Matthäus-23: Warnungen

Jesus, der König

 

 

Kapitel 23,1-12: Wenn Worte und Taten nicht übereinstimmen

Es ist unerhört, mit was für einer Autorität Jesus auftritt: Da kamen die Pharisäer und wollten ihn mit einer Frage bezüglich der Steuern überlisten (Mt 22,15-22). Anschliessend kamen die Sadduzäer und versuchten ihn über die Auferstehung in die Enge zu treiben (Mt 22,23-33). Am Ende schickten seine Gegner einen Gesetzeskundigen, um Jesus bezüglich des obersten Gebotes endgültig das Handwerk zu legen (Mt 22,34-40). Statt sich entmutigt zurückzuhalten, geht Jesus zum Angriff über: Er fragt die Juden, wer der Sohn Davids ist und stopft ihnen damit den Mund (Mt 22,41-46). Dann wendet er sich an das Volk und warnt sie vor den Schriftgelehrten und Pharisäern (Mt 23,1-12). Und schliesslich fängt Jesus an, Drohungen über die religiösen Führer Israels auszusprechen (Mt 23,13-36). Obschon sich seine Angriffe steigerten, überschlägt sich Jesus nicht, sondern findet auch die nötige Ausgewogenheit, indem er anschliessend über die Uneinsichtigkeit seiner jüdischen Brüder trauert.

In Matthäus 23 begegnen wir den härtesten Worten, die Jesus je ausgesprochen hatte. Jesus schreit die Menschen nicht jähzornig an, noch droht er ihnen mit erhobenem Zeigefinger. Am Ende des Kapitels 23 wird ersichtlich, dass Jesus aus Besorgnis und nicht aus blinder Wut heraus reagierte.

Verse 1-4: Aufruf Jesu an das anwesende Volk im Tempel (24,1)
Wem gab Gott das Gesetz? = Mose (Ex. 19,3)! Mose setzte Richter ein, die das Gesetz kannten und Recht sprachen (Ex 18,19-20.26). Nach dem Tod Mose wurde das Gesetz Josua anvertraut (Jos 1,6-8). Josua gab es den Ältesten in Israel weiter. Die Ältesten überlieferten es den Propheten. Schliesslich gelang das Gesetz Mose in die Hände der Schriftgelehrten und Pharisäer. Jesus klagte die Schriftgelehrten und Pharisäer an, dass sie sich über ihre Vorgänger hinwegsetzten, indem sie den Richterstuhl Moses beanspruchten.

Warum rief Jesus das Volk dazu auf, alles gehorsam zu befolgen, was sie sagten? Jesus meinte alles, was die Grundsätze des mosaischen Gesetzes betraf, was auf der Ehrfurcht vor Gott und den Menschen basierte. Jesus meinte sicher nicht, dass das Volk die menschlichen Traditionen der Schriftgelehrten und Pharisäer befolgen sollten (siehe Mt 15,1-9).

Wie bezeichnen wir einen Menschen, der etwas vorspielt, um vor anderen gerecht dazustehen, der von Vorschriften redet, die er selbst nicht einhält? = Heuchler (υποκριτής). Jesus benutzt das Wort „Heuchler“ 7x im kommenden Abschnitt, für jeden Wehruf einmal (siehe der Sauerteig der Pharisäer, Lektion 4).

Im Matthäusevangelium kriegen wir ein umfassendes Bild, was ein Heuchler alles tut:

- beim Almosengeben: 6,1-2

- beim Beten: 6,5

- beim Fasten: 6,16

- beim Richten von andern: 7,5

- beim Lippendienst und Einhalten von ihren Traditionen: 15,7

- beim Deuten des Wetters: 16,3 (Lk 12,56)

- bei listigen Fragen stellen: 22,18

- beim Lehren, aber nicht sich daran halten: 23,3

Das beste Beispiel eines Heuchlers ist ein Schauspieler! Er redet und handelt unecht, gespielt. Er weckt in andern Menschen Gefühle und Gedanken. Satan kann durch die Schauspielerei besonders gut verdeckt arbeiten und uns Menschen verführen. Ein Heuchler ist also ein Mensch, der etwas sagt, aber nicht so meint. Nun ist es ja so, dass wir alle schon von hohen Dingen geredet haben, die wir selbst nicht einhalten konnten.

Wir alle sind und bleiben Sünder, aber macht uns diese Tatsache automatisch zu Heuchlern? Nein, denn ein Heuchler ist ein Mensch, der bewusst und unermüdlich anderen etwas vorspielt, ohne sich selbst zum Guten zu verändern. Christen werden von Ungläubigen schnell als Heuchler verurteilt, weil es nicht einfach ist, ein gutes Vorbild zu sein. Jesus versichert, dass bei der Wiederkunft alle Heuchler in die Hölle geworfen werden: Mt 24,51.

Wann können wir sicher sein, dass wir es mit einem Heuchler zu tun haben? Wir können niemals sicher sein und deshalb sollten wir uns auch hüten, andere als Heuchler zu verurteilen! Nur Jesus kann das, weil er die Herzen kennt (Joh 2,25). Jesus ist der einzige Richter, der seine Gegner gerecht richten konnte, weil sie ihm die letzten drei Jahre das Leben schwer machten.

Jetzt verstehen wir, warum Jesus seine Jünger vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer warnte. Jesus bezog sich auf die Lehre der Pharisäer und Sadduzäer (16,6.12). Sie fügten den Menschen Schaden zu, indem sie ihnen eine untragbare Last auf die Schulter legten, die sie selbst nicht zu tragen vermochten (Mt 11,28-30): Apg 15,10. Jesus wies auf ihr heuchlerisches Verhalten hin, indem sie „ja“ sagen, aber untätig bleiben (Mt 21,29), indem sie eine äussere Form von Frömmigkeit an den Tag legten: 2Tim 3,5; Tit 1,16. Sie sind mit Menschen zu vergleichen, die sich im Spiegel betrachten und anschliessend vergessen, wie sie aussehen (Jak 1,22-24). Auch Paulus klagt die Selbstgerechtigkeit seiner Brüder an: Römer 2,17-23. Gott lässt allen Gottlosen Folgendes verkündigen: Psalm 50,16-20.23.

Verse 5-12: Machenschaften der Schriftgelehrten und Pharisäer.
Sie hielten sich an ihre religiösen Zusatzvorschriften, um von den Menschen gesehen zu werden, nicht aus innerem Antrieb: Mk 7,2-4. Sie verlangten, dass alle das Gesetz Mose und ihre Zusatzvorschriften (= menschlichen Traditionen) einhielten. Sie haben Gottes Gebote nicht verstanden, sondern in eine äussere religiöse Form umgewandelt, um als geistliche Führer gross dazustehen.

Bsp. Gebetsriemen: Gott wollte, dass sie sich seine Gebote ins Herz schrieben und nicht bloss äusserlich anwandten (Dtn 6,8-9; 11,18-20).

Bsp. Quasten: Gott wollte, dass sie sich allezeit an das Gesetz erinnerten und nicht damit wetteifern, wer die längsten Quasten aufwies (Num 15,37-40; Dtn 22,12).

Bsp. Vorsitz: Sie liebten die Ehre bei Menschen mehr als bei Gott (Joh 12,32).

Bsp. Anrede: „Rabbi“ (Jesus liess es zu, aber verlangte es nicht; Mt 26,25; Mk 9,5; Joh 3,2).

Es ist wichtig, dass wir nicht alle Pharisäer als fleischlich und böse hinstellen, denn es gab auch sehr gottesfürchtige und treue Gläubige unter ihnen! Ist es in jedem Fall falsch, jemanden Lehrer oder Vater zu nennen? Nein! Die neutestamentliche Gemeinde besteht aus Lehrern (Eph 4,11). Es gibt Lehrer, die predigen Christus aus Neid und Streitsucht (Phil 1,15). Wer von sich aus redet, der sucht seine eigene Ehre, statt die Ehre Gottes (Joh 5,44; 7,18). Die Gefahr eines Neubekehrten ist Hochmut (1Tim 3,6). Nein, es ist nur falsch jemandem im religiösen Sinn Vater zu nennen! (Hebr 12,9; 1Tim 5,1-2; Apg 22,1)

Damit wir uns nicht selbst erhöhen, ist es wichtig, dass wir geistlich denken lernen und das als etwas Grosses betrachten, was bei Gott als etwas Grosses gilt (1Kor 13,1ff.). Wir sollen uns mit Demut kleiden (1Petr 5,5-6; Mt 18,4). Gott widersteht den Hochmütigen (Jak 4,10; Spr 29,23).

 

Kapitel 23,13-36: Fromm und doch gottlos

Vers 13: „... die ihr das Reich der Himmel vor den Menschen zuschliesst ...“
Sie schliessen die Tür zum Reich der Himmel zu. Wie?

Indem sie um Äusserlichkeiten Wetteifern, wie z. Bsp.:

- Wer trägt die breitesten Gebetsriemen (Mt. 23,5)? Wer hat die längsten Quasten an den Röcken (Mt 23,5)?

- Wer kriegt den obersten Platz bei den Mahlzeiten und den Vorsitz in den Synagogen (Mt 23,6)?

- Wer hat es so weit gebracht, dass das Volk ihn als Rabbi ansprechen muss (Mt 23,7).

- Wer ist als Almosengeber am meisten bekannt (Mt 6,2)?

- Wer betet mehr in den Synagogen und an den Ecken der Strassen (Mt 6,5)?

- Wer fastet zweimal in der Woche (Mt 6,16; Lk 18,12)?

- Wer hat das Recht andere zu richten (Mt 7,5)?

- Wer hält sich am meisten an die menschlichen Überlieferungen der Alten (Mt 15,2)?

- Wer kann die Schriften besser zitieren (Mt 22,35) usw.?

Indem sie das Volk falsch anleiten und motivieren, statt zur Busse führen. Die Dinge, die sie lehren sind weltlich, fleischlich und in Gottes Augen nicht massgebend. Auf diese Weise schliessen sie den Menschen die Türen des Himmelreichs zu, weil Gott das gar nicht verlangt, was sie lehren, um in das Reich der Himmel zu kommen, weil sie mit ihren Lehren falsche Anleitungen geben und sich selbst vom Himmelreich ausschliessen. Sie haben den Menschen den Schlüssel der Erkenntnis weggenommen, wie Jesus sagt: Lukas 11,52.

Gott schaut nicht auf Menschen, die eine äussere Form der Frömmigkeit an den Tag legen (2Tim 3,5), die zwar „ja“ sagen, aber der Arbeit im Reich absagen (Mt 21,29), die „Herr, Herr“ sagen, sich aber nicht an das halten, was der Herr geboten hat (Mt 7,21).

Gott schaut nicht auf Menschen, die nur am Fleisch beschnitten sind (Röm 2,28), den Sabbat aus reiner Pflicht gegenüber dem Gesetz Mose einhalten, die 10 Gebote gedankenlos auswendig sprechen können und nur äusserlich gesehen am Leib rein sind, durch die vielen Reinheitsvorschriften und Waschungen. Dem lebendigen Gott ging es (auch im AT) immer um den ganzen Menschen, um den äusseren als auch um den inneren Teil; das Herz.

Vers 14: „... dass ihr die Häuser der Witwen aufzehrt ...“
Sie sind Missionare des Bösen. Vers 14 finden wir im Matthäusevangelium nur in der Fussnote. In der Parallelstelle von Markus 12,40 finden wir diesen Vers im Text. Schriftgelehrte und Pharisäer waren bekannt für lange Scheingebete. Diese Gebete galten weniger Gott als den Menschen. Es waren Scheingebete, weil sie in ihrem Inhalt nichts mehr aussagten, sondern lang und wiederholt waren. Durch ihre langen Gebete täuschten sie besonders den Witwen ihre Scheinfrömmigkeit vor. Diese waren oft auch bereit, ihnen Geld zu geben oder ihnen gar ihre Häuser zu vererben. Doch die Schriftgelehrten durften für ihre Dienste keinerlei Bezahlung annehmen. So machten sie sich in Gottes Augen schwer schuldig, indem sie die Witwen ausbeuteten, statt ihnen zu helfen: Ex 22,22-24 (Dtn 27,19).

Vers 15: „... dass ihr Meer und Land durchzieht ...“
Sie sind Missionare des Bösen. Sie sind bereit, grosse Reisen und Strapazen auf sich zu nehmen, um einen einzigen Proselyten zu gewinnen. Nachdem sie ihn gewonnen haben, machen sie ihn doppelt so schlimm wie sie selbst sind. Nämlich einen, der ihren Stolz, ihre Selbstgerechtigkeit und ihren fleischlichen Wetteifer nachahmt. Paulus kämpft um seine neu bekehrten Galater, die gerade von solchen Juden verwirrt worden sind: Galater 4,16-17. Diese jüdischen Missionare suchen Anhänger, die weder für Gott noch für Christus geworben werden, sondern nur für ihre Rituale und wer darin besser ist (Mk 7,2). Es geht ihnen letztendlich darum, dass sie selbst als Vorbilder umworben werden.

Verse 16-22: „... die ihr beim Gold des Tempels schwört ...“
Sie weichen mit falschen Argumenten ihren Verpflichtungen aus. Die Pharisäer unterscheiden zwischen kräftigeren und schwächeren Eiden. Eide, bei denen man gebunden, Eide, bei denen man nicht gebunden war. Diese Unterscheidung ist lügnerisch und dient nur ihrer eigenen Rechtfertigung, damit sie ihre Versprechen nicht einhalten müssen. Ein Eid oder ein Schwur war im AT eine sehr ernsthafte Angelegenheit, die man sich vorher gut überlegen sollte (Ps 15,1-4). Selbst wenn man sich zum Schaden geschworen hatte, war man verpflichtet seinen Schwur einzuhalten (Num 30,1-3; Dtn 23,21-23). Diese Unterschiede, die sie zwischen den Schwüren machen, sind völlig willkürlich und daher lügnerisch. Der Schwur beim Tempel sollte nicht binden, hingegen der Schwur beim Gold am Tempel schon. Der Schwur beim Altar verpflichtete nicht, beim Opfer auf dem Altar aber schon.

Jesus bezeichnet sie als blinde Führer, weil es bei Gott keine solchen Unterschiede gibt, weil Gott vielmehr solches Schwören verabscheut. In seiner Bergpredigt lehrt Jesus, dass der Mensch nicht schwören soll, weder beim Himmel, noch bei der Erde (Mt 5,33-37).

Verse 23-24: „... dass ihr die Minze und den Anis und den Kümmel verzehntet ...“
Sie haben den Sinn für Proportionen verloren. Der Zehnte spielte bei den religiösen Vorschriften der Juden eine wichtige Rolle. Im Gesetz Mose stand:

Dtn 14,22: „Verzehnten sollst du allen Ertrag deiner Saat, was auf dem Felde wächst, Jahr für Jahr ...“

Num 27,30: „Alle Zehnten des Landes, sowohl vom Ertrag des Bodens als von den Früchten der Bäume, gehören dem Herrn sind dem Herrn geweiht.“

Einerseits nahmen sie es bei der Abgabe vom Zehnten peinlich genau, indem sie sogar die Küchenkräuter zählten. Jedes zehnte Anis- oder Kümmelkorn, das in ihrem Garten wuchs, wurde für den Herrn auf die Seite gelegt. Andererseits verhielten sie sich im Alltag skrupellos ihren Mitmenschen gegenüber. Sie unterdrückten die Armen und beugten das Recht der Witwen. Sie wiesen die Gewalttätigen nicht in Schranken und handelten wie der Priester im Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,30-37). Jesus lehrt:

Matthäus 9,12-13:
„Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken“ (= kümmert euch um die Kranken und Schwachen!). „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.“

Schon Jesaja (700 v. Chr.) klagte das Volk Israel an, dass sie einen falschen Gottesdienst pflegten, der dem Herrn nicht gefällt: Jesaja 1,13-17. Ihr Herz war weit weg von Gott, während sie Opfer darbrachten. Ihre Treue zum Herrn und ihre Liebe zu den Mitmenschen liess sehr zu wünschen übrig. Sie sind in ihrem Gewissen stumpf geworden und gegenüber ihren eigenen Sünden wie Heuchelei, Unehrlichkeit, Habsucht usw. waren sie blind. Damit haben sie die wichtigeren Elemente des Gesetzes ausser Kraft gesetzt und sich zu stark um Dinge gekümmert, die nur einen kleinen Teil des Gesetzes ausmachen.

Es gilt zu beachten, dass Jesus den Juden nicht mit einem Wort sagte, dass die Abgabe des Zehnten bei Gott keine Bedeutung habe, oder nicht so wichtig sei! Jesus sagte vielmehr (Vers 23b): „Diese Dinge aber sollte man tun und jene nicht unterlassen.“ Nichts ist einfacher, als alle äusseren Merkmale der Religiosität einzuhalten und dennoch im Herzen völlig unreligiös oder ungläubig zu sein. Dieselbe Gefahr droht uns Christen heute noch, indem wir unsere Anbetungsstunden absitzen und anschliessend unseren eigenen Götzen in der Welt nachlaufen und füreinander keine Zeit mehr haben.

Verse 25-26: „... dass ihr die Aussenseite des Bechers und der Schüssel reinigt ...“
Sie verstehen nicht, was wahre Reinheit bedeutet. Sie bemühten sich mit allen Mitteln, nach dem Gesetz äusserlich rein zu sein. Wie wurde man äusserlich unrein? (siehe Leviticus und Numeri!)

Z. B. durch Berühren eines Leichnams: Menschen durften nicht ins heilige Zelt gehen (Numeri 19,13); Tiere (Leviticus 11).

Z. B. durch Berührung mit Heiden (Apg 21,26),

Z. B. wenn ein Mann einen Samenerguss hatte (Lev 15,1-18),

Z. B. Frauen mit Blutfluss galten als unrein, auch wenn es sich um die normale Monatsblutung handelte und sie völlig gesund waren (Lev 15,19-25).

Jeder, der verunreinigte Menschen oder Gegenstände berührte, machte sich selbst auch unrein. Die Reinigungsvorschriften waren unvorstellbar kompliziert. Wer unrein war, durfte nicht ins Heiligtum oder in den Tempel (z. B. Heiden oder Kranke (Apg 3) usw.

Es gibt zwei Arten von Frömmigkeit, die sich in gegengesetzter Richtung auseinander entwickelten:

Einerseits kann man sich in allem, was man tut, auf Menschen ausrichten. Es gibt religiöse Führer, die in ihrer Dominanz ihre eigene Frömmigkeit als verbindlichen Massstab für alle machen. Je näher ein „Gläubiger“ in seinem äusseren Verhalten diesem Vorbild kommt, desto frommer wird er beurteilt (heute z. B. Papst, Dalai Lama). Diese Vorgaben von verschiedenen „Gläubigen“ erzeugen einen starken Gruppendruck und rauben andern ihre persönliche Entwicklung und Identität. Der Glaube wird sozusagen uniformiert und nach bestimmten Menschen ausgerichtet. Deshalb warnt Paulus (Gal 1,10): „Suche ich denn jetzt Menschen zu gewinnen oder Gott? Wenn ich noch Menschen gefällig sein wollte, wäre ich nicht Christi Knecht.“

Anderseits können wir uns in allem, was wir Denken und Tun, auf Gott ausrichten. Das führt zu einer individuellen Glaubensentwicklung jedes Einzelnen. Jeder Gläubige wird vom inneren Geist Gottes getrieben und verändert sich so, dass dies an seinem äusseren Verhalten immer sichtbarer wird. Es findet keine erzwungene, menschliche Vorgabe (z. B. wie sauber die Aussenseite eines Bechers sein soll).

Viele Gläubige verhalten sich wie die Schriftgelehrten und Pharisäer. Sie sind völlig auf Äusserlichkeiten ausgerichtet, d. h. auf das, was andere von ihnen denken oder erwarten. Sie wollen Menschen mehr gefallen als Gott und reinigen nur die Aussenseite ihres Glaubenslebens. Sie sind Menschen, „die eine äussere Form von Frömmigkeit besitzen, deren Kraft aber verleugnet haben. Und von diesen wende dich ab!“, warnt der Heilige Geist (2Tim 3,5). Jesus verglich den äusseren Schein ihrer Religiosität mit einem Tischgedeck. Erst wenn ein schmutziges Glas oder ein schmutziger Teller ganz in das Wasser eintaucht wurde, konnte es oder er von innen und von aussen gereinigt werden. Es kann nicht rein werden, wenn es nur äusserlich poliert wird. Ihr äusserliches Verhalten ist erst dann annehmbar vor Gott, wenn sie ihre Herzen durch den Glauben und durch die Busse reinigen lassen (Ps 51,6).

Jesus erklärt, dass Christen sich nicht von aussen nach innen, sondern von innen nach aussen verändern lassen sollen durch den Heiligen Geist Gottes. Wie jemand zum Reich Gottes steht, kommt nicht so sehr auf das an, was er isst, sondern vielmehr auf das, was aus seinem Herzen hervorgeht (Mt 15,17-18). Es ist klar, dass dieser Vergleich mit dem Becher und der Schüssel in der Praxis nicht funktioniert (kein Gefäss wird aussen automatisch rein, wenn man es innwendig reinigt, ausser das menschliche Gefäss!).

Verse 27-28: „... dass ihr geweissten Gräbern gleich seid ...“
Sie sind Menschen mit Masken. Auch hier geht es um dasselbe Prinzip: Die Gräber befanden sich oft längs der Strassen. Da aber jeder, der einen Toten berührte unrein wurde (Num 19,16), wurde er automatisch auch unrein, wenn er mit einem Grab in Berührung kam. Damit die vielen Pilger, auf ihrem Weg zum Passafest nach Jerusalem, im Gedränge nicht unwissentlich ein Grab berührten und dadurch für das Passafest unrein wurden, waren die Gräber mit weisser Farbe getüncht. In der Frühlingssonne schimmerten die weissen Gräber beinah freundlich, während sie im Inneren voller Totengebeine und Verwesungsgeruch waren. Genauso verhält es sich mit den Schriftgelehrten und Pharisäern, sagte Jesus. Sie sind wie Grabstätten: Lukas 11,44. Sie sind unrein und täuschen eine falsche Frömmigkeit vor. Denn sie sind voller Heuchelei und Gesetzlosigkeit.

Verse 29-32: „... dass ihr die Gräber der Propheten baut ...“
Sie sind Mörder: Sie gaben vor, die Propheten des Alten Testaments zu ehren, indem sie ihnen Grabmäler bauten, sie instand hielten und sie mit Kränzen schmückten. In Gedenkreden behaupteten sie, wenn sie damals gelebt hätten, hätten sie die Propheten nicht getötet, wie ihre Vorfahren. Doch gerade das hätten sie damals getan, behauptet Jesus. Denn sie sind bereits wieder am planen, wie sie den grössten aller Propheten töten können: Jesus Christus, der Erbe, der Sohn des Weingärtners (siehe Gleichnis 23 in Kap. 21,38: Von bösen Weingärtnern). Sie geben zu, dass sie Söhne von Mördern sind und machen so das Mass ihrer Väter voll!

Verse 33-36: „Ihr Schlangen und Natterngezücht!“
Jesus beschuldigt Israel, seine Geschichte sei eine Geschichte der Ermordung der Männer Gottes. Von Abel bis Zacharias ist das Blut der Gerechten vergossen worden. In der hebr. Bibel ist 2. Chronik das letzte Buch im Alten Testament. Von der Ermordung Zacharias wird uns in 2. Chronik 24,20-22 berichtet. Somit kann die Ermordung Abels als erster Mord in der biblischen Geschichte betrachtet werden. Die Ermordung Zacharias kann als letzter Mord betrachtet werden.

Jesus will damit sagen: Die Geschichte des Volkes Israels berichtet vom Anfang bis zum Ende von der Ablehnung der Gottesmänner, ja sogar ihrer Ermordung. Deshalb warnte Jesus auch sein Jünger, als er sie aussandte, mit den Worten: Matthäus 10,16-17. In der Offenbarung lesen wir von Märtyrern: Offenbarung 18,24. Jesus verspricht, dass das gerechte Gericht Gottes über Israel kommen wird.

Kann die menschgewordene Liebe Gottes solche vernichtenden Worte äussern? Ja, weil wahre Liebe auch gerecht und heilig ist. Viele stellen sich Jesus als harmlosen, harmoniesüchtigen Menschen vor. Doch das ist ein völlig unbiblisches Bild vom Sohn Gottes. In unserer „Softiwelt“ verurteilen wir alles, was autoritär und verletzend sein kann. Damit besteht die Gefahr, dass wir uns gegen die Botschaft des Evangeliums Christi auflehnen: Johannes 3,36; 5,26-29; 12,48-50.

Aus Matthäus 23 geht eine lebenswichtige Lektion hervor, die nicht nur die Juden von damals betrifft, sondern das Grundproblem der ganzen Menschheit zur Religion und zum Glauben an Gott deutlich macht. Auch wir können dem fatalen Irrtum der Schriftgelehrten und Pharisäer unterliegen. Wie?

1.  Wenn wir meinen, wir seien treue Christen, während wir uns keiner örtlichen Gemeinde anschliessen!

2.  Wenn wir meinen, wir könnten Gott ohne Werke gefallen, sondern nur mit der Erkenntnis der Wahrheit: Gott will nicht, dass wir Schriftgelehrte sind, die sich in ihrer Erkenntnis selbstgerecht und besser vorkommen als die übrigen Menschen. Gott verlangt von uns Werke des Gehorsams; angefangen mit der Taufe, über die regelmässige Anbetung Gottes und der Liebe zu den geistlichen Geschwistern in der Gemeinde, mit all ihren guten und negativen Seiten.

3. Wenn Jesus von sich als dem Weinstock redet und erklärt (Joh 15,4): „Bleibet in mir, und ich bleibe in euch! Wie das Schoss nicht von sich aus Frucht tragen kann, wenn es nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt“, dann meint er, dass wir in der Gemeinschaft mit ihm und allen Heiligen bleiben sollen, damit wir lernen Frucht zu tragen! Jesus sagt auch (Mt 12,30): „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich, und wer nicht mit mir sammelt, der zerstreut.“ Die grosse Frage ist: Werden wir im Urteil der Geschichte als Helfer Gottes oder als Hindernis der Menschen auf dem Wege zu Gott dastehen?

4. Christsein besteht nicht allein in der äusserlichen Befolgung von Geboten, wie z. B. der regelmässige Gemeindebesuch, das Abendmahl, die Kollekte usw. Gott leitet uns durch sein Wort zwar an, dass wir ihn am ersten Tag der Woche anbeten und das Mahl feiern sollen (zum Gedächtnis an Jesus, der für unsere Sünden gestorben ist). Doch die Nachfolge Christi besteht nicht bloss im regelmässigen Besuch der Gemeindeversammlungen! Wir sind eine Liebesgemeinschaft, eine geistliche Familie, die füreinander sorgt (Gal 6,2):

- Keiner darf zu kurz kommen.

- Ob ältere Leute oder Kinder, ob Ausländer oder Kranke, alle Gläubigen sind Teil der Gemeinde der Heiligen.

- Als bunt gemischte Gruppe nehmen wir aufeinander Rücksicht und helfen einander gemeinsam auf dem Weg zum himmlischen Ziel.

- Die Jüngeren lernen von den Älteren und keiner ist der Grösste, sondern alle dienen einander durch die Liebe Christi.

- Jeder darf, seinem Alter entsprechend, aus der Bibel Belehrung empfangen.

- Wir verbringen nicht bloss miteinander die Zeit in den gemeinsamen Anbetungsstunden, sondern auch privat wollen wir uns füreinander Zeit nehmen. Unsere Freunde sind nicht mehr die Menschen in der Welt, sondern die geistliche Familie: Joh 15,9-13; Apg 2,44-47; Phil 2,1-4; 1Joh 3,14-18.

 

Kapitel 23,37-39: Jesus klagt über die Bewohner Jerusalems

In diesem abschliessenden Abschnitt kommt deutlich zum Ausdruck, dass Jesus die vorangegangenen Worte nicht sagte, um seine Aggressionen loszuwerden und die Juden zu  verdammen, sondern aus tiefer Besorgnis um seine Brüder und Schwestern (das Volk Israel).

Die Bibel lehrt, wen der Herr liebt, den züchtigt er: Spr 3,11-12; Hebr 12,7-11.

Vers 37: Jesus hatte alles versucht, doch er blieb erfolglos.
Schon mehrmals ist er seiner Steinigung entkommen: Joh 8,59; 10,31. Jesus hätte das alles nicht gesagt, wenn er den mangelnden Glauben der Juden nicht mehrmals deutlich erfahren und darüber getrauert hätte. Im Lukasevangelium werden diese gefühlvollen Worte Jesu zweimal erwähnt: Lukas 13,34-35; 19,41-44. Im Bericht des Lukas findet anschliessend die Tempelreinigung statt (Lk 19,45). Bei Matthäus findet die Tempelreinigung gerade nach dem Einzug in Jerusalem statt (also am Sonntag; Mt 21). Bei Markus hat das Ereignis am Montag stattgefunden (Mk 11). Johannes spricht am Anfang der Wirkungszeit Jesu von einer Tempelreinigung (Joh 2).

Die Juden haben Gottes Propheten getötet und alle (Hebr 11,37), die der Herr zu ihnen sandte, um sie zur Busse und zur Umkehr zu bewegen: 2. Chronik 36,15-16; Jeremia 4,14; 6,8; 35,15; 44,4-6; Klagelieder 1,1-4.

Die Juden schmieden Pläne, wie sie den Sohn Gottes töten könnten, der versuchte, sie zu sammeln, wie ein Huhn ihre Jungen schützend unter ihre Flügel nimmt. Sie wollten Jesus nicht als den Sohn Gottes erkennen. Sie wollten nicht begriffen, dass Jesus über allen steht, wie ein Huhn über ihre Jungen. Sie liefen störrisch in alle Richtungen und fielen schutzlos ihren Feinden zum Opfer. Mit dem Bild des besorgten Huhns erkennen wir die tiefe Liebe und Besorgnis Jesu für das jüdische Volk.

Vers 38: Jesus prophezeit den Untergang der Stadt.
Was meint er, wenn er vom leergelassenen Haus spricht? Zuerst einmal den Tempel! Gemeint ist aber auch die Stadt und die ganze Nation.

Die Geschichte des Tempels:

- Salomos Tempelbau war 966 v. Chr. vollendet und stand ca. 400 Jahre.

- Um 587 v. Chr. lässt der babylonische König Nebukadnezar den Tempel zerstören und ausrauben.

- Um 538 v. Chr. besiegte der Perserkönig Cyrus die Babylonier und gestattete den Israeliten die Rückkehr in ihre Heimat und den Wiederaufbau des Tempels.

- 519 v. Chr. Serubbabels Tempel stand ca. 500 Jahre.

- 141 v. Chr. erfährt das Tempelareal unter den Makkabäern eine Erweiterung.

- Der Tempel des Herodes stand von 37 - 4 v. Chr., ca. 33 Jahre.

- Der römische Kaiser Titus eroberte Jerusalem und zerstörte den Tempel ungefähr 70 n. Chr.

- Das Ende des Tempels machte dem unsichtbaren, unvergänglichen und himmlischen Tempel Platz (Offb 21)!

Siehe auch Matthäus 24,1-2.

Vers 39: Jesus spricht von seiner Wiederkunft und zitiert Psalm 118,26, wo er für seine Ankunft gepriesen wird, wie beim Einzug in Jerusalem (Mt 21,9).

Lernziel: Wie es Jesus um die Menschen in Jerusalem jammerte, jammert es ihn heute um alle Ungläubigen auf der ganzen Welt. Gottes Gnade wartet nun bis zum grossen Endgericht.