Begriffe2-04: Eidolatreia – Götzendienst

Fleisch oder Geist

William Barclay

 

Für einen modernen Menschen ist es schwer, den Götzendienst zu verstehen. Wir können nicht verstehen, wie jemand ein Stück Holz, Stein oder Metall verehren kann, wie schön es auch immer geformt sein mag oder wie kostbar Schmuck und Verzierungen daran auch sein mögen. Das ist sogar noch schwerer zu verstehen, wenn wir bedenken, dass viele antike Götzenbilder alles andere als schön waren. So war zum Beispiel das Bild der Artemis oder Diana in dem berühmten Tempel zu Ephesus eine schwarze, gedrungene, ungeschlachte Gestalt, mit vielen Brüsten bedeckt, ganz und gar unschön.

Anfangs betete auch niemand die Götzenbilder an. Sie hatten lediglich die Bedeutung, den dargestellten Gott an einen Ort zu binden und ihn sichtbar zu machen. Das Bild sollte es dem Menschen einfacher machen, den dargestellten Gott anzubeten. Aber als man einmal so weit gegangen war, war es fast unvermeidlich, dass der Mensch nun das Götzenbild anbeten würde anstatt den Gott, den es darstellte. Nehmen wir als Beispiel die Entwicklung der Anbetung der Kaiser im römischen Weltreich. Diese begann als Ausdruck des Dankes für die Sicherheit, den Schutz, die Gerechtigkeit und die Ordnung, die Rom den Menschen brachte. Rom säuberte die Meere von Piraten und die Strassen von Räubern. Es führte rechte Gerichte ein anstelle der Willkür der Tyrannen. So dankbar waren die Menschen Rom für seinen starken Arm und die unparteiische Rechtsprechung, dass sogar Könige vor ihrem Tod Rom ihre Länder vermachten. Aus dieser Dankbarkeit erwuchs die Anbetung der Göttin Roma, des Geistes Roms. Diese Anbetung gab es schon mehr als ein Jahrhundert vor der Anbetung des Kaisers. Aber die Menschen wollten immer etwas Sichtbares. Rom und der Geist Roms waren im Kaiser verkörpert. Deshalb wurde die Anbetung auf den Kaiser selbst übertragen, ein Phänomen, das zuerst die römischen Kaiser in Verlegenheit brachte und das sie versuchten abzuschaffen. Aber für die Bewohner am Rande des grossen Reiches war der Kaiser nicht mehr als ein Name; man errichtete deshalb Statuen und übertrug die Anbetung auf sie. Zuerst war es der unsichtbare Geist Roms, dann der sichtbare Kaiser, dann die gegenwärtige Statue.

Hier begegnen wir nun dem ersten grundlegenden Irrtum der Götzenanbetung. Sie ist die Anbetung des geschaffenen Dinges und nicht des Schöpfers aller Dinge. Genau das schreibt Paulus in seiner Darstellung des Ursprungs des Götzendienstes:

„Denn was man von Gott erkennen kann, ist unter ihnen offenbar; denn Gott hat es ihnen offenbart. Denn Gottes unsichtbares Wesen, das ist seine ewige Kraft und Gottheit, wird seit der Schöpfung der Welt ersehen aus seinen Werken, wenn man es wahrnimmt, so dass sie keine Entschuldigung haben. Denn obwohl sie von Gott wussten, haben sie ihn nicht als Gott gepriesen noch ihm gedankt, sondern sind dem Nichtigen verfallen in ihren Gedanken, und ihr unverständiges Herz ist verfinstert. Da sie sich für Weise hielten, sind sie zu Narren geworden und haben verwandelt die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild gleich dem eines vergänglichen Menschen und der Vögel und der vierfüssigen und der kriechenden Tiere“ (Röm 1,19-23).

Solchen Götzendienst gibt es auch heute noch. Auch heute können wir es erleben, dass Menschen die Dinge anbeten anstatt den Schöpfer. Der Gott eines Menschen ist das, dem er seine Zeit, seine Mittel und seine Begabung widmet, dem er sich selbst hingibt. Das kann zum Beispiel ein äusserer Beweis seines Wohlstandes und Erfolges sein, etwa ein Haus in einem bestimmten Stadtteil, ein bestimmter Autotyp, ein Möbelstück oder irgendein Haushaltsgerät, das von vielen begehrt, aber nur von wenigen erlangt wird. Wir gehen wohl nicht zu weit, wenn wir sagen, dass ein solches Standeszeichen, der Abgott eines Menschen ist, denn um es zu erlangen, gibt er sich selbst hin. Wenn irgend etwas in dieser Welt in unserem Herzen und in unserem Streben den ersten Platz einnimmt, dann ist es ein Abgott geworden, weil es sich des Platzes bemächtigt hat, der eigentlich Gott gehört.

Es ist interessant, dass bei Paulus Götzenanbetung gleich der Wortgruppe folgt, die die sexuellen Sünden beschreibt. In der antiken Welt waren Götzendienst und sexuelle Unmoral eng miteinander verbunden. Der Schreiber der Weisheit Salomons sagt: „Denn Götzen aufrichten ist der Hurerei Anfang; und sie erdenken, ist des Lebens Verderben“ (Weisheit 14,12). Woher kommt diese Verbindung?

Im AT ist der Zusammenhang sehr lebendig und dramatisch dargestellt. Im zweiten Kapitel des Propheten Hosea lesen wir, dass die Mutter, nämlich Israel, sagte: „Ich will meinen Liebhabern nachlaufen, die mir mein Brot und Wasser geben, Wolle und Flachs, Öl und Trank.“ Die Stimme Gottes antwortete: „Aber sie will nicht erkennen, dass ich es bin, der ihr Korn, Wein und Öl gegeben hat“ (Hos 2,7.10). Ehe die Israeliten Kanaan eroberten, wurden dort die Baalim, die Fruchtbarkeitsgötter angebetet. Sie waren die mächtigen Götter, die hinter dem Wachstum der Ernte standen. Sie waren es, die Korn, Öl und Wein gaben. Ihnen wandte sich Israel zu, das doch die Braut Gottes war. Deshalb sagte man von dem Volk, dass es mit fremden Göttern buhlte, und Ehebruch wurde zum Symbol für die Abtrünnigkeit und Untreue, in der sich Israel von Gott als seinem „Ehepartner“ abwandte, um sich einen Partner unter den falschen Göttern zu suchen.

Wir haben bereits erwähnt, dass von allen Kräften des Wachstums und des Werdens die Geschlechtskraft die stärkste ist. Deshalb wurde der Geschlechtsakt zu einem Akt der Anbetung und Verherrlichung Gottes. Die Ausstattung der antiken Tempel mit heiligen Prostituierten wurde zur Sitte, und der Geschlechtsverkehr mit diesen Frauen wurde darum Ausdruck der Anbetung der Lebenskraft.

Natürlich war ein solcher Gottesdienst für die niederen Instinkte im Menschen verlockend. Der natürliche Mensch zog das bei weitem der freudlosen Strenge der wirklichen Anbetung vor. Hierin lag die schreckliche Gefahr der Baalsanbetung, gegen die die Propheten des Alten Testaments leidenschaftlich predigten.

Die Tragödie des Götzendienstes war zweifach. Die Menschen beteten das Geschaffene und nicht den Schöpfer an, und sie bedienten sich eines Aktes als Anbetung, der an sich gut ist, aber so wie sie ihn gebrauchten zur Sünde wurde. Mit einem Schlag vernichtete also der Götzendienst Reinheit und wahre Anbetung.