexueller trieb er es besonders schlimm. Nachdem er einen Jüngling namens Sporus in einer Prunkhochzeit verheiratet hatte, bei der er in einen Brautwagen durch die Strassen Roms fuhr, nahm er den Jüngling mit auf eine Hochzeitsreise nach Griechenland. Er selbst war mit einem Freigelassenen namens Doryphorus „verheiratet“. Nero hatte auch eine Frau namens Claudia Octavia, die er tötete (62 n. Chr.), um seine Geliebte Popäa Sabina, die Frau seines Freundes Otho, zu heiraten. Doch, als sie ein Kind erwartete, tötete er auch sie. Seine Leidenschaft galt schlimmen Extravaganzen, während er allen und jedem das Geld aus der Tasche zog. Der kaiserliche Hof war chaotisch und von Mord, Sittenlosigkeit, Verbrechen, Diebstahl und Raub begleitet.

Zu den Leidenschaften Neros gehörte auch das Bauen. Im Jahre 64 n. Chr. brach in Rom ein grosses Feuer aus, das eine Woche anhielt. Es bestand nicht der geringste Zweifel, dass Nero es gelegt hatte, ebenso wenig, dass er alle Löschversuche verhindert hatte. Er liess die Stadt absichtlich abbrennen, um den Ruhm des Wiederaufbaus für sich in Anspruch nehmen zu können. Die Leute wussten genau, wer den Brand verursachte. Trotzdem war Nero erfolgreich damit, die Schuld auf die Christen zu schieben und sie für den Stadtbrand verantwortlich zu machen. Dadurch wurde eine grausame Christenverfolgung entfacht.

Für die Arena liess Nero Christen in Felle wilder Tiere einnähen, um dann die Hunde auf sie zu hetzen. Er steckte sie in Säcke, die mit Steinen beschwert waren und liess sie in den Fluss Tiber werfen. Er liess sie kreuzigen, mit Pech bestreichen und als lebendige Fackeln anzünden, um damit den Palastgarten in der Nacht zu beleuchten.

Der Wahnsinn nahm immer grössere Ausmasse an. Seneca wurde zum Selbstmord gezwungen und starb 65 n. Chr. Burrus wurde mit einer Arznei vergiftet (62 n. Chr.), die Nero ihm als Heilmittel für seine Halsentzündung schicken liess. Alle, die Nero nur im Geringsten missfielen, wurden ermordet.

Als seine Mutter Agrippina versuchte, ihn unter ihre Kontrolle zu bringen, wandte er sich auch gegen sie. Er versuchte mehrmals, sie umzubringen, sie zu vergiften, das Dach ihres Hauses über ihr zusammenstürzen zu lassen, sie in einem Boot aufs Meer hinauszuschicken und zu ertränken. Schliesslich schickte er seinen Freigelassenen Anicetus zu ihr, mit dem Auftrag sie zu erstechen (59 n. Chr.). Als er ihr Zimmer betrat und Agrippina den Dolch erblickte, entblösste sie ihren Körper und sagte: „Durchstosse meinen Leib, der Nero getragen hat.“

Es kam, wie es kommen musste. Zuerst rebellierte Julius Vindex in Gallien, danach Galba in Spanien. Schliesslich nahm der Senat seinen ganzen Mut zusammen und erklärte Nero zum Staatsfeind. In der Villa eines Freigelassenen namens Phaon beging Nero schliesslich Selbstmord. Kurz vor seinem Tod mussten vermutlich der Apostel Paulus in seiner zweiten Gefangenschaft in Rom und auch der Apostel Petrus sein Leben als Märtyrer lassen (ca. 67 n. Chr.).

Nur selten gab es in der Geschichte solche Bestien als Führerpersönlichkeiten. Wie bereits erwähnt, begannen die Menschen auf den Strassen vor Freude und Erleichterung zu tanzen, als sie die Nachricht von seinem Tod erfuhren. Danach bildete sich die Legende, dass Nero nicht tot, sondern nach Parthien gereist sei, von wo aus er eines Tages zurückkehren werde.

 

Quelle: Offenbarung des Johannes 2, Auslegung von William Barclay (Aussaat Verlag Wuppertal, 1970), 102. Überarbeitet von René Voser.