Griechische Begriffe 1
4. Diatheke = Bund
von William Barclay
Das Wort diatheke ist im Deutschen mit Bund oder Bündnis wiedergegeben. Es ist eins der bekanntesten Wörter in der griechischen Übersetzung des Alten und auch des Neuen Testaments. Es zeigt uns sehr viel von dem Wesen Gottes und das ganze Verhältnis zwischen Gott und dem Menschen.
Im gewöhnlichen, nicht theologischen Gebrauch bedeutet das Wort eine Vereinbarung, die zwischen zwei Parteien getroffen wurde. Gelegentlich wird es auch im AT so gebraucht, so z. B. bei dem Bündnis, das die Gibeoniter mit Josua zu schliessen wünschten (Jos 9,6), bei dem verbotenen Bund mit den Einwohnern des Landes Kanaan (Ri 2,2) und bei dem Bündnis zwischen David und Jonathan (1 Sam 23,18).
Weit öfter wird das Wort aber benutzt, um das Verhältnis darzustellen, das zwischen Gott und dem Menschen zustande kam. So zeugt es in 1. Mose 9,12-17 von dem neuen Abkommen, das Gott nach der Sintflut mit dem Menschen traf und in 1. Moses 17,4-9 von dem Abkommen Gottes mit Abraham. Es wird überall da gebraucht, wo von dem Verhältnis und der Übereinkunft zwischen Gott und dem Volk Israel geredet wird (5. Mose 4,13.23). Es ist der besondere Ausdruck, der gebraucht wird, um das Verhältnis oder das Abkommen zwischen Gott und dem Volk Gottes zu beschreiben.
Im NT wird das Wort in gleicher Weise gebraucht. Der Bund mit Abraham ist noch in lebhafter Erinnerung (Apg 7,8). Das Bündnis mit dem Volk Israel wird noch betont (Apg 3,25; Röm 9,4). Aber vor allem bezeichnet es das neue Verhältnis zwischen Gott und den Menschen, das durch das Leben und den Tod Jesu ermöglicht wurde (Mt 26,28; Mk 14,24; Lk 22,20; 2 Kor 3,6). Es ist ein charakteristisches Wort des Hebräerbriefes, um das neue und bessere Verhältnis zwischen Gott und Menschen zu beschreiben (Hebr 7,22; 8,6.9.10; 12,24; 13,20).
So weit ist alles sehr einfach. Das Problem ist nun, dass das gebräuchliche griechische Wort für ein Bündnis zwischen zwei Menschen syntheke lautet; es wird allgemein benutzt für den Ehebund, für ein Übereinkommen zwischen Personen oder Staaten. In der Umgangssprache bezeichnet diatheke dagegen zu allen Zeiten ein Testament, nicht einen Bund. Kata diatheken ist der reguläre Ausdruck für „gemäss dem Testament.“ Ein Papyrus berichtet von einem Erblasser, der Häuser und Gärten hinterlässt gemäss den letztwilligen Verfügungen (diathekas), die er im Tempel der Aphrodite, beim Gouverneur Eunomides und dem Rechtsanwalt Ktesiphon hinterlegte. Warum benutzt nun das NT immer diatheke und nie syntheke?
Der Grund ist dieser: Syntheke beschreibt stets ein Abkommen zweier gleichgestellter Parteien, ein Übereinkommen, das jeder Bündnispartner ändern kann. Aber das Wort „Bund“ in der Heiligen Schrift bedeutet etwas anderes. Gott und der Mensch treten nicht gleichberechtigt gegenüber. Gott hat uns aus freien Stücken und aus Gnade ein Verhältnis angeboten, das der Mensch nicht verändern oder aufheben, sondern nur annehmen oder ablehnen kann. Das beste Beispiel eines solchen Übereinkommens ist eine letztwillige Verfügung, ein Testament. Die Bedingungen in einer solchen Willenserklärung werden von einer Person gestellt und von der anderen angenommen; letztere kann die gegebenen Bedingungen weder ändern, noch sie selbst aufstellen.
Wir haben unser Verhältnis zu Gott nicht auf Grund eigener Bedingungen und Rechte erworben, sondern es wurde uns ausschliesslich und vollständig, durch die Gnade Gottes geschenkt. Philo sagte: „Ein Bund ist ein Symbol der Gnade, das Gott zwischen sich, dem Spender der Wohltat, und den empfangenden Menschen gesetzt hat. Das Geben ist Gottes, entgegenzunehmen aber kommt dem weisen Menschen zu.“
Das Wort für Bund, diatheke, macht die Gesamtheit unserer Schuld und unserer Pflicht Gott gegenüber deutlich. Wir sind Schuldner, weil unser neues Verhältnis zu Gott allein durch seine Herablassung - und nicht etwa durch unsere eigenen Anstrengungen - zustande kam. Wir haben die Verpflichtung, die Bedingungen Gottes, nämlich Liebe, Glaube und Gehorsam, anzunehmen; wir können diese Bedingungen nicht eigenmächtig verändern. Das Wort selbst zeigt, dass wir Gott nie auf gleicher Ebene begegnen können, sondern nur in Ergebung und Dankbarkeit.
Der Schotte Samuel Rutherfurd entwickelte im 17. Jahrhundert seinen eigenen Katechismus und schrieb darin: „Was bewegte Gott, den Bund der Gnade zu stiften?“ Seine Antwort lautete: „Seine eigene Barmherzigkeit und Gnade, denn als er den Bund schloss, waren wir wie verlassene halbtote Findelkinder, die im Feld ausgesetzt worden waren, um elend umzukommen“ (dieses geschah tatsächlich mit unerwünschten Kindern in Rutherfurds Tagen). Das Wort diatheke schliesst die unabänderliche Wahrheit ein, dass jeder, der vom Verderben gerettet wird, seine Rettung der Barmherzigkeit Gottes zu verdanken hat.