Gleichnis-09: Vom barmherzigen Samariter

Gleichnisse Jesu

 

 

 Einleitung

Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter finden wir in Lukas 10,25-37:
„Zuvor aber muss er viel leiden und verworfen werden von diesem Geschlecht. Und wie es war in den Tagen Noahs, so wird es auch sein in den Tagen des Menschensohnes: Sie assen, tranken, heirateten und wurden verheiratet bis zu dem Tag, da Noah in die Arche ging und die Sintflut kam und alle zugrunde richtete. Und es wird sein, wie es war in den Tagen Lots: Sie assen, tranken, kauften, verkauften, pflanzten und bauten. An dem Tag aber, als Lot von Sodom wegging, regnete es Feuer und Schwefel vom Himmel, und alle wurden zugrunde gerichtet. So wird es auch sein an dem Tag, da der Menschensohn sich offenbaren wird. Wer an jenem Tag auf dem Dach ist und sein Hab und Gut im Haus hat, der steige nicht hinunter, um es zu holen; auch kehre, wer auf dem Feld ist, nicht nach Hause zurück. Denkt an Lots Frau! Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren, und wer es verliert, wird es neu erhalten. Ich sage euch: In jener Nacht werden zwei in einem Bett sein, der eine wird mitgenommen, der andere wird zurückgelassen werden. Zwei werden zusammen mahlen, die eine wird mitgenommen, die andere aber wird zurückgelassen werden. Da werden zwei auf dem Feld sein, der eine wird mitgenommen, der andere wird zurückgelassen werden. Und sie entgegnen ihm: Wo, Herr? Er aber sagte zu ihnen: Wo das Aas ist, da sammeln sich auch die Geier.

Ein jüdischer Gesetzeslehrer stellt Jesus die wichtigste Frage, die es überhaupt gibt und die es gilt, um jeden Preis zu beantworten. Es geht um die zentrale Frage des ewigen Lebens!

Ist es nach dem Leben hier auf Erden aus und vorbei mit uns?

Oder gibt es tatsächlich ein Weiterleben?

Was müssen wir tun, um das ewige Leben zu erben?

Wer diesen zentralsten Fragen ausweicht ist ein Narr und spielt mit seinem Leben! Nichts auf der Welt ist wichtiger, als die klare Antwort zu finden, was mit unserem Leben einmal geschehen wird! Die Antwort darf nicht dem Zufall überlassen werden, denn hier geht es um Leben und Tod. Erst, wenn wir darauf die richtige Antwort gefunden haben, können wir beruhigt an die tägliche Arbeit gehen und allen andern Dingen im Leben die entsprechende Beachtung schenken.

 

 I.   Wie war die Haltung des Schriftgelehrten?

Der Schrifgelehrte kannte die theoretische Antwort ganz genau! Obschon er der Fragende war, begegnete ihm Jesus so, dass er seine Frage auch gleich selbst beantworteten konnte. Der Schriftgelehrte zitierte die Stelle, in der geschrieben stand (Dtn 6,4-10):

„Höre Israel: Der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben, von ganzem Herzen, von ganzer Seele und deiner ganzen Kraft. Und diese Worte, die ich dir heute gebiete, sollen in deinem Herzen bleiben, und du sollst sie deinen Kindern einschärfen, und du sollst davon reden, wenn du in deinem Haus sitzt und wenn du auf dem Weg gehst, wenn du dich niederlegst und wenn du dich erhebst. Du sollst sie als Zeichen auf deine Hand binden und sie als Merkzeichen auf der Stirn tragen, und du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses schreiben und an deine Tore. Wenn dich der Herr, dein Gott, in das Land bringt, das dir zu geben er deinen Vorfahren, Abraham, Isaak und Jakob, geschworen hat: grosse und schöne Städte, die du nicht gebaut hast.“

Fromme Juden trugen diese Bibelstelle ständig auf sich. Entweder auf dem Gebetsriemen, den sie um ihr Handgelenk wickelten. Oder in einem kleinen, zylinderähnlichen Kästchen, das sie auf der Stirn trugen. So konnten sie sich beim Gebet immer wieder dieser wichtigen Gottes Worte erinnern. Doch leider wurde dies zum äusseren Symbol besonderer Geistlichkeit und war damals besonders populär. Jesus tadelte dieses fleischliche Verhalten der Juden (Matthäus 23,5).

In dieser Stelle kommt die Liebe zum Herrn in ihrer Ganzheit zum Ausdruck:

- Mit ganzem Herzen (καρδία – d. h. mit allem was wir empfinden und fühlen können).

- Mit ganzer Seele (ψυχή – d. h. mit unserem ganzen Leben, Willen und Handeln)

- Mit aller Kraft (ἰσχύς – d. h. mit aller menschlichen Kraft, Stärke, Macht, Fähigkeit).

- Mit ganzem Denken (διάνοια – d. h. Denkkraft, Konzentrationsfähigkeit, Intelligenz).

Die Liebe zum Herrn ist nicht einseitig oder halbherzig, sondern sie umfasst das gesamte menschliche Wesen. Wie weit tragen wir diese Liebe zum Herrn an und in uns? Versuchen wir in unserer Gesellschaft die Menschen mit klugen Argumenten (z. B., dass es Gott gibt) zu überzeugen? Oder, wie weit lassen wir sie spüren, dass uns an diesem lebendigen Gott alles daran gelegen ist, weil wir uns seine Gegenwart bewusst sind und mit unserem ganzen Wesen lieben (ἀγαπάω)?

Aus dem Griechischen kann man aus der Art wie der Schriftgelehrte fragte, eine interessante Schlussfolgerung ziehen. Das Wörtchen „tun“ (ποιέω – poieo), steht in der Fragestellung im Aorist und meint eine einzelne Tat. Das ist typisch für einen jüdischen Schriftgelehrten, der dachte, das ewige Leben mit einer einzigen Tat abverdienen zu können. Er fragte also mit andern Worten: „Was gibt es für eine bestimmte Tat, um sich dieses ewige Leben zu verdienen?“ Obschon Jesus seine Gedanken kannte, lobte er ihn für die auswendig gelernte Antwort, die ihm zwar noch nicht viel nützte. Dann setzte Jesus das Wörtchen „tun“ (poieo) in die durative Zeitform, d. h. in den Präsens. Damit ist nicht länger eine einzelne Tat, sondern ein beständiges, fortgesetztes Handeln gemeint.

Der Gesetzeskundige, ein Experte in Bezug auf das mosaische Gesetz, versuchte sich zu rechtfertigen und fragte Jesus: „Und wer ist mein Nächster?“ Vermutlich war es ihm kein echtes Anliegen, die wichtigste Frage der Welt ehrlich zu beantworten. Er wollte Jesus vielmehr in eine Falle führen. Doch Jesus fuhr mit dem Gleichnis vom barmherzigen Samariter fort.

 

 II.   Was sollte der Schriftgelehrte aus diesem Gleichnis lernen?

Er sollte verstehen lernen, dass kein Mensch aus Werken des Gesetzes gerechtgesprochen werden - und schliesslich das ewige Leben ererben kann!

Er sollte erkennen, dass Gott keinen besonderen Unterschied macht zwischen Juden und Heiden, sondern alle Menschen zu Vorbildern werden, die seinen Willen tun! Ausgerechnet ein Samariter wird in diesem Gleichnis als Vorbild hingestellt (auch in Lk 17,16 bei den 10 Geheilten, wo ein Samariter zurückkam). Bei der Begegnung Jesu mit der Samariterin am Brunnen lernen wir nämlich, dass Juden mit Samaritern nicht verkehrten (Joh 4,9).

An einer anderen Stelle wird Jesus von Juden beschuldigt, ein Samariter zu sein.

Johannes 8,48:
„Die Juden entgegneten ihm: Sagen wir nicht zu Recht, dass du ein Samaritaner bist und einen Dämon hast?“

Seit der Reichsspaltung (ca. 933 v. Chr.) zählten die Samariter zu den abgefallenen Gläubigen, die sich mit den Ungläubigen vermischten und somit verunreinigten. Der König Rehabeam bestellte Priester, die keine waren, und baute illegale Anbetungsstätten in Samarien und an anderen Orten (1Kön 12). Damit niemand mehr vom Norden auf die Idee kam nach Jerusalem in den Süden zu reisen, um anzubeten, erbauten die Samariter auf dem Berg Garizim einen eigenen Tempel. Das war natürlich auch in den Augen Gottes verabscheuungswürdig. Hinzu kam, dass der König von Assur damals in Samaria gottlose Syrer ansiedelte, die sich mit dem Volk vermischten (2Kön 17,24).

Zur Zeit Jesu war die Bitterkeit zwischen Juden und Samariter so gross geworden, dass die Juden oft, wenn sie von Judäa nach Galiläa wollten, östlich des Jordans durch Peräa reisten, um so das Gebiet der Samariter zu meiden. Samariter waren in biblischen Zeiten, im Gegensatz zu heute, der Inbegriff des von Gott abgefallenen Menschen. Trotzdem, er sollte lernen was Barmherzigkeit ist und was Jesus bei einer andern Gelegenheit betonte und sagte (Mt 9,13): „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.“

 

 III. Was lernen wir aus diesem Gleichnis?

Wir lernen, was Barmherzigkeit ist!
Was verstehen wir denn unter Barmherzigkeit?
Barmherzigkeit ist nicht bloss ein Gefühl, sondern eine Tätigkeit! Das Wort Barmherzigkeit wird aus „arm“ und „Herz“ gebildet und bedeutet „Arm-Herzigkeit“, d. h. ein Herz für Arme. Dabei handelt es sich nicht bloss um finanziell Arme, sondern es kann sich um Armut auf jedem Gebiet beziehen. Der Mensch, der vom Samariter gepflegt wurde, war lebensgefährlich verletzt und so in Armut geraten. Er war vom Erbarmen des Samariters abhängig, sonst wäre er vielleicht noch gestorben.

Diese Barmherzigkeit (das Erbarmen) wird selbstverständlich vom Mitgefühl angetrieben und treibt einen Menschen zum Handeln, wie wir das bei Jesus sehen: Jesus lehrte nicht nur, sondern er hatte Erbarmen mit dem Volk und heilte ihre Krankheiten: Mt 9,35-36; 14,14.

Aus derselben Motivation heraus speiste er die Viertausend: Mt 15,32.

Auch im folgenden Beispiel sehen wir, dass Barmherzigkeit bei Jesus nicht bloss ein Gefühl ist, obschon es auch vom Gefühl angetrieben wird: Mk 1,40-41.

Mitleidsvolle Barmherzigkeit wird vom Herz der Liebe angetrieben wie ein Motor, der gestartet wird: Kolosser 3,12.

Warum will denn Gott, dass wir mitleidsvolles Erbarmen anziehen? Es liegt in der menschlichen Natur, den andern zu verurteilen und sich besser zu fühlen. Der Prophet Jeremia sagt: Jer 17,9-10.

Z. B. Autoverkehr, beim Einkaufen. Z. B. in der Gemeinde. Gott will uns allen sagen: Habt doch ein Herz und liebt einander mit der göttlichen Liebe, damit eure kurze Lebensprüfung hier auf Erden ein bisschen erträglicher wird! Denn wer Gottes Barmherzigkeit empfangen will, der muss auch mit andern barmherzig umgehen. Das wird uns deutlich vor Augen geführt im Gleichnis vom unbarmherzigen Knecht.

Jesus lehrt das in Matthäus 18,33-35:
„Hättest nicht auch du Erbarmen haben müssen mit deinem Mitknecht, so wie ich Erbarmen hatte mit dir? Und voller Zorn übergab ihn sein Herr den Folterknechten, bis er ihm die ganze Schuld bezahlt hätte.“

Wir lernen, dass es keine Zufälle im Leben gibt!
Die Strasse zwischen Jerusalem und Jericho war als sehr gefährlich bekannt. Jerusalem lag auf dem Berg, etwa 740 Meter über Meer. Jericho dagegen lag in einer Tiefebene in der Nähe des Toten Meeres, 250 Meter unter dem Meeresspiegel. Die Entfernung zwischen den beiden Städten betrug nur etwa 27 Kilometer. Der Höhenunterschied betrug also rund 1000 Meter. Durch gefährliche Wanderwege wie auf den Bergen, zwischen Felsen und Abhängen war diese Reise ein ziemlich waghalsiges Unternehmen. Zudem gab es gerade dort Räuber, die das gefährliche Gelände kannten und zu ihren Gunsten ausnützten, indem sie Menschen überfielen und ausbeuteten.

Genauso ist es in unserem ganzen Leben!
Es ist voller Gefahren und Diebe, die uns ausbeuten und verletzen wollen. Vielen Menschen sieht man die seelischen Verletzungen äusserlich an. Sie sind misstrauisch, in sich gekehrt und fühlen sich elend. Sie brauchen unseren Zuspruch, ein Wort der Liebe, des Erbarmens. Jede Begegnung mit andern Menschen ist kein Zufall, sondern von Gott gewollt und geplant. Gott hat uns alle in eine ganz bestimmte Zeitepoche gestellt und lässt ganz bestimmte Menschen und Charakteren miteinander auf diesem Planet leben. Bei Gott gibt es kein Ansehen der Person (1Sam 16,7), sondern alle Menschen sind gleich (Gal 3,28).

Jesus lehrt in Matthäus 5,7:
„Selig die Barmherzigen – sie werden Barmherzigkeit erlangen.“

Es gibt keine Zufälle, sondern jeder ist unser Nächster!
Darum, lasst uns anders sein als die Welt und lasst uns lernen vom Gleichnis des barmherzigen Samariters! Lasst uns die Liebe und Barmherzigkeit Gottes aufsaugen wie ein Schwamm, bis wir ganz erfüllt sind und von Liebe und Barmherzigkeit nur so tropfen!

Unsere Unfähigkeit dem Herrn zu genügen, soll uns wenigstens einsichtig und demütig machen, soll uns im Umgang mit andern Sündern liebreicher und barmherziger machen, statt abweisend, abwertend und verurteilend: Jak 2,13.

Gottes Gericht misst uns an unserer Barmherzigkeit.
Nur die Barmherzigkeit besteht das Gericht. Wer Gott liebt, der kann seinen Mitmenschen nicht blutend liegenlassen wie der Jude, der Priester und der Levit.

Es geht nicht darum, dass Jesus den Schuldigen freispricht und den Unschuldigen verdammen will. Es geht vielmehr darum, dass wir begreifen, dass es nichts nützt, wenn wir den Herrn anbeten und ihm Opfer bringen, während uns die göttliche Liebe zu unseren Mitmenschen fehlt: 1. Korinther 13,1-3.

Von der Liebe zum Nächsten hängt unser ewiges Leben ab.

Jesus sagt in Matthäus 25,40:
„Wahrlich, ich sage euch: Wiefern ihr es einem dieser meiner geringsten Brüder getan habt, habt ihr es mir getan.“
Am letzten Mittwoch stellten wir einen kleinen Unterschied fest, zwischen den Worten Samuels, der zu Saul sagte: Der Herr sagt: „Gehorsam will ich und nicht Opfer“, und den Worten Jesu aus dem Matthäusevangelium, der lehrte: „Barmherzigkeit will ich und nicht Opfer.“

Unserem Gott geht es nicht um irgendeinen äusseren religiösen Formalismus, sondern um gelebtes Christentum, das in der Gemeinde der Heiligen ihren Anfang nimmt durch die Belehrung und die Ausübung in der Gastfreundschaft und Fürsorge füreinander, und hinführt bis zur Liebe gegen jedermann, selbst die Feindesliebe (Mt 5,44).

Wir sehen; es gibt keine Zufälle, sondern jeder, dem wir begegnen ist unser Nächster, an dem wir die göttlichen Prinzipien der Liebe und Barmherzigkeit üben sollen!

 

 Schlussfolgerungen

Judas 20-23: „Ihr aber, Geliebte, stützt euch auf euren allerheiligsten Glauben, betet im heiligen Geist und bewahrt euch so in der Liebe Gottes, in Erwartung des Erbarmens unseres Herrn Jesus Christus, das uns ins ewige Leben führt. Erbarmt euch derer, die zweifeln! Andere rettet, indem ihr sie aus dem Feuer reisst, wieder anderer erbarmt euch, doch seid dabei auf der Hut - selbst ihr vom Fleisch beschmutztes Untergewand soll euch noch widerwärtig sein!”

Möge der Herr unsere Augen öffnen für die grosse Not und das Elend im seelischen Bereich, die in der Welt herrscht und die vielen barmherzigen Samariter, die nötig sind, um den Weg zum ewigen Leben zu beleuchten.