Begriffe1-02: Aionios – das Wort für Ewigkeit

Griechische Begriffe 1

2.  Aionios = Ewigkeit

von William Barclay

 

Wir tun gut daran, die wirkliche Bedeutung des Wortes aionios zu erforschen. Im NT wird es gewöhnlich mit ewig übersetzt. Es wird angewandt für ewiges Leben und ewige Herrlichkeit, der Christen höchster Lohn, und für ewiges Gericht und ewige Qual, die der grösste Schrecken der Christen sind.

Selbst im klassischen Griechisch und im nichtreligiösen Sprachgebrauch ist es ein ausser-gewöhnliches Wort mit geheimnisvollem Klang. Das Wort selbst ist ein Adjektiv, gebildet von dem Substantiv aion.

Im klassischen Griechisch hat dieses Wort aion drei hauptsächliche Bedeutungen.
1. bezeichnet es die Dauer eines Lebens. Herodot spricht vom Ende unseres aion (Herodot, 1), Aeschylus davon, einem Mann seines aion zu berauben (Aeschylus, Prometheus 862) und Euripides davon, seinen aion aufzubrauchen (Euripides, Fragment 801).

2. bedeutet es ein Zeitalter, eine Generation oder eine Epoche. So konnten die Griechen von dem gegenwärtigen aion und dem kommenden aion sprechen, von dem gegenwärtigen und dem kommenden Zeitalter.

3. bezeichnet das Wort auch eine sehr lange Zeitspanne. Die präpositionale Redewendung ap’aionos bedeutet von alters her, und di’aionos heisst unaufhörlich, für immer. Gerade hier beginnt das Geheimnisvolle sich zu zeigen. In den Papyri lesen wir, dass die Volksmenge bei öffentlichen Versammlungen ausrief: „Der Kaiser eis ton aiona -, der Kaiser lebe ewig!“ Das Adjektiv aionios wird im hellenistischen Griechisch die bevorzugte Bezeichnung für die Macht des Kaisers. Die königliche Macht Roms sollte unaufhörlich bestehen. Wie Milligan sehr richtig sagt, beschreibt das Wort aionios also „einen Zustand, dessen Ende nicht abzusehen ist.“ Aionios ist die Bezeichnung für weite Entfernungen, der Begriff, der über die Zeit hinausreicht, das Wort für Ewigkeit.

Es war Platon, der dem Wort aionios seine spezielle mysteriöse Bedeutung gab; vielleicht hat er es sogar geprägt. Kurz gesagt, bedeutet das Wort für Platon Ewigkeit im Gegensatz zu Zeit. Platon will damit das andeuten, „was weder Anfang noch Ende hat, was weder Veränderung noch Verfall unterliegt, was jenseits der Zeit ist, von dem die Zeit aber ein veränderliches Abbild ist.“ Platon versteht darunter nicht einfach eine unbegrenzte Dauer - wir müssen auf diesen Punkt später noch einmal zurückkommen -, sondern das, was über und jenseits der Zeit ist. In „Die Gesetze“ 904 spricht er davon, dass die Seele und der Körper unzerstörbar sind, aber nicht ewig. Es gibt einen Unterschied zwischen einem immerwährenden Existieren und der Ewigkeit, denn Ewigkeit ist im Besitz der Götter, nicht der Menschen. Die bedeutendste Aussage von Platon finden wir in „Timaeus“ (37). Dort spricht er vom Schöpfer und dem erschaffenen Universum, „die erschaffene Herrlichkeit der ewigen Götter.“ Als der Schöpfer sein Universum ansah, freute er sich darüber, und er wünschte, es dem ewigen Universum so ähnlich wie möglich zu machen. Aber „es war unmöglich, dem Geschaffenen Ewigkeit zu verleihen.“ So schuf er die Zeit, als vergängliches Abbild der Ewigkeit.

Der wesentliche Sinn dieses Bildes ist, dass die Ewigkeit immer gleich ist und immer unteilbar, es gibt darin kein Erschaffen und kein Werden, keinen Altersunterschied und keine Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft. Dort gibt es kein war oder wird sein, sondern nur ein ewiges ist. Dass wir diesen Zustand in der erschaffenen Welt nicht haben können, ist klar, aber trotzdem ist die geschaffene Welt in ihren Grenzen ein Abbild der Ewigkeit.

Das also ist der springende Punkt. Das Wort aionios meint die ewige Ordnung im Gegensatz zur Ordnung dieser Welt; es ist das Wort für Göttlichkeit im Gegensatz zu Menschlichkeit. Es beschreibt das Wesen Gottes und kann, richtig angewendet, nur auf Gott bezogen werden. Aionios beschreibt nichts weniger und nichts anderes als das Leben Gottes.

Nun wollen wir uns dem Gebrauch des Wortes aionios im NT zuwenden. Die wichtigsten Stellen, in denen das Wort benutzt wird, beziehen sich auf ewiges Leben. Gerade da ist sein Gebrauch so wichtig, dass wir diese Stellen gesondert behandeln müssen. Zunächst wollen wir uns einen Überblick über alle anderen Anwendungsmöglichkeiten verschaffen. Dabei müssen wir beachten, dass aionios das charakteristische, ausgeprägte Wort für ewig ist und dass es seinem Wesen nach eigentlich nur Gott zugehört und nur auf Gott zutrifft. Es findet Anwendung für die grossen Segnungen des christlichen Lebens, die uns durch Christus zuteil wurden.

Es wird für den ewigen Bund gebraucht, in dem Christus der Mittler ist (Hebr 13,20). Ein Bund bedeutet ein bestimmtes Verhältnis zu Gott. Durch Jesus Christus treten Menschen in diese Beziehung zu Gott, die ewig ist, wie er selbst.

Es wird benutzt für die ewigen Wohnungen, in welche die Christen aufgenommen werden (Lk 16,9; 2 Kor 5,1). Die endgültige Bestimmung der Christen ist ein Leben, das nichts anderes ist als das Leben Gottes.

Es wird angewandt für die ewige Erlösung und das ewige Erbe, das die Christen durch Jesus Christus empfangen (Hebr 9,15). Die Sicherheit, die Freiheit, die Vergebung, die Christus für die Menschen errungen hat, sind ewig wie Gott selbst.

Es bezeichnet die Herrlichkeit, in welche die treuen Christen eingehen werden (1 Petr 5,10; 2 Kor 4,17; 2 Tim 2,10). Gottes eigene Herrlichkeit erwartet dort die Gläubigen.

Ebenso wird es in Verbindung mit den Worten Hoffnung und Heil benutzt (Tit 3,7; 2 Tim 2,10). Es gibt nichts Vergängliches, Unbeständiges, Zerstörbares in der Hoffnung und dem Heil der Christen; selbst eine andere Welt könnte nichts daran ändern, sie sind so unveränderlich wie Gott selbst.

Es wird auch gebraucht für das Reich Christi (2 Petr 1,11). Jesus Christus ist unübertrefflich; er ist nicht eine Stufe auf dem Weg, seine Bedeutung für uns ist die Darstellung Gottes selbst.

Es findet Anwendung in Verbindung mit dem Evangelium (Offb 14,6). Das Evangelium ist nicht eine von vielen Offenbarungen, es ist nicht lediglich eine Stufe auf dem Weg der Offenbarung, es ist in der Zeit erschienene Ewigkeit.

Während also aionios gebraucht wird, um die grössten Segnungen des Christenlebens zu beschreiben, muss es notwendigerweise auch die grössten Bedrohungen kennzeichnen. So wird es für das Feuer der Verdammnis benutzt (Mt 18,8; 25,41; Jud 7). Es bezeichnet die Strafe selbst (Mt 25,46), das Gericht (Hebr 6,2), und das Verderben (2 Thess 1,9). Schliesslich beschreibt es auch die Sünde, die den Menschen endgültig von Gott trennt (Mk 3,29). Gerade an diesen Stellen müssen wir besonders sorgfältig bei der Erklärung des Wortes sein. Zu sagen, dass etwas für immer andauert, ist nicht genug. Bei all diesen Stellen müssen wir an das Wesen des Wortes aionios denken. Aionios ist das Wort für Ewigkeit im Gegensatz und Vergleich zur Zeit. Es ist das Wort für Göttlichkeit im Gegensatz und Vergleich zur Menschlichkeit. Es ist das Wort, das in Wirklichkeit nur auf Gott Anwendung finden kann. Wenn wir das bedenken, erkennen wir eine ungeheure Wahrheit: beide, die Segnungen, die der Glaubende ererben und die Verdammnis, die der Ungläubige empfangen wird, sind derart, dass es nur Gott zukommt, sie auszuteilen. Das darf einfach nicht übersehen werden. Zu sagen, dass das Wort aionios in Verbindung mit Segen und Verdammnis nichts anderes als für immer bedeutet, hiesse, die Sache zu sehr zu vereinfachen und auch das Wort vollkommen misszuverstehen. Es bedeutet eben doch weit mehr. Es liegt in der Natur der Sache selbst, dass nur Gott sie spenden und auferlegen kann; darüber hinaus können wir Menschen nicht gehen, sondern uns nur daran erinnern, dass dieser Gott heilige Liebe ist.

Nun wollen wir uns dem häufigsten Gebrauch des Wortes aionios im NT zuwenden und zwar dem, der in Verbindung mit der Redewendung ewiges Leben steht. Wir müssen wiederum damit beginnen zu betonen, dass aionios das Wort für Ewigkeit im Gegensatz zu Zeit ist, für Göttlichkeit im Gegensatz zu Menschlichkeit und dass daher ewiges Leben nichts Geringeres ist, als das Leben Gottes selbst.

1. Die Verheissung des ewigen Lebens ist die Einladung an den Christen, nichts Geringeres als die Macht und den Frieden Gottes zu teilen. Ewiges Leben ist die Verheissung Gottes (Tit 1,2;
1 Joh 2,25). Gott hat uns einen Anteil an seiner eigenen Glückseligkeit verheissen, und Gott kann sein Versprechen nicht brechen.

2. Das NT geht aber noch weiter. Ewiges Leben ist nicht nur die Verheissung sondern auch das Geschenk Gottes (Röm 6,23; 1 Joh 5,11). Wie wir sehen werden, ist ewiges Leben nicht bedingungslos; dennoch bleibt bestehen, dass Gott es dem Menschen aus Gnade und Barmherzigkeit gibt. Es ist etwas, was wir weder erwerben noch verdienen konnten, es ist ein freies Geschenk Gottes an die Menschen.

3. Ewiges Leben ist untrennbar mit Christus verknüpft. Christus ist das lebendige Wasser, das uns ewiges Leben bringt (Joh 4,14). Er ist die Nahrung, die den Menschen ewiges Leben gibt (Joh 6, 27.54). Seine Worte sind Worte des ewigen Lebens (Joh 6,68). Er gibt nicht nur ewiges Leben, sondern ist selbst das ewige Leben (1 Joh 5,20). Mit anderen Worten, durch Christus können wir die allerengste Gemeinschaft - eine Einheit - mit Gott erlangen, die auf keine andere Weise möglich ist. Durch das, was er ist und tut, können Menschen in Gottes eigenes Leben eintreten.

4. Dieses ewige Leben kommt durch das, was das NT Glauben an Jesus Christus nennt (Joh 3,15-16.36; 5,24; 6,40.47; 1 Joh 5,13; 1. Tim. 1,16). Was bedeutet glauben? Es ist klar, dass hier nicht einfach verstandesmässiges Fürwahrhalten gemeint ist. Glauben an Christus bedeutet, dass wir absolut und unbedingt darauf vertrauen, was Jesus uns über Gott offenbart.

Wenn wir wirklich glauben, dass Gott der Vater ist, dass Gott Liebe ist, dass Gottes Sorge um den Menschen so gross ist, dass er seinen Sohn in die Welt sandte, um für sie zu sterben, so ändert das unser Leben vollkommen, denn es bedeutet, dass unser Leben in den Händen der Liebe Gottes geborgen ist. Darüber hinaus sagt uns dieser Glaube, dass Jesus wirklich der Christus ist.

Das Vertrauen, das wir in eine Aussage setzen können, hängt doch ganz und gar von der Einstellung der Person ab, die diese Aussage macht. So müssen wir uns hier fragen: Wie kann ich ganz sicher glauben, dass das, was Jesus über Gott sagt, wahr ist? Die Antwort heisst: Weil Jesus das einzige Recht hatte über Gott auszusagen, da wir ja glauben, dass er der Sohn Gottes ist! So erlangen wir also ewiges Leben durch den Glauben, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Aber der Glaube reicht noch weiter. Wir glauben, dass Gott der Vater und die Liebe ist, weil wir glauben, dass Jesus, der Sohn Gottes, uns die Wahrheit über Gott gesagt hat - und dann handeln wir im Glauben. Wir leben in der Gewissheit, dass wir nichts tun können, als Gott in vollkommenem Vertrauen und Gehorsam zu dienen.

Wir sagten schon, dass ewiges Leben ein Geschenk Gottes ist. Alle Gaben Gottes werden uns frei geschenkt, aber sie werden nicht einfach weggegeben. Sie sind da für uns, aber wir müssen sie annehmen.

Im menschlichen Bereich ist es ebenso. Alle Schönheit, alle Reichtümer und alle Weisheit der klassischen Literatur sind für jeden Menschen vorhanden. Aber bevor er in sie eindringen kann, muss er sich der Mühe, dem Studium und der Selbstzucht unterziehen, die das Erlernen von Latein und Griechisch erfordern. Gottes Angebot des ewigen Lebens ist da, aber der Mensch muss es annehmen, er muss auf sein Angebot eingehen, bevor er ewiges Leben empfangen kann.

1. erfordert ewiges Leben das Wissen von Gott. Ewiges Leben bedeutet, den allein wahren Gott zu kennen (Joh 17,3). Nun kann der Mensch Gott nur auf drei Wegen kennenlernen. Er muss seinen Verstand zum Denken benutzen; er muss sein Herz zur Liebe Christi führen lassen; er muss mit seinen Ohren hören, was Gott ihm sagen will. Wenn wir in das ewige Leben eindringen wollen, dürfen wir nie zu beschäftigt sein mit den Dingen dieser Zeit, um über die ewigen Dinge nachzudenken, um auf Jesus zu schauen, um regelmässig die Stille zu suchen, in der wir auf Gott warten können.

2. erfordert das ewige Leben Gehorsam gegenüber Gott. Gottes Gebot ist ewiges Leben (Joh 12,50). Jesus ist der Urheber des ewigen Heils für alle, die ihm gehorchen (Hebr 5,9). Nur im Tun seines Willens besteht unser Friede. Gottes, Einladung gilt den Widerstrebenden, aber nur die Gehorsamen erlangen seine Gaben. Wir können nie eine ganz enge Verbindung mit einem Menschen eingehen, mit dem wir dauernd Meinungsverschiedenheiten haben und den wir ständig durch unseren Ungehorsam betrüben. Gehorsam gegenüber Gott und ewiges Leben von Gott gehen Hand in Hand.

3. Ewiges Leben ist der Lohn einer tatkräftigen Treue (1 Tim 6,12). Es wird dem Menschen gegeben, der den guten Kampf des Glaubens gekämpft hat und der durch dick und dünn an Christus festgehalten hat. Ewiges Leben erlangt, wer hört und folgt (Joh 10,27-28). Kein Mensch, der seinen eigenen Weg geht, kann in das ewige Leben eindringen. Das ewige Leben ist für den Menschen, der in vollkommener Hingabe den Weg Christi geht.

4. Ewiges Leben stellt auch sittliche Anforderungen. Ewiges Leben ist das Ziel eines Weges der Heiligung (Röm 6,22). Es wird denen gegeben, die in Geduld und Ausdauer das Gute wirken (Röm 2,7). Es kann nicht zu dem Menschen kommen, der seinen Bruder hasst und der deshalb in seinem Herzen ein Mörder ist (1 Joh 3,15). Es kommt zu denen, die sich in der Liebe Gottes bewähren (Jud 21). Diese sittlichen Forderungen des Christentums kann man nicht umgehen. Ewiges Leben ist nicht für den Menschen, der seinem eigenen Willen folgt, sondern für den, der den Willen Christi tut. Es fordert nicht, dass wir auf einmal vollkommen sein sollen, aber es fordert, dass wir unseren Blick fest auf Christus richten, wie oft wir auch fehlen und fallen mögen.

5. Ewiges Leben ist der Lohn des Arbeiters, der für Christus wirkt (Joh 4,36). Ewiges Leben ist dem Menschen verheissen, der Christus hilft, die Ernte der Menschenseelen einzubringen. Ewiges Leben ist das Angebot Gottes an den Menschen, der auf die Rettung anderer bedacht ist, und nicht allein auf die Rettung der eigenen Seele.

6. Ewiges Leben ist der Lohn für den, der sein Leben hier aufgibt (Joh 12,25). Es ist für den Menschen, der sein irdisches Leben verachtet und bereit ist, es zu verlieren um Christi willen. Es ist für den, der immer bereit ist, etwas einzusetzen für den Namen Christi. Es ist für den Menschen, der das Wagnis des Christenlebens auf sich nimmt und bereit ist, mit seinem Leben zu bezeugen, dass es einen Gott gibt.

7. Ewiges Leben ist die Frucht der Gerechtigkeit, die durch die Gnade Christi kommt (Röm 5,21). Die wesentliche Bedeutung der Gerechtigkeit ist ein neues Verhältnis zu Gott durch das, was Christus für uns getan hat.

So enden wir da, wo wir begonnen haben. Ewiges Leben ist Gottes eigenes Leben, in das auch wir eingehen können, wenn wir annehmen, was Jesus Christus für uns getan hat und was er von Gott berichtet. Wir werden den Gedanken des ewigen Lebens nie ganz erfassen können, bis wir uns von der fast instinktiven Annahme befreien, seine grösste Bedeutung liege in seiner unaufhörlichen Dauer. Schon die Griechen verstanden, dass ein solches Leben nicht unbedingt ein Segen ist. Sie erzählten die Geschichte von Eos, der Göttin der Morgenröte, die sich in Tithonos, den jungen Sterblichen verliebte. Zeus bot ihr jedes Geschenk an, das sie für ihren vergänglichen Geliebten wählen möchte. Sie erbat, dass Tithonos nicht sterben möchte, aber sie vergass dabei, auch um immerwährende Jugend zu bitten. So lebte Tithonos für immer, wurde älter und hinfälliger, bis ihm das Leben zum schrecklichen und unerträglichen Fluch wurde.
Leben ist nur von Wert, wenn es nichts Geringeres als das Leben Gottes ist und das ist die Bedeutung von ewigem Leben.