1. Petrus-0h: Geschichtlicher Hintergrund

Leiden, die sich lohnen

 

 

Bis zu diesem Brief wurde im Neuen Testament wenig ausgesagt über das Verhältnis zwischen dem Christentum und der römischen Regierung. Die wenigen politischen Hinweise in den Evangelien behandeln die örtliche Herrschaft der Herodianer, weniger aber das gesamte kaiserliche System; eine Ausnahme bildet der berühmte Satz von Jesus (Mt 22,21): „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört, und Gott, was Gott gehört!” Die Apostelgeschichte rückt die Beziehung zwischen dem Christentum und der römischen Behörde in ein günstiges Licht, vermittelt aber den Eindruck, dass diese Beziehungen eher selten waren. Die Paulusbriefe befassen sich nicht mit politischen Ansichten, sondern fordern Christen lediglich dazu auf, sich der staatlichen Macht unterzuordnen, weil sie von Gott eingesetzt wurde (Röm 13,1-6).

Obschon die Menschen es damals nicht leicht hatten mit der radikalen Regierung aus Rom und jeder dazu seine eigene Meinung pflegte, finden wir wenige Hinweise zur Politik. Dieses Schweigen über politische Ansichten kann auf verschiedene Weise gedeutet werden. Erstens ging es im Christentum um geistliche Ansichten und nicht um politische. Jesus sagte zu Pilatus (Joh 18,36): „Mein Reich ist nicht von dieser Welt, wäre es von dieser Welt, so würden meine Diener darum kämpfen …” Die von Jesus gelehrten Prinzipien hatten zwar politische Konsequenzen, aber weder er noch seine Apostel waren Aufständische oder Unruhestifter.

Ausserdem wuchs das Christentum innerhalb des Judentums auf, als eine religio licita, eine vom Staat erlaubte und geschützte Religion. Rom verfolgte die Politik der Toleranz, solange religiöse Angelegenheiten nicht mit der staatlichen Ordnung in Konflikt gerieten. Solange Christen keine Unruhen verursachten, wurden sie stillschweigend toleriert.

Die Christen, die in der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts mit Rom in Berührung kamen, hinterliessen bei den römischen Behörden einen positiven Eindruck. Paulus verteidigte sich bei mindestens zwei Gelegenheiten und forderte sogar seine Rechte als römischer Staatsbürger ein (Apg 16,36-39; 22,24-29). Doch er konnte auch von sich sagen, dass er sich niemals staatsfeindlichen oder aufständischen Aktivitäten schuldig gemacht hatte (Apg 24,12). Die Gemeinde bemühte sich stets mit friedlichen Mitteln, die Gesellschaft mit dem Evangelium Christi vertraut zu machen.

Gegen Ende des sechsten Jahrzehnts begann sich jedoch die Situation zu verändern. Christen hatten sich vom Judentum vollständig getrennt und wurden als eigenständische Glaubensrichtung betrachtet. Ihr unermüdliches Festhalten am Glauben an den unsichtbaren Gott, den auferstandenen Jesus und das bevorstehende Gericht erregte in der Öffentlichkeit immer mehr Widerstand. Diese Unbeliebtheit wurde immer grösser, sodass unter der Regierung Neros boshafte Anschuldigungen das Volk anheizten. Am Ende der Paulusbriefe ist ersichtlich, wie sehr sich die römische Politik von ihrer Toleranz zur feindseligen Kritik gegen das Christentum veränderte.

Als die christlichen Gemeinden diese veränderte Haltung in der Welt wahrnahmen, wurde ihnen bewusst, dass ihnen grosse Veränderungen bevorstanden. Mit einem Widerstand gegen die Regierung hätten sie gegen ihre eigenen Grundsätze verletzt. Zudem hätten sie damit die Beschuldigungen gegen sie wie ein Feuer angefacht. Waren sie von der Ausrottung bedroht? Wie sollte es mit ihnen weitergehen? Wie gross war der Einfluss der Beschuldigungen Neros in ihrer Provinz? Sie blickten auf ihre Führer und hofften, dass sie Antworten auf ihre Fragen erhielten.

Der erste Petrusbrief wurde geschrieben, um Antworten zu geben auf die Situationen in den betroffenen Gemeinden. Das Gebiet betrifft das nördliche Kleinasien, die Provinzen Pontus, Galatien, Kappadozien, sowie Asien und Bithynien. Wobei Pontus und Kappadozien in der Apostelgeschichte nicht als missionierte Gebiete von Paulus erwähnt werden. Bithynien versuchte er zu bereisen, wurde jedoch daran gehindert (Apg 16,7). Paulus missionierte auch in Galatien und Kleinasien, doch aus den einleitenden Versen entsteht der Eindruck, dass Petrus sich besonders an die Gläubigen der aufgeführten römischen Provinzen wendet, die in den nördlichen Gegenden lebten.

Über den Ursprung und die Mitglieder dieser Gemeinden ist uns wenig bis gar nichts bekannt. Wir wissen nur, dass Männer aus Kappadozien und Pontus an Pfingsten in Jerusalem waren (Apg 2,9). Vielleicht waren sie es, die mit der Botschaft des Evangeliums nach Hause zurückkehrten und Menschen mit Glauben an den Messias und die Ausgiessung des Heiligen Geistes konfrontierten. Da Petrus mit der Gemeinde in Antiochia zusammenarbeitete (Gal 2,11), predigte er vielleicht in diesen Gebieten, da er das Mittelmeer bereiste, während Paulus mehr in Europa tätig war und predigte (1Kor 9,5). Es wird zwar nirgends gesagt, dass Petrus diese Gemeinden besuchte oder gründete, aber es kann auch nicht ausgeschlossen werden. Vielleicht entschied Paulus nicht in diese Provinzen zu reisen, weil er wusste, dass schon jemand anders dort war.

In der Einleitung des Briefes wird der Ausdruck „Diaspora” gebraucht (1,1): „… und die Auserwählten, die als Fremdlinge in der Diaspora leben, …” Diese Worte erinnern uns an die jüdische Diaspora im sechsten Jahrhundert, als die Babylonier in Israel eindrangen, Jerusalem zerstörten und Tausende in ihr Land exportierten (Jer 52,28-30). Deshalb könnte der Eindruck entstehen, dass die „Auserwählten” bekehrte Juden waren, die in der Diaspora (= Zerstreuung) lebten, wie damals im sechsten Jahrhundert. Doch das Gegenteil ist der Fall. Aus dem Brief geht hervor, dass die Empfänger vorwiegend aus Heidenchristen bestanden. Das schliesst Juden nicht aus, aber die folgenden Verse sind eindeutige Hinweise auf eine heidnische Empfängerschaft:

Kapitel 2,10: „Ihr seid die, die einst kein Volk waren, jetzt aber das Volk Gottes sind …”

Kapitel 2,12: „Führt ein wohlgefälliges Leben unter den Völkern” (= Heiden).

Kapitel 4,3: „Denn lange genug habt ihr getan, wonach den Heiden der Sinn steht …”

Paulus erklärt den Ephesern, dass sie sich daran erinnern sollen, dass sie früher als Heiden im Fleisch galten und ausgeschlossen waren vom Bürgerrecht Israels. Sie waren Fremdlinge, d. h. kein Volk Gottes, doch durch den Glauben an Jesus sind sie Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes geworden (Eph 2,11-13.19).

Für Juden waren Heiden Menschen, die den wahren Gott nicht kannten. Als Christen jüdische Begriffe übernahmen, erhielt das Wort „Heide” die Bedeutung von Ungläubigen oder Gottlosen. Deshalb spricht Petrus in den folgenden Versen von Unwissenden:

Kapitel 1,14: „Als Kinder des Gehorsams lasst euch nicht von den Begierden leiten, die euch früher, als ihr noch unwissend wart, beherrscht habt.”

Kapitel 1,18: „Ihr wisst doch, dass ihr nicht mit Vergänglichem, mit Gold oder Silber, freigekauft wurdet aus dem Leben ohne Inhalt, wie es euch von den [heidnischen] Vätern vorgelebt wurde.”

Die Juden wurden streng nach dem Gesetz erzogen, d. h. nach der Gerechtigkeit Gottes und konnten kaum als unwissend bezeichnet werden oder ein sinnloses Leben ohne Inhalt führen. Obschon sich auch Juden in den erwähnten Gemeinden befanden, betraft der frühere Wandel von frevelhaftem Götzendienst eher die Heidenchristen unter ihnen (4,3).

Der Brief wurde in einer Zeit drohender Christenverfolgung geschrieben und sollte eine Warnung als auch eine Ermutigung für alle Gläubigen in kommender Not sein. Ein Schlüsselwort des Briefes ist das Leiden. Den Gemeinden standen unmittelbar vielerlei Prüfungen bevor (1,6). Einige werden zu Unrecht Kränkungen ertragen (2,19) und sollten sich bewusst sein, dass sie auch um der Gerechtigkeit willen leiden werden (3,14.17). Dunkle Tag stehen ihnen bevor, in denen sie mit ihrem Glauben wie durch Feuer hindurch gehen werden, in denen sie „als Mörder, als Dieb oder als Bösewicht leiden müssen” (4,12-16), wie die Verbrecher, die solches tatsächlich verübt haben. Doch als Gläubige Kinder Gottes haben sie keinen Grund sich zu schämen oder gar in Zweifel zu geraten, denn diese kurze Leidenszeit werden alle Christen auf der ganzen Welt durchmachen müssen (5,9), damit sie gestärkt werden im Glauben und sich vor Gott bewähren (5,10).

 

 Fortsetzung Kapitel 1 (Teil 1):  Grüsse