Hesekiel-18: Vom Gerechten und vom Ungerechten

Die Herrlichkeit Gottes

 

 I.   Verse 1-4: Eine Redensart in Israel (12,23).

Hesekiel fragt im Namen des Herrn das Volk: „Wie kommt ihr dazu im Land Israel folgendes Sprichwort zu gebrauchen: ‚Die Väter essen saure Trauben, und den Söhnen werden die Zähne stumpf.’?“ Damit wird behauptet, dass die Kinder die Folgen der Sünden ihrer Vorfahren tragen müssten. Damit klagen sie Gott an und behaupten, der Herr sei ungerecht zu ihnen, weil ihnen ihr Land weggenommen wurde und sie in der Verbannung leben mussten. Auch Jeremia spricht von diesem Sprichwort der Juden (Jer. 31,29).

Im zweiten Könige (2. Kön. 21,10-18; 23,26-27) und im zweiten Buch der Chronik (2. Chron. 23,10-13) finden wir hilfreiche Hintergrundinformationen zu dieser Klage.

Endlich gibt das Volk ein Feedback, zu den Untergangspredigten Hesekiels. Doch das Volk in der Gefangenschaft hat offensichtlich eine selbstgerechte Haltung und sieht nicht ein, was es falsch gemacht hat. Die Menschen pflegen eine Art Selbstmitleid für alles, was vorgefallen ist. Sie schieben die Schuld, für das nationale Desaster, auf die gottlosen Könige und auf die unfähigen Volksführer, kurz auf ihre Vorfahren. Besonders Manasse stand im Visier ihrer Anklage (2. Kön. 24,3). Er allein war der Grund für ihre Notlage. In ihrem Hochmut erkennen sie ihr Selbstverschulden nicht.

Wie viele Menschen in der heutigen Zeit sagen, wenn sie leiden müssen: „Das Leben ist nicht fair!“ „Ich habe das nicht verdient!“ „Warum lässt Gott das zu?“ „Gibt es überhaupt einen Gott?“ Während vieles im Leben Eigenverschulden ist, gibt es auch einige Leiden, die nicht erklärt werden können. Das Volk war der Meinung, dass Gott einen schrecklichen Fehler machte, indem er sie für die Vergehen ihrer Vorfahren strafte (Klag. 5,7).

Das Volk missinterpretierte die zehn Gebote, in denen es heisst (Ex. 20,5): „... ich der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Vorfahren heimsucht an den Nachkommen bis in die dritte und vierte Generation, bei denen, die mich hassen ...“ Hier geht es nicht darum, dass Kinder für die Sünden ihrer Vorfahren gestraft werden! Es geht vielmehr um die Tatsache, dass die Eltern ihren Kindern ein schlechtes Vorbild sein können. Demzufolge wird die Sünde auf weitere Generationen übertragen, wie ein Virus, das alle ansteckt. Kinder neigen dazu, besonders die schlechten Gewohnheiten der Eltern zu übernehmen. Das bedeutet jedoch nicht, dass sie ihrer Eigenverantwortung entledigt sind. Jeder Mensch hat einen freien Willen und kann selbst entscheiden, was er tun oder lassen will. So lehrt es das AT (Gn. 2,17; 4,7; 2. Kön. 14,6; Hes. 3,16-21; 14,12-20; 33,1-20). Nachdem das Volk ein goldenes Kalb anbetete und Mose beim Herrn um Gnade bat, sagte er (Ex. 32,32): „Wenn du ihre Sünde nicht vergibst, ‚so tilge mich aus deinem Buch, das du geschrieben hast.” Doch der Herr antwortete Mose (Ex. 32,33): „Wer gegen mich gesündigt hat, den tilge ich aus meinem Buch.“ In Deuteronomium 24,16 lässt der Herr sagen: „Die Väter sollen nicht mit den Kindern getötet werden, und die Kinder sollen nicht mit den Vätern getötet werden, ein jeder soll für seine eigene Sünde getötet werden.“ Auch Jeremia (Jer. 31,30) und Hesekiel, verkündeten dem Volk, dass das Gericht über sie kommen werde, weil sie den Bund mit Gott gebrochen hatten. Darum lässt Gott das Volk erneut unterrichten, damit sie endlich aufhören, mit ihren falschen Sprichwörtern.

Denn alle Menschenleben (Seele mit Körper!) gehören dem Schöpfergott. Das heisst; er liebt die Väter, als auch die Söhne. Der Herr behandelt alle gleich. Er würde keinen einzigen misshandeln. Sogar Väter und Söhne, die physisch miteinander verwandt sind, werden bei Gott separat behandelt. Er hat zwar die Oberherrschaft über alle, aber er lässt jedem Einzelnen seinen freien Willen. Deshalb können die Sünden der Väter, niemals das Schicksal der Söhne bestimmen. Jeder Mensch kriegt die Gelegenheit, das Gute zu tun und selbst eine persönliche Beziehung zum allmächtigen Gott aufzubauen.

 

 II.   Verse 5-9: Vom Gerechten.

In den Versen 5-18 erwähnt Hesekiel Beispiele, die alle erdenklichen Szenen abdecken. Dabei geht er durch drei Generationen, die seine Hauptaussage immer wieder betont, nämlich: „Der Mensch, der sündigt, der muss sterben!“ In diesen drei Generationen werden drei Könige, des siebten Jahrhunderts, perfekt beschreiben: Hiskia, Manasse und sein Grosskind Josia.

Zuerst wird der Charakter eines gerechten Vaters, gemäss seinen Taten, beschrieben: Er handelt recht (V. 5), das heisst unvoreingenommen, objektiv, was in Gottes Gebote notwendig war (Lv. 19,15-16.35-36; Dt. 25,13-16). Er übt Gerechtigkeit (V. 5), indem er Gottes Gebote befolgt. Er gibt das Pfand zurück (V. 7), das ihm vom Schuldner gegeben wurde. Er ist ein fairer Geschäftspartner, der niemanden über den Tisch zieht (Ex. 22,26). Er gibt den Hungrigen zu essen (V. 7). Er ist gerecht, in Wort und Tat (Jak. 2,14-17). Er versorgt den Nackten mit Kleidung (V. 7). Er erbarmt sich und hilft einem Menschen in Not (Dt. 15,11; 24,19-22). Er fällt ein gerechtes Urteil zwischen zwei Streitenden (V. 8). Er wandelt nach Gottes Gesetz (V. 9) und glaubt, dass es wahr und gerecht ist, d. h. auch er gehorcht dem Gesetz (Dt. 28,1-14). Er hält Gottes Rechtsvorschriften (V. 9), die das Verhältnis unter den Menschen regeln.

Die zweite Liste enthält Charaktereigenschaften eines gerechten Vaters, gemäss dem, was er nicht tut (unterlässt): Er betet nicht die Götzen an (V. 6), die oft auf den Bergspitzen aufgerichtet wurden. Das heisst; er kniet nicht nieder vor ihnen, opfert ihnen nicht usw. Er beteiligt sich nicht an einer Hilfe, die den Mistgötzen zu Gute kommt (blickt nicht respektvoll auf zu ihnen, V. 6: Dt. 12,2-4). Er schläft nicht mit der verheirateten Frau des Nachbarn oder Nächsten (V. 6). Er wünscht sich das auch nicht, wie das ehebrecherische Herz (Ex. 20,14; Lv. 20,10; Dt. 22,22). Er liebt seinen Nächsten wie sich selbst (Lv. 19,18). Er hat keinen sexuellen Umgang mit einer Frau, während sie ihre Tage hat (V. 6). Das war unter dem Gesetz Mose verboten (Lv. 15,24; 18,19; 20,18). Er unterdrückt niemanden (V. 7). Das kann auf vielen Ebenen geschehen, z. B. physische Misshandlung, Erpressung, Einschüchterung oder Bedrohung jeglicher Art. Der Reiche übervorteilte oft den Ärmeren, z. B. Witwen, Waisen und Ausländer (Ex. 22,26-27; Dt. 24,6; Am. 2,8). Er beraubt niemanden (V. 7). In den zehn Geboten wird stehlen ausdrücklich verboten (Ex. 20,15; Lv. 19,13). Er berechnet keine Zinsen und schon gar keine Wucherzinsen (V. 8). Im Gesetz war es geregelt, dass wenn sich einer bei einem Landsmann Geld borgte, der ihm dafür keinen Zins verrechnen durfte. So konnte sich niemand am Bruder bereichern (Ex. 22,25; Lv. 25,35-37; Dt. 23,19-20; Ps. 15,5). Er beteiligt sich nicht am Unrecht (V. 8) in irgendwelcher Form, sondern hält sich an Gottes Gesetz.

In Vers 9 wird die Zusammenfassung des ersten Mannes gemacht. Wer sich an all diese Dinge hält, ist in Gottes Augen gerecht. Der Gerechte aber wird im Land leben, heisst es (Lv. 18,1-5; Dt. 11; 26;16-19; 30,15-20). Darauf gibt der Herr sein Wort („Spruch Gottes, des Herrn“).

 

 III. Verse 10-13: Vom gewalttätigen Sohn.

Der zweite Mann wuchs in günstigen Familienverhältnissen auf. Trotzdem nützte er seine Gelegenheit nicht, weil Gott ihm einen freien Willen gab. Er war also nicht automatisch gerecht vor Gott, nur weil sein Vater gerecht war. Gleichzeitig lernen wir daraus, dass selbst gerechte Eltern, gottlose Kinder haben können. Obschon der Sohn vom Vater vieles hätte lernen können, zog er es vor, immer gerade das Gegenteil zu tun.

Deshalb wird in Vers 13 mit anderen Worten gefragt: „Soll dieser Mann am Leben bleiben, nur weil er der Sohn eines gerechten Vaters ist?“ Die Antwort lautet unmissverständlich: „Nein! Natürlich nicht!“ Warum nicht? – Weil Gerechtigkeit nicht übertragbar ist!

 

 IV. Verse 14-17: Vom gerechten Sohn.

Der dritte Fall handelt von einem Sohn, der die Übertretungen (Sünden) seines Vaters, von Kind auf, tagtäglich beobachtete und erlebte. Doch das Gute am Leben ist, dass dieser Sohn nicht mit dem Charakter seines Vaters verknüpft ist. Gott schuf auch ihn als eigenständige Persönlichkeit, mit einem freien Willen. Er war nicht verpflichtet, dieselben falschen Entscheidungen zu treffen wie sein Vater, noch zwang ihn jemand dazu, gerecht zu leben, wie sein Grossvater. Weder der Gerechte noch der Ungerechte bestimmten seinen Charakter. Er war ein freier Mensch und entschied sich selbst dafür, gerecht zu leben in Gottes Augen. Deshalb heisst es: „... er wird am Leben bleiben.“

 

 V.  Verse 18-20: Der Mensch, der sündigt, der soll sterben!

Nun klagt Hesekiel seine Zuhörer an, indem er ihnen vorhält, dass sie behaupten werden, der Sohn trage die Schuld des Vaters. Doch dem widerspricht der Prophet vehement, indem er antwortet: „Der Mensch, der sündigt, der soll sterben!“ Es gibt keine vererbte Sünde! Folglich ist eine Kleinkindertaufe unbiblisch, weil ein Neugeborenes keine Sünde hat. Es muss seine Sünden nicht abwaschen in der Taufe (Apg. 2,38; 22,16). Denn es hat nichts abzuwaschen, es ist rein. Zudem kann es weder glauben, noch sich zum Herrn bekennen. Es gibt keine solche Ungerechtigkeit bei Gott, dass ein Sohn für die Schuld seines Vaters büssen müsste! Auch die Irrlehre, der Vorherbestimmung eines Menschen, wird damit entkräftet. Jeder Mensch ist mit einem freien Willen ausgestattet worden und kann sich selbst für das Gute oder für das Böse entscheiden. Jeder geistig gesunde Mensch wird einmal vor Gottes Thron stehen und ihm für seine Entscheidungen Rechenschaft geben müssen, die er im Leben getroffen hat.

 

 VI. Verse 21-23: Vom Ungerechten, der umkehrt.

Die persönliche Verantwortung wird durch die biblische Lehre der Umkehr oder Busse unterstützt. Nachdem jemand seine eigenen Sünden eingesehen und reuig bekannt hat, wird er von Gott nicht mehr verurteilt. Weshalb sollte derselbe Mensch dann für die Sünden anderer büssen?

Echte Busse (Reue) beinhaltet zwei Schritte:

1.  Aufhören zu tun, was falsch ist.

2.  Anfangen zu tun, was richtig ist.

Die Folgerung einer solchen Umkehr bedeutet Leben („er muss nicht sterben“)! Ein solcher Mensch war nie vorherbestimmt, sondern diese Umkehr war einzig und allein seine Entscheidung. Nun entscheidet Gott, der Richter des Universums, dass einem einsichtigen Menschen alle andern Vergehen, vor seiner Umkehr, auch vergeben werden. Weshalb tut das Gott? Weil der Herr keine Freude hat, wenn der Gottlose sterben muss. Gottes Wunsch ist es vielmehr, „dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Tim. 2,4; 2. Pet. 3,9). Die Verbannten mussten daran erinnert werden, dass sie es mit einem gnädigen und vergebenden Gott zu tun hatten, der keine Freude hatte, sein Volk zu strafen oder gar sterben zu sehen.

 

 VII. Verse 24-28: Vom Gerechten und vom Ungerechten.

Nun wird der Spiess umgedreht: Wenn ein Gerechter sich der Ungerechtigkeit zuwendet, dann wird er von Gott verurteilt. Auch seine früheren guten Taten werden ihm bei Gott nicht mehr angerechnet (2. Pet. 2,20-22). Dies weist die falsche Lehre zurück, „einmal gerettet, immer gerettet.“

Dabei beklagen sich die Juden, indem sie behaupten, der Herr sei wechselmütig, weil er einmal jemanden gerecht spreche und später wieder verurteile. Gott handle ungerecht, behaupten sie: einmal so und einmal so. Doch Gott ist keineswegs wechselmütig, erklärt Hesekiel. Vielmehr lässt der Herr jedem Menschen seinen freien Willen. Wenn der Mensch sich im Leben einmal für die Gerechtigkeit entscheidet und später für die Ungerechtigkeit, dann ist es der Mensch, der wechselmütig ist; nicht Gott! Das würde ja bedeuten, dass Gott einen Abgefallenen manipulieren müsste, damit er auf dem Weg der Gerechtigkeit bleibt. So etwas würde der Herr niemals tun! Das wäre ungerecht von Gott, wenn er sich bemühen würde und den Einen vor dem Abfall rettet und den Andern verloren gehen lässt.

Der Herr ist gnädig mit jedem, der Gott liebt und nach seinen Geboten leben will. Gleichzeitig richtet der Herr aber auch alle, die die Ungerechtigkeit lieben und sich von Gott und seinen Geboten abwenden. Jeder Mensch kann frei entscheiden, welchen Weg er gehen will. Gott lässt den Menschen verkünden, dass jede Entscheidung seine Konsequenzen hat.

 VIII. Verse 29-32: Kehrt um und bleibt am Leben!

Deshalb lautet die Botschaft an das Volk Israel: Gebt nicht euren Vätern die Schuld für euer Desaster! Ihr seid es, die gesündigt habt und nicht auf die Warnungen der Propheten gehört habt! Ihr seid es, die für eure Widerspenstigkeit und Hartherzigkeit von Gott gezüchtigt und gestraft werdet!

Darum, kehrt um, damit ihr am Leben bleibt!

 

 IX. Schlussfolgerungen zu Kapitel 18

Christen sollen nicht der Versuchung erliegen, andere für ihr Leben verantwortlich zu machen. Ungerechtigkeit ist nicht der Fehler meiner Eltern, meines Ehepartners, oder meiner Umgebung. Jeder Mensch wird einmal vor Gott stehen und für sich selbst verantwortlich sein (Jak. 1,13-15; 2. Kor. 5,10; Joh. 5,28-29).

Sogar gottlose Eltern entledigen uns nicht vor der vollen Eigenverantwortung vor Gott. Es ist falsch, wenn moderne Philosophen behaupten, dass es Menschen gibt, die unfähig sind, ihre eigenen Lebensentscheidungen zu treffen (vor Gericht). Der Mensch ist nicht dazu verflucht, einem vorherbestimmten Plan zu folgen. Jeder Mensch kann ein guter Ehemann oder Vater sein. Jeder Mensch kann eine gute Ehefrau oder Mutter sein. Jeder geistig gesunde Mensch kann ein gutes Kind, gute Grosseltern oder einfach ein guter Mensch sein – wenn er will. Niemand wird dazu gezwungen, jemand zu sein, den er nicht sein will.

Die Lehre der Erbsünde ist falsch.
Jeder bestimmt seine eigene Ewigkeit. Ein Kleinkind ist deshalb ohne Sünde, weil es solche Entscheidungen noch nicht selbst treffen kann, deshalb ist es ein Kind Gottes (Mt. 18,1-4).

Die Lehre „einmal gerettet, immer gerettet“ ist falsch.
Es ist möglich, dass ein Mensch sich vom gerechten Weg abbringen lässt und gottlos wird. Jeder Gläubige kann von Christus abfallen (Gal. 5,1-4). Auch wenn jemand kurz vor seinem Tod zum Glauben kommt, ist er genauso gerettet wie der, der ein Leben lang dabei war (Mt. 20,12).

Hesekiel präsentiert vier Wahrheiten in Bezug auf die individuelle Verantwortung:

1.  Niemand steht unter der totalen Dominanz anderer.

2.  Niemand ist ein Sklave seiner eigenen Vergangenheit.

3.  Jeder kann seine eigene Zukunft wählen.

4.  Jeder ist für seine eigenen Taten verantwortlich.