Das Leben Jesu
Einleitung
Jesus warnte seine Jünger mit den Worten (Mt 16,6): „Gebt acht, hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer!” Die Jünger waren verwirrt und meinten, Jesus habe vom Brot der Pharisäer gesprochen, dabei sprach er vom Einfluss oder von den falschen Lehren der Pharisäer und Sadduzäer. Später erkannten sie dies (Mt 16,12).
Bei einer anderen Gelegenheit warnte Jesus (Lk 12,1): „Hütet euch vor dem Sauerteig – gemeint ist die Heuchelei – der Pharisäer!” Hier erklärt uns Lukas, was Jesus damit meinte. Es handelt sich dabei nicht um üble Nachrede (Kol 3,8), sondern um eine dringende Warnung auf eine grosse Gefahr, die den Glauben der Nachfolger Jesu und Jesus selbst ernsthaft bedrohte.
Kurz vor seinem Tod, in Matthäus 23 (Parallelstellen: Mk 12; Lk 20), packt Jesus aus und verurteilt mit sieben Wehklagen die falsche Frömmigkeit der Pharisäer und Schriftgelehrten.
Jesus stand in ständigem Konflikt mit seinen Gegnern. Sie versuchten ihn zu Fall zu bringen und forderten ihn bei jeder günstigen Gelegenheit mit Fangfragen heraus (z. B. Mt 22,15-22; 22,23-33). Doch Jesus liess sich von ihnen nicht unterkriegen, sondern reagierte jedes Mal souverän mit dem Geist Gottes.
Wer waren diese Gegenspieler Jesu?
Es gibt viele Gemeinsamkeiten zwischen den Pharisäern und Sadduzäern usw. Gleichzeitig gibt es auch wichtige Unterschiede zwischen diesen und anderen religiösen Gruppen, die damals das Volk vom Glauben an Jesus abzuhalten versuchten.
I. Jesus und seine Gegner
Schon in der Bergpredigt lässt Jesus das Volk unmissverständlich wissen (Mt 5,20): „Wenn eure Gerechtigkeit die der Schriftgelehrten und Pharisäern nicht weit übertrifft, werdet ihr nicht ins Himmelreich hineinkommen.” Sie lebten ihre eigene Gerechtigkeit und kümmerten sich nicht um Gottes Gerechtigkeit. Mit ihrer Selbstgerechtigkeit stellten sie sich über das Volk und kamen sich grösser und besser vor, als die übrigen Menschen (was im Gleichnis 20, von Lukas 18,9-14, sehr gut zum Ausdruck kommt). Sie verkehrten Gottes Gerechtigkeit in Ungerechtigkeit und unterdrückten das jüdische Volk mit ihren selbstgemachten Regeln und zusätzlichen Geboten (Mt 23,3).
Sie fühlten sich als die einzig Kompetenten, die die heiligen Schriften verstanden und auslegen konnten. Statt sich um die Schwächeren im Land zu kümmern, bildeten sie eine intellektuelle Elite, die sich von anderen Menschen abhob, um eine Religion zu leben, die auf lauter Äusserlichkeiten basierte (Mt 23,6.25-28). Sie rissen die Macht und den Einfluss über das religiöse Volk an sich.
Jesus stand von Anfang an mit ihnen in Konflikt, weil es ihnen nicht um den verantwortungsbewussten Glauben an Gott ging, sondern um ihre Macht und ihren Einfluss unter dem Volk. Als die Pharisäer und Schriftgelehrten sahen, dass der Einfluss und das Ansehen Jesu in der jüdischen Bevölkerung wuchs, wurden sie nicht nur eifersüchtig, sondern zunehmend feindseliger gegen ihn und ohne Grund mit Hass erfüllt (Joh 15,25). Während der kurzen Wirkungszeit Christi kommt deutlich zum Ausdruck, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer die Hauptfeinde Jesu waren. Der Konflikt spitzte sich immer mehr zu, sodass sie, zusammen mit anderen Gegnern, Jesus töten wollten (Mt 27,1).
Die Gegner Jesu waren jedoch vielseitig und bestanden vorwiegend aus religiösen Führern der Juden (siehe jüdische Sekten). In den Evangelien finden wir einige Situationen, die die Gegenspieler Jesu offenbaren.
II. Im Matthäusevangelium
Johannes der Täufer beschimpfte die neugierigen Pharisäer und Sadduzäer, die dem Volksauflauf am Jordan folgten, um sich von ihm taufen zu lassen, als „Schlangenbrut“ (Mt 3,7).
Matthäus berichtet von zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Jesus und den Pharisäern. Sie kritisierten ihn, weil er mit Steuereintreibern (Zöllner) und Sündern ass (Mt 9,11). Als Jesus mit seinen hungrigen Jüngern an einem Sabbat durch die Kornfelder zog und sie davon assen, beschuldigten sie ihn den Sabbat zu brechen (Mt 12,2). Am selben Tag heilte er in einer Synagoge einen Behinderten (Mt 12,9-13). Da fassten die Pharisäer den Beschluss, Jesus zu töten (Mt 12,14). Sie behaupteten, dass Jesus mit dem Fürsten der Dämonen (Beelzebul) die Dämonen austreibe (Mt 12,24). Später forderten die Schriftgelehrten und Pharisäer ein Zeichen von Jesus, um seine Gottheit zu beweisen (Mt 12,38). Sie fragten ihn, warum seine Jünger sich nicht an die traditionellen Überlieferungen der Vorfahren hielten (Mt 15,1-2). Sie versuchten ihn mit einer umstrittenen Scheidungsfrage zu Fall zu bringen (Mt 19,3). Zusammen mit den Hohen Priestern hätten sie ihn am liebsten verhaftet (Mt 21,45-46). Sie entsandten Leute, die mit einer heuchlerischen Fangfrage Jesus überführen sollten (Mt 22,15-22).
III. Im Markusevangelium
Markus berichtet über dieselben Vorfälle, die die Pharisäer kritisierten; dass Jesus mit den Zöllnern und Sündern zu Tische sass (Mk 2,16), dass seine Jünger am Sabbat Ähren assen (Mk 2,24), dass Jesus am Sabbat heilte (Mk 3,6), dass seine Jünger gegen die menschlichen Traditionen der Ältesten verstiessen (Mk 7,1-5).
Markus berichtet auch, dass die Gegner Jesu ein Zeichen forderten (Mk 8,11), ihn mit einer Scheidungsfrage überführen wollten (Mk 10,12) und ihn mit der Frage nach den Steuern eine Falle zu stellen suchten (Mk 12,13).
Schon zu Beginn fassten die Pharisäer, zusammen mit den Herodianern, den Beschluss, Jesus zu töten (Mk 3,6).
IV. Im Lukasevangelium
Auch Lukas erwähnt die kritischen Reaktionen der Pharisäer –
auf das Essen Jesu mit Zöllnern und Sündern (Lk 5,30; 15,1-2) und
auf das Schälen von Getreide durch die Jünger am Sabbat (Lk 6,2).
Lukas fügt jedoch zusätzliche Informationen über ihre feindseligen Gefühle hinzu. Als Jesus dem Gelähmten seine Sünden vergab, klagten die Pharisäer ihn wegen Lästerung an (Lk 5,21). Schon früh stellt Lukas fest, dass die Pharisäer und Schriftgelehrten aus allen Dörfern Galiläas und Judäas sowie aus Jerusalem zusammenkamen, um sich die Lehren Jesu anzuhören (Lk 5,17).
Nachdem Jesus die Pharisäer und Schriftgelehrten anklagte, „begannen die Schriftgelehrten und die Pharisäer, mit immer neuen Fragen auf ihn einzudringen; sie liessen nichts unversucht, um ihn in die Enge zu treiben, und lauerten darauf, ihn bei einer verfänglichen Äusserung zu ertappen” (NGÜ, Lk 12,53-54). Sie versuchten ihn sogar aus Jerusalem zu vertreiben, indem sie die Lüge vorbrachten, Herodes Antipas wolle ihn töten (Lk 13,31). Sie hörten zu, als Jesus vom rechten Umgang mit dem Besitz lehrte und verspotteten ihn anschliessend (Lk 16,14).
Lukas berichtet auch von einigen skandalösen Begegnungen zwischen Jesus und den Pharisäern. Jesus wurde von Simon, dem Pharisäer, eingeladen, als eine Sünderin mit einer Alabasterflasche dazu kam und er ihr die Sünden vergab (Lk 7,36). Bei einer anderen Gelegenheit, als er von einem Pharisäer zum Frühstück eingeladen wurde, schockierte er ihn, weil er sich vorher die Hände nicht zeremoniell reinigte, wie das bei Pharisäern üblich war (Lk 11,37-38). Als Jesus an einem Sabbat bei einem angesehen Pharisäer zu Tisch setzte, beobachteten die Anwesenden ihn „sehr genau” (Lk 14,1).
V. Im Johannesevangelium
Die Berichterstattung des Johannes über die Pharisäer ist einzigartig. Wir erfahren vom nächtlichen Besuch des Nikodemus, einem Pharisäer und Mitglied des Sanhedrins in Jerusalem (Joh 3,1-15). Wir lesen, wie viele zum Glauben an Jesus kamen, nachdem sie ihn im Tempel hörten. Doch die Pharisäer und Hohen Priester befahlen den Männern der Tempelwache Jesus festzunehmen (Joh 7,32).
Johannes berichtet uns vom unglaublichen Ereignis mit der Ehebrecherin, die von den Pharisäern und Schriftgelehrten bei frischer Tat ertappt wurde (Joh 8,4). Dabei stellten sie Jesus erneut auf die Probe, indem das Volk das ihm zuhörte entmutigen wollten. Mit allen Mitteln verunglimpften sie Jesus als einen Menschen, der nicht von Gott stamme, weil er einen Blinden am Sabbat heilte (Joh 9,16).
Alle diese Vorfälle offenbaren uns die hasserfüllte Feindschaft gegen Jesus.
Nach der Auferweckung des Lazarus beriefen die Hohenpriester und Pharisäer einen Rat der Verzweiflung ein, indem sie sich fragten (NGÜ, Joh 11,47): „Was sollen wir machen?” Sie sahen keinen wirksamen Weg, um dem wachsenden Einfluss Jesu zu begegnen (Joh 11,47-48). Schliesslich ordneten sie an, dass jeder, der wisse, wo sich Jesus aufhalte, Anzeige erstatten sollte (Joh 11,57). Sie gingen sogar so weit, dass sie jedem drohten, der sich zum Glauben an Jesus bekannte, aus der Synagoge auszuschliessen (Joh 12,42). Am Ende organisierten die Hohen Priester und Pharisäer die Gefangennahme Jesu (Joh 18,3).
VI. Die Traditionen der Väter
Die Pharisäer und Schriftgelehrten klagten Jesus vorwiegend an, dass er gegen die Traditionen oder Überlieferungen der Väter verstosse (Mt 15,2, Mk 7,3-5). Diese Vorwürfe bilden die Grundlage der meisten Auseinandersetzungen mit Jesus und seinen Jüngern. Obschon die Pharisäer und Sadduzäer die Tora (= die fünf Bücher Mose) als verbindlich akzeptierten, waren sie sich häufig uneinig, wie sie auf aktuelle Lebenssituationen angewandt werden sollte.
Die zehn Gebote zum Beispiel, enthalten keine Einzelbestimmungen und Vorschriften. Jedes Gesetz hat einen gewissen Spielraum, den jeder Gläubige unter Gottes Führung selbst auslegen und auf seine besonderen Lebensumstände anwenden sollte. Doch das genügte vielen Juden mit der Zeit nicht.
Besonders die Pharisäer waren der Ansicht, dass Gottes Weisheit jeden Aspekt des Lebens genau abdecken und regeln sollte. Deshalb pflegten sie die Auffassung, dass alles, was die Tora nicht bis ins Detail erwähnte, von ihnen interpretiert und geregelt werden musste. So kam es, dass es für die Pharisäer zwei Gesetze gab: Das schriftlich überlieferte Gesetz Mose mit den Propheten. Das mündlich und schriftlich überlieferte Gesetz der Pharisäer und Schriftgelehrten.
Die überlieferten Traditionen der Väter war ein ausgeklügeltes System religiöser Grundsätze und Vorschriften, das den Menschen praktische Anleitungen in allen Lebensbereichen geben sollte. Z. Bsp. Das vierte Gebot bezüglich der Einhaltung des Sabbats genügte ihnen nicht, deshalb stellten sie 39 zusätzliche Regeln auf, die ganz genau bestimmten, wieviel Schritte jemand an einem Sabbat gehen durfte und welche Verrichtungen an einem Sabbat als Arbeit galt und welche erlaubt waren.
Z. Bsp. Das rituelle Händewaschen vor einer Mahlzeit enthielt ganz genaue Anweisungen, an die sich jeder Rabbi zu halten hatte.
Z. Bsp. verlangte die Tora, dass einer Frau zum Zeitpunkt der Scheidung ein schriftlicher Scheidungsbrief ausgehändigt wird (Dtn 24,1-4). In der Tora war jedoch nicht festgelegt, was in der Scheidungsurkunde stehen und wie sie ausgestellt werden sollte. Dies wurde durch eine seit langem bestehende Praxis bestimmt. Somit erfüllte diese Praxis die Absicht des geschriebenen Gesetzes und wurde zum traditionellem Recht.
Viele Generationen war das geschriebene Gesetz nur ein mündliches Gesetz, das von einer Schriftgelehrtengeneration zur anderen weitergegeben wurde. Im dritten Jahrhundert vor Christus wurde dieses Religionsgesetz jedoch verfasst und ist uns heute unter der Bezeichnung Mischna bekannt. Später verfassten jüdische Gelehrte für die Mischna Kommentare, die als Talmud ihre religiöse Vollmacht und ihr Ansehen genossen. So wurde die Religion für den orthodoxen Juden zunehmend zu einer einengenden Einhaltung tausender Gesetzesvorschriften und Bestimmungen.
Die Pharisäer waren überzeugt, dass ihre mündlichen und schriftlichen Traditionen, sowie die Tora aus derselben göttlichen Quelle stammten und denselben Zweck verfolgten; deshalb durften sie auch nicht voneinander getrennt werden. Der Auftrag Jesu bestand nicht darin „das Gesetz und die Propheten aufzulösen” (Mt 5,17). Vielmehr stimmte Jesus mit den Worten Jesajas überein, indem er sagte (Mt 15,8-9): „Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, ihr Herz aber hält sich fern von mir. Nichtig ist, wie sie mich verehren; was sie an Lehren vortragen, sind Satzungen von Menschen.”
Schlussfolgerungen
Wenn wir meinen, dass sich die wahre Kirche in der heutigen Zeit auf menschlichen Traditionen weiterentwickeln muss statt auf Gottes unvergänglichem Wort (Mt 24,35), dann lassen wir uns genauso blenden wie die Pharisäer und Schriftgelehrten damals von ihrer Selbstgerechtigkeit und werden ebenfalls zu Gegnern Christi. Der Glaube beruht nicht auf zwangsvollen Vorstellungen und Regeln der Religionsführer in der heutigen Zeit, die als geschult und kompetent gelten in unserer Gesellschaft. Der Glaube beruht auch nicht auf Äusserlichkeiten und darauf, wer der Grösste ist.
Mt 20,27: „Wer unter euch gross sein will, sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, sei euer Knecht, so wie der Menschensohn nicht gekommen ist um sich dien zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.”
Mt 18,4: „Wer sich also zu den Geringen zählt wie das Kind hier, der ist der Grösste im Himmelreich.”
Sich zu hüten vor dem Sauerteig der Pharisäer bedeutet im 21. Jahrhundert, sich nicht auf Religionsführer einzulassen, die mit eigenen Regeln, Ritualen und Überlieferungen unseren Glauben an Gott manipulieren und abwendig machen wollen. Es ist daher wichtig, dass wir für unseren Glauben selbst die Verantwortung übernehmen und uns nicht an angebliche Vorbilder mit ihren menschlichen Lehren (Dogmen) hängen. Wir werden auch nicht einmal aufgrund unseres theologischen Fachwissens gerichtet, sondern aufgrund unserer Taten (2Kor 5,12): „Denn wir alle müssen vor dem Richterstuhl Christ erscheinen, damit ein jeder empfange, was seinen Taten entspricht, die er zu Lebzeiten getan hat, seien sie gut oder böse.”
Jesus sucht den einfachen und kindlichen Glauben in uns. Er sucht Menschen, die seinem inspirierten Wort (= Bibel) glauben und sich nicht blenden lassen, vom Fortschritt der Zeit. Darum, lasst uns ungeheuchelt und von ganzem Herzen Gott lieben und ihm dienen, mit bestem Wissen und Gewissen!
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