Sauerteig-03: Unterschiedliche Ansichten der Pharisäer

Hütet euch vor dem
Sauerteig der Pharisäer!

 

 

Die Ansichten, die die meisten Bibelleser in Bezug auf die Pharisäer pflegen, sind oft einseitig und falsch. Dieses irrtümliche Verständnis führt zu zwei verhängnisvollen Folgen. Erstens wird den Pharisäern Unrecht getan und zweitens werden durch irrtümliche Ansichten auch die Lehren Jesu über die Pharisäer falsch verstanden. Deshalb ist es notwendig, dass wir uns über die Pharisäer und das Pharisäertum ein klareres Bild machen.

Die Bruderschaft der Pharisäer
Die Pharisäer waren eine Sekte und als Minderheit sehr gut organisiert. Sie waren eine Gemeinschaft, eine Bruderschaft mit Regeln, Amtsträgern, regelmässigen Versammlungszeiten, Verfahren für die Aufnahme neuer Mitglieder und die Disziplinierung alter Mitglieder. Sie stammten hauptsächlich aus der städtischen jüdischen Mittelschicht, aus Geschäftsleuten und Handwerkern. Als disziplinierte Bewegung zeichneten sie sich durch unerschütterliche Überzeugung und unnachgiebige Entschlossenheit aus.

Die geistlichen Führer wurden als Chachamim (sing. Chacham = Weiser) bezeichnet und die Laienmitglieder waren als Chaber (Genosse) bekannt. Ein treuer Chaber hielt sich an die rituelle Reinheit und verpflichtete sich zur Zahlung der Tempelsteuer. Jedes Mitglied, das sich einer Übertretung schuldig machte, wurde ausgeschlossen, konnte aber wieder aufgenommen werden. Es gab Statuten, die das Leben der Mitglieder, sowie die Aufnahme und den Ausschluss regelten. Ein Kandidat, der in den Verband aufgenommen werden wollte, musste sich einer Prüfung unterziehen. Ein wichtiges Ziel war es, das priesterliche Gesetz in den Alltag zu integrieren. Die Mitglieder beschränkten sich auf die Reinheit der Speisegesetze.

Die pharisäischen Verbände bildeten kleine Gruppen. Zur Zeit Jesu betrug ihre Gesamtzahl etwa 6000. Die Stadt Jerusalem hatte damals eine Einwohnerzahl von ca. 25-30 000. Obwohl die Pharisäer zahlenmässig relativ klein waren, verschaffte ihnen die Organisation ihrer Bruderschaft einen starken Einfluss auf das Judentum, der in keinem Verhältnis zu ihrer Grösse stand.

Eine vielschichtige Sekte
Das Missverständnis der Pharisäer war, dass sie als religiöse Sekte alle dieselben Ansichten und Konzepte vertraten. Doch wie bei jeder religiösen Gruppe gab es bei den Pharisäern in grundlegenden Fragen und Ansichten Übereinstimmungen, aber auch viele Uneinigkeiten. Es gab ja auch etliche Untergruppen. Die Pharisäer waren jedoch im Allgemeinen bei der grossen Menge des Volkes beliebter als die Sadduzäer.

Wie wir aus dem Neuen Testament sehen, vertraten nicht alle Pharisäer immer die gleichen religiösen Ansichten. So suchte der Pharisäer Nikodemus Jesus in der Nacht auf, um sich sein eigenes Bild von ihm zu machen (Joh 3,1-2). Schliesslich erkannte er, dass Jesus ein von Gott gesandter Lehrer war. Bei einer anderen Gelegenheit, bemühte er sich, dass Jesus eine gerechte Anhörung verdiente (Joh 7,50-51). Nachdem Jesus gestorben war, kam Nikodemus wiederum des Nachts und brachte hundert Pfund Gewürze, die er gekauft hatte, für das Begräbnis (Joh 19,39).

Der bekannte Pharisäer Gamaliel beeinflusste den Sanhedrin (Apg 5,34), die Apostel nicht zu töten, indem er ihnen erklärte (Apg 5,35.38-39): „Israeliten überlegt euch genau, was ihr mit diesen Leuten tun wollt … Lasst ab von diesen Leuten und lasst sie gehen! Denn wenn das, was hier geplant und ins Werk gesetzt wird, von Menschen stammen sollte, dann wird es sich zerschlagen. Wenn es aber von Gott kommt, dann werdet ihr sie nicht aufhalten können; ihr aber könntet als solche dastehen, die sogar gegen Gott kämpfen.”

Der wohl bekannteste Pharisäer der Bibel ist Saulus, der nach seiner Bekehrung Paulus genannt wurde (Apg 13,9). Als Pharisäer lebte er nach den strengsten Regeln (Apg 26,5; Phil 3,5), war gewalttätig, verfolgte und misshandelte Christen (Apg 26,10-11; 1Tim 1,13.). Zu seinen Gunsten muss gesagt werden, dass Paulus aufrichtig war und aus fester Glaubensüberzeugung so handelte. Er bekannte, dass er vor seiner Bekehrung mit reinem Gewissen dem allmächtigen Gott diente (Apg 23,1; 24,16; 2Tim 1,3).

Im Talmud wird bezeugt, dass es viele Arten von Pharisäern gab. Sie werden in sieben Kategorien eingeteilt: den „Schulter“-Pharisäer (skikmi), den „zögernden“ (nikpi) Pharisäer, den „geprellten“ (kizai) Pharisäer, den „zerstampften“-Pharisäer, den „was ist meine Pflicht“-Pharisäer, den „aus Liebe zu Gott“-Pharisäer und den „aus Furcht vor Gott“-Pharisäer.

Der „Schulter“-Pharisäer handelte prahlerisch und aus unwürdigen Motiven, indem er seine religiösen Pflichten auf seinen Schultern trug. Der „zögernde“ Pharisäer bat die Menschen zu warten, während er eine gute Tat vollbrachte. Der „geprellte“ Pharisäer rannte gegen Wände, weil er es vermeiden wollte, Frauen anzusehen. Der „zerstampfte“-Pharisäer ging, mit einem falschen Sinn für Demut, mit gesenktem Kopf umher. Der „Was ist meine Pflicht“ Pharisäer stellte diese Frage, um andere dazu zu bringen, seine „grossartigen” Taten zu preisen. Der „aus Liebe zu Gott” Pharisäer war bewundernswert, weil er Gott liebte wie Abraham. Doch der „aus Furcht vor Gott” Pharisäer handelte nicht aus Liebe, sondern aus Furcht vor Gottes Strafe.

Doch das Ausmass der Zerrsplitterung innerhalb des Pharisäertums ist aus einer anderen Perspektive deutlicher ersichtlich. Im ersten Jahrhundert, vor dem römisch-jüdischen Krieg (66-73/74 n. Chr.), gab es mindestens vier grosse Sekten unter den Juden: die Pharisäer, die Sadduzäer, die Essener und die Zeloten. Die von Judas dem Galiläer gegründete Sekte der Zeloten verpflichtete sich der jüdischen Unabhängigkeit und stimmte weitgehend mit den Pharisäern überein. Von den Pharisäern unterschieden sie sich vor allem durch ihre radikale Hingabe an den Nationalismus. Die Essener isolierten sich vom entarteten Judentum und lebten in eigenen Gemeinschaften. Manchmal werden sie als einen Zweig des Pharisäertums bezeichnet. Die Zeloten und die Essener werden als radikale Fraktionen des Pharisäertums betrachtet.

Innerhalb der Hauptströmung des Pharisäertums gab es offene, konkurrierende, abweichende religiöse Ansichten und Standpunkte. Immer wieder kam es zu schwerwiegenden Spaltungen, da sich die Gelehrten nicht einig waren, wie das Gesetz richtig ausgelegt werden sollte. Im ersten Jahrhundert gab es zwei Hauptschulen, die in einem besonderen Konflikt miteinander standen.

Schammai befürwortete harte Strafen für jeden Verstoss gegen das Gesetz und die strikte Einhaltung seiner strengen Forderungen. Hillel war dem Frieden zugetan und der Überzeugung, dass das Gesetz Probleme menschlich behandeln muss. Diese beiden Schulen waren während des grössten Teils des ersten Jahrhunderts in ständiger Uneinigkeit.

Es ist ein schwerwiegender Irrtum, alle Pharisäer als identisch in ihrer Haltung und ihren religiösen Ansichten zu betrachten.

Schlussfolgerungen
Leider muss heute dieselbe Entwicklung in den christlichen Gemeinschaften festgestellt werden. Es gibt unzählige Kirchen und Sekten, die für sich Gottes Wahrheit beanspruchen und sich durch ihre Namens-gebung von anderen absondern, weil sie sich für bessere Christen halten mit besserer Erkenntnis. Dabei stützen sich die Meisten auf ihre menschlichen Gebote und kirchlichen Traditionen. Sie behaupten, die Kirche müsse sich mit ihren Lehren immer weiter entwickeln. Dabei folgen unvollkommenen und sündigen Menschen, die sich als besonders geistlich hervortun und über andere erheben. Die Bibel sagt ausdrücklich, dass kein Mensch gerecht ist, sondern alle gesündigt haben und Gottes Gerechtsprechung benötigen (Röm 3,10.23). Jesus selbst mahnte seine Jünger mit den Worten (Lk 18,14): „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden; wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.”

1. Korinther 1,10-15 (NGÜ):
„Geschwister, im Namen von Jesus Christus, unserem Herrn, fordere ich euch alle auf, eins zu sein. Redet so, dass eure Worte euch nicht gegeneinander aufbringen, und lasst es nicht zu Spaltungen unter euch kommen. Seid vielmehr ganz auf dasselbe Ziel ausgerichtet und haltet in völliger Übereinstimmung zusammen. Warum sage ich das? Von Chloes Leuten habe ich erfahren, dass es Streitigkeiten unter euch gibt, liebe Geschwister. Ihr wisst, was ich meine. Einer von euch sagt: „Ich bin Anhänger von Paulus!”, ein anderer: „Ich von Apollos!”, wieder ein anderer: „Ich von Petrus!” und noch ein anderer: „Ich von Christus!” Ist Christus denn zerspalten? Bin etwa ich, Paulus, für euch am Kreuz gestorben? Oder seid ihr auf meinen Namen getauft worden? Ich danke Gott, dass ich ausser Krispus und Gaius keinen von euch getauft habe! So kann doch wenigstens niemand behaupten, eure Taufe sei eine Taufe auf meinen Namen gewesen.”

Besserwisserei, Stolz und Hochmut hat längst die christlichen Gemeinden auf der ganzen Welt eingeholt und beherrscht sie wie der Sauerteig der Pharisäer die Juden. Dabei werden gerne falsche Rechtfertigungen benutzt, alles für Gott zu tun und im Namen Christi zu leiden. So verdrehen viele die Bibel zu ihrem eigenen Verderben (2Petr 3,16). Tatsache ist, dass Spaltungen und Sektierertum Sünde sind.

In den meisten christlichen Kreisen wechseln Gläubige die Gemeinden wie ihre Kleider und vergessen, dass sie bestimmt worden sind, ihre Glaubensgeschwister zu lieben (Joh 13,35), ihre Lasten zu tragen (Gal 6,2) und sogar das Leben für sie hinzugeben (1Joh 3,16). Stattdessen rennen sie vor ihrer Verantwortung weg und werden von anderen Ortsgemeinden, denen es um grössere Mitgliederzahlen geht, unterstützt. Ihre Entscheidungen sind lieblos und werden nur durch das Profit- und Lustprinzip getrieben.

Genau vor diesem Sauerteig hat Christus gewarnt. Jesus warnte vor dem Sauerteig der geheuchelten Frömmigkeit, der verfälschten Erkenntnis und der Lieblosigkeit eines Glaubens, der kaum eine praktische Anwendung findet (Jak 2,14-26).

1. Korinther 13,1-3 (NGÜ):
„Wenn ich in Sprachen rede, die von Gott eingegeben sind – in irdischen Sprachen und sogar in der Sprache der Engel –, aber keine Liebe habe, bin ich nichts weiter als ein dröhnender Gong oder eine lärmende Pauke. Wenn ich prophetische Eingebungen habe, wenn mir alle Geheimnisse enthüllt sind und ich alle Erkenntnis besitze, wenn mir der Glaube im höchsten nur denkbaren Mass gegeben ist, sodass ich Berge versetzen kann – wenn ich alle diese Gaben besitze, aber keine Liebe habe, bin ich nichts. Wenn ich meinen ganzen Besitz an die Armen verteile, wenn ich sogar bereit bin, mein Leben zu opfern und mich bei lebendigem Leib verbrennen zu lassen, aber keine Liebe habe, nützt es mir nichts.”

Die Frage ist nicht, was es den Menschen nützt, sondern was mein Handeln in Gottes Augen für einen Nutzen hat. Statt das Christentum vor Irrlehren zu bewahren, mischen sich Wahrheiten mit Verfälschungen und Lügen. Besonders in Gemeinschaften, wo die Betonung oft auf Erkenntnis gesetzt wird, verkümmert die Liebe unter den Gläubigen und passt sich den korrupten menschlichen Gesetzen der Welt an.
Wie können Christen die Menschen in der Welt wissen lassen, dass sie Jesu Fussstapfen folgen?

Johannes 13,35 (NGÜ): „An eurer Liebe zueinander werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid.”