Gleichnis-30: Vom Weinstock

Gleichnisse Jesu

 

 

 Einleitung

Johannes 15,1-8:
„Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weinbauer. Jede Rebe an mir, die nicht Frucht bringt, nimmt er weg, und jede, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie noch mehr Frucht bringt. Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich euch gesagt habe. Bleibt in mir, und ich bleibe in euch. Wie die Rebe aus sich heraus keine Frucht bringen kann, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr es nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun. Wer nicht in mir bleibt, wird weggeworfen wie die Rebe und verdorrt; man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie verbrennen. Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt, und es wird euch zuteil werden. Dadurch wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und meine Jünger werdet.“

Jesus beginnt dieses Gleichnis mit der Behauptung: „Nur ich allein bin der wahre Weinstock!“ Diese Aussage war eine grosse Provokation für Juden.

Juden kannten das Bild vom Weinstock nur zu gut, von den Reden der Propheten im AT.

 

 I.   Der wahre Weinstock

Jesaja 5,1-7: Lied vom Weinberg.
„Erlaubt, dass ich singe von meinem Freund, das Lied meines lieben Freundes von seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg, an steiler Höhe, überaus fruchtbar. Und er grub ihn um und befreite ihn von Steinen, und er bepflanzte ihn mit edlen Reben, und in seiner Mitte baute er einen Turm, und auch eine Kelter schlug er darin aus. Und so hoffte er, dass er Trauben trage, doch er brachte stinkende Fäulnis hervor. Und nun, Bewohner von Jerusalem und Männer aus Juda, richtet doch zwischen mir und meinem Weinberg. Was bliebe noch zu tun für meinen Weinberg, das ich nicht getan hätte? Wie konnte ich hoffen, er würde Trauben tragen - stinkende Fäulnis hat er hervorgebracht! Und nun erlaubt, dass ich euch wissen lasse, was ich mit meinem Weinberg mache: Seine Hecke ausreissen, dann soll er kahl gefressen werden; seinen Zaun einreissen, dann soll er zertreten werden. Und ich habe ihn zur Verwüstung freigegeben, er wird nicht geschneitelt werden und nicht behackt, und Dornen und Disteln werden aufspriessen in ihm. Und was die Wolken betrifft, so werde ich Befehl geben, keinen Regen mehr auf ihn fallen zu lassen. Der Weinberg des HERRN der Heerscharen ist das Haus Israel, und die Männer aus Juda sind, was er aus Leidenschaft gepflanzt hat. Und er hoffte auf Rechtsspruch, doch seht: Rechtsbruch! Und auf Gerechtigkeit, doch seht: Schlechtigkeit!“

Durch die Worte des Propheten Jesajas klagt Gott sein untreues Volk an. Ja, der Herr verurteilt das Volk zum Tod. Und zwar nicht, weil der Weingärtner zu faul war für seinen Weinberg zu sorgen. Oh, was hat er nicht alles getan! Viele Stunden hat er für seinen Weinberg hart gearbeitet und geschwitzt. Doch leider war alles umsonst.

Mit einer provokativen Frage wendet der Prophet sich an das Volk und fragt, was sie denn in so einem Fall mit einem solchen Weinberg machen würden (V. 3-4). In seiner Frage liegt auch gleich die Antwort: zerstören. Denn niemand würde diese Geduld aufbringen, um saure Trauben zu ernten.

So bleibt denn nur noch die Antwort: Zaun und Schutzmauer niederreissen. Tiere können den Weinberg kahlfressen. Ziegen und Schafe sollen ihn zertrampeln. Die Reben werden nicht mehr beschnitten. Der harte Boden wird nicht mehr aufgelockert. Dornen und Disteln sollen ungehindert wuchern. Den Wolken soll verboten werden, auf den Weinberg Regen fallen zu lassen, denn er soll austrocknen.

Der Prophet Jeremia spricht im Namen Gottes zum Volk (Jer 2,21): „Ich aber hatte dich als edle Rebe gepflanzt, als ganz und gar ehrliches Gewächs, und wie hast du dich mir verändert zum abartigen Weinstock - fremd!“

Vers 23: „Wie kannst du sagen: Ich habe mich nicht unrein gemacht, bin nicht den Baalen nachgelaufen!“

Vers 20b: „Auf jedem hohen Hügel und unter jedem saftig-grünen Baum hast du dich als Hure geräkelt!“

Nach all diesen Anklagen kommt nun Jesus und sagt: „Ich bin der wahre Weinstock!“ Gut, diese Worte sprach Jesus nicht direkt zu den Juden. Es sind vielmehr die Abschiedsworte Jesu an seine Jünger. Denn die Jünger verstanden den ganzen Hintergrund ihres jüdischen Volkes und den Anspruch, den Jesus als Gottheit an sie stellte. Jesus lehrt mit anderen Worten seine Jünger:

„Trennt euch vom Weinstock des alten Bundes; von Israel.“ Das Volk Israel ist keineswegs der wahre Weinstock, sondern ein entarteter Weinstock. Israel hat nur kleine und saure Beeren hervorgebracht. Sie ist ein kleines unbedeutendes und gottloses Volk geworden. Je besser es dem Volk ging, desto mehr Altäre bauten sie und desto schöner verzierten sie die steinernen Säulen ihrer Götzen (Hos 10,1)

„Hängt euch an mich, denn ich werde euch dienen, damit ihr viele süsse Früchte hervorbringen werdet!“ Nur die lebendige Gemeinschaft mit Jesus vermag reife Früchte hervorzubringen. Der alte Weinstock Israels ist tot.

„Eure Nationalität nützt euch nichts, sondern ihr seid nur Triebe an Gottes Weinstock, die der Pflanze ihre Kraft entziehen, ohne Frucht zu tragen.” Gott ist der Weingärtner, der mit seinem Messer jede fruchtlose Rebe wegschneidet. Die fruchtlosen Reben sehen täuschend echt aus, aber sie brauchen die ganze Kraft nur für ihr eigenes Wachstum. Für einen Winzer wäre es verantwortungslos, wenn er fruchtlose Reben am Stock lassen würde.

Mit diesem Gleichnis vom Weinstock ermahnt und tröstet Jesus alle seine Nachfolger. Er spricht von Juden als auch von gläubig gewordenen Heiden. Mit anderen Worten; dieses Gleichnis bezieht sich speziell auf religiöse Menschen. Jesus sagt: Religiosität reicht nicht aus, um Frucht zu tragen (= das ist bloss täuschende Äusserlichkeit). Nur wer meine Gemeinschaft sucht, den werde ich reinigen und pflegen, so dass er viel Frucht bringen wird.

Was bedeuten diese Worte Jesu für uns und unseren Glauben?
Es gibt zwei Hauptlektionen, die wir aus diesem Gleichnis ziehen können: Wir werden aufgerufen, mit Jesu Geist verbunden zu bleiben! Wir sind berufen, geistige Frucht zu bringen! Betrachten wir die erste Lektion:

 

 II.   Am Weinstock bleiben

Im ganzen Abschnitt von Johannes 15 (1-17) kommt das Wort „bleiben“ zwölf Mal vor. Solange eine Rebe am Weinstock hängt, kann sie wachsen und heranreifen. Sie wird vom Weinstock, der im Boden seine Wurzeln hat, mit lebenswichtigen Nährstoffen bedient.

Wie bleiben wir als Reben am Weinstock Jesu Christi?
Wir bleiben in Jesus, wenn wir in seinem Wort bleiben! In seinem Wort bleiben bedeutet aber auch, seinem Wort gehorsam zu sein. Seinem Wort gehorsam zu sein hat zur Folge, dass wir mit Jesus und den übrigen Reben am Weinstock in Gemeinschaft stehen. Am Weinstock zu bleiben bedeutet also mit Jesus und den übrigen Reben eng verbunden zu sein und Gemeinschaft zu pflegen. Mit anderen Worten: Die örtliche Gemeinde ist überlebenswichtig für unseren Glauben. Nur durch die Gemeinde bleiben wir miteinander verbunden und gehören zum selben Weinstock. 

Viele Ausleger setzen die Betonung in diesem Gleichnis auf Jesus Christus. Sie sagen: „Um Frucht zu bringen, musst du nur mit Jesus verbunden sein.“ Das passt natürlich sehr gut in unsere Zeit! Es fördert den Individualismus und die Unabhängigkeit des Glaubens! Doch, jeder Weinstock bringt mehrere Reben hervor, die sinnbildlich die örtliche Gemeinde bilden. Denn, Jesus ist das Haupt seines Leibes, d. h. der Gemeinde (Eph 1,22).

Am Weinstock – d. h. in Jesus – bleiben bedeutet auch, einer örtlichen Gemeinde anzugehören und treu zu sein. Es bedeutet, mit den übrigen Glaubensgeschwistern, in einem und denselben Geist, verbunden zu bleiben (Röm 10,12): 1 Kor 12,12-27; Phil 2,1-4.

Das Gleichnis vom Weinstock will uns in keinem Fall ein Bild vom individuellen Christentum zeigen, wo jeder beliebig kommen und gehen darf. Im Gegenteil! Die starke Lektion dieses Gleichnisses ist die Verbundenheit, die Einheit, die Gemeinschaft, die Treue. Gläubige einer örtlichen Gemeinde sind füreinander da (Gal 6,2). Ein christusbezogener Glaube, ohne Gemeinde oder ohne Verantwortungsbewusstsein für eine Gemeinde, ist unnatürlich und tot!

Das Gleichnis erinnert an einen herbstlichen Weinberg mit gesunden Weinstöcken, aus denen viele Reben hervorwachsen, die voll von süssen Beeren sind und auf ihre Ernte warten.

Die zweite Lektion:

 

 III. Viel Frucht bringen

Wie bringen wir viel Frucht?
Vom Bleiben im Glauben an Christus haben wir bereits gesprochen. Ohne Christus, den Weinstock, können wir keine Frucht bringen, das ist klar.

Ich bin heute fest davon überzeugt, dass bei diesem Gleichnis der ganze Abschnitt (V. 1-17) gelesen werden muss. Denn in den Versen 9-17 folgt die Auslegung dieses Gleichnisses. Im gleichen Atemzug, indem Jesus sagt: „Bleibt in mir“ (als dem Weinstock), sagt er auch „Bleibt in meiner Liebe“.

Jesus ist der Weinstock der Liebe!
Gesunde Liebe bedeutet Gemeinschaft und Treue. Gesunde Liebe bedeutet Einigkeit, Freundschaft, Verbundenheit.

1. Johannes 4,20:
„Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, und er hasst seinen Bruder, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder, den er vor Augen hat, nicht liebt, kann nicht Gott lieben, den er nicht vor Augen hat.“

Die geistliche Frucht, die wir hervorbringen, wächst aus der Liebe Christi und beinhaltet (Gal 5,22): „Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Güte, Rechtschaffenheit, Treue, Sanftmut und Selbstbeherrschung.“

Wer hat schon einen Weinstock gesehen, der zwar viele Reben hatte, aber jeweils nur einzelne Beeren aufwies? Was für ein unnatürliches Bild?! Ein Bild, das in der Natur niemals vorkommt! In der Natur ist es vielmehr so, dass an jeder Rebe mehrere Beeren hängen. Wer mit dem Weinstock Christi verbunden bleibt, der wächst im Glauben heran und bringt die köstlich süsse Frucht hervor, die vom Weingärtner gewünscht wird.

Wir alle sind dazu berufen viel Frucht zu bringen (d. h. gute Werke der Liebe). Unsere fleischlichen Werke haben wir Gläubigen samt ihren Leidenschaften und Begierden gekreuzigt (Gal 5,19-21.24). Wir bringen Frucht,

- indem wir uns auftanken lassen vom Wort des Lebens, um heranzureifen,

- indem wir viel wärmende Sonne der Liebe geniessen und andern diese Liebe weitergeben,

- indem wir uns in der Anbetung Gottes vom Geist erfüllen lassen und andern mit diesem gesunden Geist begegnen.

 

 Schlussfolgerungen

Wir sind berufen für Gott Frucht zu bringen (Röm 7,4).

1. Petrus 4,8:
„Haltet vor allem an der Liebe zueinander fest, ohne nachzulassen! Denn die Liebe deckt die Fülle der Sünden zu.“

2. Petrus 1,5-11:
„Und eben darum sollt ihr euch eifrig bemühen, in eurem Glauben Tugend zu zeigen, in der Tugend Einsicht, in der Einsicht Selbstbeherrschung, in der Selbstbeherrschung Beharrlichkeit, in der Beharrlichkeit Frömmigkeit, in der Frömmigkeit Menschenfreundlichkeit, in der Menschenfreundlichkeit Liebe. Denn das alles, was bei euch wirksam ist und sich mehrt, lässt euch weder untätig noch erfolglos sein, wenn es um die Erkenntnis unseres Herrn Jesus Christus geht. Wem dies nicht gegeben ist, der ist blind, kurzsichtig, der hat vergessen, dass er gereinigt worden ist von den einst begangenen Sünden. Darum, meine lieben Brüder und Schwestern, bemüht euch umso mehr, eure Berufung und Erwählung zu festigen; wenn ihr dies tut, werdet ihr niemals zu Fall kommen. Denn so wird euch auf vielerlei Weise grossmütig Zugang gewährt werden zur ewigen Herrschaft unseres Herrn und Retters Jesus Christus.“

Es ist nicht von ungefähr, dass wir beim Abendmahl von der Frucht des Weinstocks trinken, um uns an unseren lebendigen Weinstock, Jesus Christus, zu erinnern. Er schenkt uns die Kraft und die Energie zum Leben! Während Gott, der Weinbauer, die unechten und schmarotzerischen Triebe wegschneidet, damit wir noch mehr wachsen und heranreifen können. Darum wollen wir uns befleissigen in allen guten Werken, gesunde Triebe zu sein, damit Gott durch Jesus Christus in und durch uns verherrlicht wird!