Hesekiel-34: Gute und schlechte Hirten

Die Herrlichkeit Gottes

 

 I.   Einleitung

Mit dem Untergang der Stadt Jerusalem, ging der Rest der jüdischen Nation buchstäblich durchs Feuer. Die Menschen waren gebrochen, obdachlos, führungslos, priesterlos, heimatlos und entmutigt (vor allem die Gerechten, die besorgt waren, um ihre Nation: Ps. 137). Der Prophet hat nun die Aufgabe, eine freudige Botschaft zu verkünden, die den Juden bessere Zeiten verspricht. Dabei gebraucht er eine bildliche Sprache, die den Menschen damals wohl bekannt war. Eine buchstäbliche Auslegung der messianischen Verheissung, wäre fehl am Platz. Obschon die Wiederherstellung des Tempels vieles gut machte, nach der Rückkehr aus dem Exil, so kann die Zeit unter Serubbabel nicht annähernd als vollständige Erfüllung betrachtet werden.

In der Bibel werden Leiter oder gar Herrscher oft als Hirten bezeichnet: Kyrus (Jes. 44,28 - 45,5). Mose (Jes. 63,11). David (2. Sam. 5,2; Ps. 78,70-71). Jesus (Joh. 10,11). Älteste (Apg. 20,28; 1. Pet. 5,1-3).

Auch wenn es im Volk Gottes viele Leiter gab, waren doch nicht alle gut (Sach. 11,4-17). Gott vertraute ihnen zwar sein Volk, seine Herde, an. Doch die, welche ihre Verantwortung nicht richtig wahrnahmen, brachten Unheil über das Gottesvolk (Jer. 13,17). In Kapitel 19 klagt Hesekiel über die schlechten Fürsten Israels. Er vergleicht sie mit Junglöwen und mit einem Weinstock. Er gibt den Verbannten gute Gründe, nicht länger auf ihren letzten König Zedekia zu vertrauen.

Um die Bedeutung von guter Leiterschaft aufzuzeigen, macht Hesekiel einen lebendigen Vergleich, zwischen den schlechten Hirten der Vergangenheit und Gott, dem einzig wahren und guten Hirten für sein Volk (Ps. 23; Gn. 48,15). Gott plant seine verstreute Herde wieder zu sammeln und ins Land zurückzuführen. Unter seiner Führerschaft würden sie Frieden und Sicherheit finden. Er verspricht ihnen auch einen neuen Hirten einzusetzen, der seiner Berufung treu sein wird.

 

 II.   Verse 1-3: Vier Anklagen gegen die Könige Israels.

Das Bild eines Hirten eignet sich wunderbar, um Leiterschaft auf jeder Ebene gut darzustellen.

Hesekiel wird vom allmächtigen Gott beauftragt, gegen die Hirten, d. h. die Könige Israels auszusagen und ein Weheruf über sie auszusprechen. Ein Weheruf ist eine Warnung und stellt eine Bedrohung dar. Ein Weheruf (Warnruf) Gottes hat Konsequenzen.

Vier Anklagen werden gegen die Hirten Israels erhoben:

1.  Ihr esst das Fett, statt dafür zu sorgen, dass das Volk das Beste kriegt!

2.  Ihr kleidet euch mit Wolle, statt euch zu bemühen, dass sich die Schafe wohlfühlen!

3.  Ihr schlachtet die Schafe in Zeiten, in denen ihr im Wohlstand lebt!

4.  Ihr tut all das, ohne die Schafe zu füttern!

 

 III. Verse 4-6: Verurteilung der Hirten.

Die Hirten Israels waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie vergassen, wofür sie Gott als Leiter eingesetzt hatte (Jer. 2,8; 10,21). Leiterschaft bedeutet für andere zu sorgen, das heisst (Mt. 20,24-28): Schafe zu weiden, leidende zu stärken, Kranke zu heilen, Verletzte zu verbinden. Vom Weg Abgewichene zurück zu führen. Verirrte zu suchen und zur Herde zurück zu bringen. Doch das alles haben die Führer Israels nicht getan. Sie haben sich selbst geweidet, sagt Hesekiel. Wer andere führen will, der erklärt sich einverstanden, anderen zu dienen. Wenn ein Volk für das Land Leiter wählt, dann erhofft es sich Rat, Weisheit, Führung, Urteilsvermögen usw.

Die Leiter haben es verpasst, den Unterdrückten und Armen zu helfen, den Bedrückten, Witwen und Waisen beizustehen.

Stattdessen waren die Könige gottlos, selbstsüchtig, ohne Mitgefühl und Gnade, gleichgültig und grausam oder einfach nur böse.

Die Verantwortungslosigkeit der Führer Israels lehrt uns, wie ein Leiter in der Gemeinde des Herrn führen soll (besonders Älteste). Älteste sind dazu da, um die geistlich Kranken zu heilen, indem sie für sie beten und ihnen Gottes Wort lehren, mit aller Geduld. Älteste sind dazu da, um die Verletzten zu verbinden und die Entmutigten aufzurichten. Älteste sind dazu da, um die Abgewichenen zurück auf den Weg zu führen. Älteste sind dazu da, um die Verirrten zu suchen und vor dem brüllenden Löwen in Sicherzeit zu bringen.

Leiter, die diese Dienste am Volk vernachlässigen, erleben als Folge, dass sich die Schafe zerstreuen (in alle Nationen), dass die Schafe zur leichten Beute werden, für die wilden Tiere (= die gottlosen Völker).

In Vers 6, sowie in den folgenden Versen, wird betont, dass es Gottes Schafe („meine Schafe“) sind, für die die Hirten sorgen sollten.

 

 IV. Verse 7-10: Gott setzt die Hirten ab.

Der Herr macht die Führer Israels verantwortlich, für die Zerstörung Jerusalems und die Wegführung seines Volkes in die babylonische Gefangenschaft (Jer. 25,34-38).

Seine Schafe leiden und sind den wilden Tieren zum Opfer gefallen, weil kein Hirt für sie sorgte.

Deshalb stellt sich Gott gegen die Hirten und deckt sie strafend auf. Der Herr verlangt seine Schafe zurück. Er setzt die Hirten ab (nach der Zerstörung Jerusalems gab es keine Könige mehr in Israel). Er entreisst seine Schafe aus ihren Klauen und versucht zu retten, was zu retten ist (Jer. 50,6.17).

Hier bekommt man fast den Eindruck, als hätten die Schafe keine eigene Verantwortung für ihr Leben. Doch das ist natürlich falsch, denn niemand, ausser ich selbst, kann für meine Sünden verantwortlich gemacht werden. Hesekiel hat das ja auch schon gesagt, aber in diesem Kapitel liegt die Betonung auf der Führerschaft.

 

 V.  Verse 11-16: Gott wird seine Schafe selbst weiden.

Der allmächtige Gott wird sich nun selbst um seine verlorenen Schafe kümmern.

Er wird sie aus allen Völkern einsammeln und wieder in ihr Land zurückführen.

Dieses Bild weist vorausschauend auf das Gleichnis vom verlorenen Schaf hin (Lk. 15,3-7). Jesus erzählte dieses Gleichnis nicht ohne Grund. Ohne Zweifel stützte er sich auf diese Stelle in Hesekiel 34.

Was würde ein guter Hirt tun, der realisiert, dass seine Schafe zerstreut wurden? Das Schlüsselwort ist „Fürsorge.“ Gott ist der gute Hirt (Ps. 78,52f.; 79,13; 80,1; Jes. 40,11; 49,9; Jer. 31,10), weil er für seine Schafe sorgt, weil er sie befreit und herausführt aus den Völkern, weil er sie sammelt, weil er sie ins Land zurückbringt, weil er sie auf gute und saftige Weideplätze führt. Wie David gesagt hat (Ps. 23,1-2): „Der Herr ist mein Hirt, mir mangelt nichts, er weidet mich auf grünen Auen. Zur Ruhe am Wasser führt er mich ...“ „Spruch Gottes des Herrn“ bedeutet: Gott schwört oder verspricht, dass er ihr Hirt sein werde, damit sie in Ruhe und Sicherheit leben können.

Gott verspricht für seine Schafe zu sorgen, indem er das Verlorengegangene sucht, das Versprengte zurückholt, das Gebrochene verbindet, das Kranke stärkt.

Die sich aber an anderen bereicherten, sie unterdrückten und ungerecht behandelten (das sind die Führer des Volkes), können daran erkannt werden, dass sie bereits fett und kräftig sind und deshalb vom gerechten Hirten gerichtet werden.

 

 VI. Verse 17-19: Gott sorgt für Recht zwischen Schafen, Widdern und Böcken.

Bis jetzt war nur von den Königen die Rede, die schlechte Hirten waren. Aber es gibt noch viele andere, die Schuld für Israels Untreue tragen: Jedes Schaf wird einzeln gerichtet. Auch die Widder und Böcke werden gerichtet. Sie repräsentieren die Elite der Gesellschaft. Sie waren die Reichen und Mächtigen des Landes. Auch sie missbrauchten ihre Position, um andere zu unterdrücken und auszunützen. Sie waren unehrlich und taten es ihren Königen gleich.

Gott hat zwei Beispiele, die er als Anklage gegen alle Unterdrücker verwendet: Sie zertraten das Weideland mit ihren Füssen. Sie verschmutzen das Wasser mit ihren Füssen.

Das zeigt, wie rücksichtlos und grausam die obere Klasse war. Sie hatten genügend zu essen und assen sich satt. Statt den Rest für die Armen oder weniger Bemittelten zurückzulassen, zerstörten sie alles. Dasselbe taten sie das mit dem Wasser. Sie tranken und wurden satt. Dann verschmutzten sie mit ihren Füssen das Wasser, so dass niemand mehr daraus trinken konnte.

Doch Gott verspricht, das alles zu richten!

 

 VII. Verse 20-24: Gottes Diener David wird eingesetzt.

Gott betont, dass er selbst („ich selbst“) für Recht sorgen wird. Er wird die fetten Schafe von den mageren trennen. Denn die fetten Schafe sind die, die es sich gut ergehen liessen und die mageren Schafe unterdrückten.

Gott wird allen schwachen Schafen zu Hilfe kommen. Denn sie wurden verdrängt und mit den Hörnern niedergestossen. Das gilt besonders für die Propheten, die im Namen Gottes sprachen und verachtet oder ignoriert wurden. Der Gedanke, dass Gott nun selbst eingreifen und richten werde zwischen den Schafen, ist für alle Schuldigen furchterregend.

Gott wird in Zukunft einen einzigen Hirten einsetzen, für sein Volk. Das wird Gottes Diener „David“ sein. Wer ist mit David gemeint? – Das ist ein klarer Hinweis auf den Messias, Jesus Christus! Jesus ist der verheissene David: Hes. 37,24-25 („Und mein Diener David wird König sein über sie ...“). Das Volk wird zu David zurückkehren, das ist Jesus (Hos. 3,5). Das Volk wird Gott und David dienen (Jer. 30,9).

Im Neuen Testament wird erklärt, dass aus David ein Nachkomme hervorgehen werde, der sich für ewig auf den Thron setzen werde (Apg. 2,29-36). Jesus ist der Sohn Davids (Mt. 1,1; 22,41-46). Jesus ist der gerechte Spross Davids (Jer. 23,5-6; Jes. 11,1-5; Sach. 6,12-13; Off. 22,16). Jesus hat sich für immer auf den Thron Davids gesetzt (Hes. 37,24-28; Dan. 2,44; Ps. 110,4; Heb. 7,17; Off. 1,5-6). Im NT wird Jesus als der verheissene König identifiziert (Mt. 2,2; 27,42; 28,18; Joh. 1,49; 12,13; 18,36-37; Off. 1,5-6). Jesus selbst bezeugt, dass er der gute Hirt sei, der gekommen ist, um sein Leben hinzugeben für die Schafe (Joh. 10,11.14-16). Johannes 10 ist ein guter Kommentar zu Hesekiel 34. Hier wird klar, dass Jesus bereits gekommen ist, um als guter Hirt die Schafe zu weiden. Gott hat Jesus zum Hirten über seine Schafe eingesetzt. Jesus sorgt für die Schafe, wie David früher, ja noch besser! Jesus hat die Nachkommenschaft bereits angetreten, indem er sich auf den Thron setzte, nach seiner Himmelfahrt zu Pfingsten (Apg 2,33-36). Die göttliche Verheissung ist also mit Jesus in Erfüllung gegangen. Gott hat sein Wort einmal mehr gehalten, wie er versprochen hat!

 

 VIII. Verse 25-31: Gott schliesst einen Friedensbund.

Eine Beziehung wird oft als Bund beschrieben (37,26; Jes. 54,10). Es bedeutet einfach, einen Bund der funktioniert. Das Wort „Frieden“ deutet auf die Harmonie hin, die sein wird, wenn die Zeit der Erfüllung gekommen ist.

Dieser Bund bietet folgende Vorteile:

1.  Er bereitet den wilden Tieren im Land ein Ende (V. 26). Wilde Tiere waren eine Gefahr für die Bevölkerung (Lv. 26,6.22). Das Land wird so sicher sein, dass man sogar in den Wäldern schlafen kann. Es ist jedoch vorstellbar, dass hier auf die bösen Herrscher Bezug genommen wird, die die Leute ausbeuteten (34,3; 22,25.27).

2.  Gott sendet Regen des Segens, rund um den Tempelberg (V. 26). Das Land, das verflucht war, wegen den gottlosen Menschen, wird wieder fruchtbar sein (Hos. 2,22; Joel 3,18; Am. 9,13-14; Sach. 8,12). Diese Szene bezieht sich nicht auf das Kommen des Heiligen Geistes! Das alles steht im Zusammenhang mit Gottes Volk, das sich seines Segens erfreut, unter der Leiterschaft ihres Hirten.

3.  Sie werden keine Beute mehr sein für die Völker (V. 28). Die Nordstämme wurden 722 v. Chr. von den Assyrern gefangen weggeführt. Die Südstämme wurden 586 v. Chr. von den Babyloniern gefangen weggeführt.

4.  Sie werden sicher wohnen (V. 27). Gottes Friedensbund wird Sicherheit garantieren, im ganzen Land. Es wird keine Invasionen, keine Plagen und Hungersnöte mehr geben.

5.  Gott macht ihr Land zu einem fruchtbaren Garten (V. 29). Eine Pflanzung einrichten bedeutet, einen fruchtbaren Garten anlegen. Das fruchtbare Land wird ihnen zum weltweiten Ruhm dienen.

6.  Sie werden nicht mehr Opfer des Hungers sein (V. 29). Die Menschen müssen sich nicht mehr fürchten vor Hungersnöten im Land. Denn der Herr wird das Getreide vermehren (36,29).

7.  Kein Volk wird sie mehr verspotten (V.29). Im Hesekiel wird immer wieder gesagt, dass Israel zum Spott geworden ist für die andern Völker (25,6; 36,6.15). Auch in den Psalmen wird das gesagt (Ps. 74,10; 123,3-4). Doch diese Schmähungen werden ein Ende nehmen.

Wenn Israel alle diese Segnungen erfährt, dann wird sie endlich erkennen, wer Gott der Herr ist. Sie werden erkennen, dass der Herr ihnen schon immer ein guter Hirt sein wollte. Doch wegen all ihren Sünden, musste der Herr sie strafen und sich von ihnen zurückziehen. Diese Vision beinhaltet sicher etwas Buchstäbliches. Sie spricht von der Zeit, in der Serubbabel, Esra und Nehemia den Tempel wiederherstellen. Doch besser ist es, diese Vision auf den kommenden David zu beziehen! Erst Jesus Christus wird diese Vision im Himmel einmal vollständig erfüllen, wie das auch Jeremia so voraussagt: Jeremia 31,31-34.

 

 IX. Schlussfolgerungen zu Kapitel 34

Diese Friedensbotschaft bildet ein Fundament für die kommenden fünf Kapitel im Hesekiel (Kap. 35-39).

Gott verspricht dem übriggebliebenen Israel eine neue Zukunft, mit einem neuen Hirten. Doch in diese glorreiche Zukunft schliesst der Herr auch die heidnischen Völker mit ein. Gott lädt alle Menschen ein, zur Teilnahme an seinem Heil: Jesaja 55,3-7. Auch wir Heiden irrten umher wie Schafe, die keinen Hirten hatten (1. Pet. 2,25; 5,4). Doch jeder Gläubige hat sich nun dem Hirten und Beschützer der Seelen zugewandt; Jesus Christus.

Ein guter Leiter dient anderen, wie Jesus uns Menschen diente! Jesus sagt: „Wer unter euch gross sein will, sei euer Diener!“ (Mt. 20,24-28). (Eltern, Ehemänner, Väter oder Mütter können von Leiterschaft in der Bibel viel lernen.) Galater 5,13: „Dienet einander durch die Liebe!“

Darum, lasst uns Jesus nachfolgen, ohne „wenn“ und „aber“, denn er führt uns treu und gerecht. Jesus weidet sich nicht selbst und beutet uns nicht aus. Er gab sein Leben für uns, damit wir ewiges Leben gewinnen, d. h. sein Himmelreich mit ihm teilen dürfen. Er allein verdient unsere Liebe, unseren Gehorsam und unsere ganze Hingabe!