Begriffe1-23: Makrothymia – göttliche Geduld

Griechische Begriffe 1

23.  Makrothymia = Geduld

von William Barclay

 

Das Substantiv makrothymia und das Verb makrothymein sind charakteristische biblische Wörter. Sie kommen im klassischen Griechisch überhaupt nicht und im späteren Sprachgebrauch nur sehr selten vor. Sie beschreiben eine ausgesprochen christliche Tugend, die von den Griechen durchaus nicht als solche gewertet wurde. Im NT finden wir makrothymia vierzehnmal und makrothymein zehnmal. In den deutschen Übersetzungen werden diese Wörter mit Geduld und ausharren wiedergegeben.

Sie werden auf zweierlei Weise angewandt.
1. Sie beschreiben den standhaften Charakter, der nie aufgibt. Es ist dieser Geist der Geduld und des Glaubens, der schliesslich die Verheissung ererben wird. Weil Abraham geduldig ausharrte, konnte er endlich die Verheissung empfangen (Hebr 6,15). Der Christ wartet in Geduld auf den Tag des Herrn. Er kann dabei von dem Landwirt lernen, der geduldig auf die Ernte wartet und von den Propheten, die ihre Hoffnung auf Gott nie aufgaben (Jak 5,7-10). In dem apokryphen Buch 1. Makkabäer 8,4 (Zürcher Übersetzung) finden wir eine gute Illustration dieser Wörter. Dort wird geschildert, wie die Römer durch Klugheit und Ausdauer die ganze Welt beherrschten. Es ist hier von der Beharrlichkeit die Rede, die sich nie mit einer Niederlage zufrieden gibt. Der Christ soll diese makrothymia besitzen, die Verzögerungen und Leiden ertragen kann, ohne aufzugeben.

2. Diese Wörter beschreiben auch die Haltung eines Christen seinen Mitmenschen gegenüber. Hier kommt nun die speziell christliche Tugend im Gegensatz zur griechischen Denkweise zum Ausdruck. Chrysostomos definiert makrothymia als den Geist, der die Möglichkeit zur Rache hat, aber bewusst darauf verzichtet. Lightfoot erklärt sie als den Geist, der nie Vergeltung üben wird. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was die Griechen Tugend nannten. Die grosse griechische Tugend war megalopsychia, was Aristoteles als die Ablehnung jeglicher Duldsamkeit gegenüber Unrecht und Beleidigung definiert. Für die Griechen war der gross, der alles daran setzte, gerechte Rache zu üben. Das NT betrachtet den als beispielhaft, der auf Rache verzichtet.

a) Diese Geduld mit den Menschen ist charakteristisch für die Diener Christi. Paulus bezeichnet sie als das Zeichen eines Apostels (2 Kor 6,6, vgl. 1 Tim 1,16; 2 Tim 3,10). Niemand kann eine christliche Gemeinde leiten, ohne makrothymia, ohne Geduld.

b) Sie soll ein Charakterzug der christlichen Prediger sein (2 Tim 4,2). Ohne sie würde ein Prediger in Pessimismus und Hoffnungslosigkeit versinken, die ihn zur Verkündigung unfähig machen.

c) Jeder Christ soll diese charakteristische Tugend besitzen. Sie zählt zu den Früchten des Geistes, die in Gal 5,22 genannt werden. Ohne sie kann ein Christ nicht seiner Berufung gemäss leben (Eph 4,2; KoI 3,12). Sie soll allen Menschen gegenüber geübt werden (1 Thess 5,14). Geduld ist ein Zeichen der Liebe (1 Kor 13,4). Ohne makrothymia ist keine christliche Gemeinschaft möglich.

3. Warum ist das so? Weil makrothymia eine Eigenschaft Gottes ist (Röm 2,4; 9,22). Es war Gottes makrothymia, die in den Tagen Noahs mit dem Gericht wartete, bis die Arche gebaut war (1 Petr 3,20). Dieselbe Geduld waltet noch heute, damit Menschen gerettet werden können (2 Petr 3,9.15). Wenn Gott so handeln würde wie wir Menschen, hätte er die Erde schon längst vernichtet, aber in seiner grossen Geduld trägt er die Sünde, die Torheit und den Unglauben der Menschen.

Es ist unsere grosse Verpflichtung, mit unseren Mitmenschen genauso geduldig zu sein, wie Gott mit uns geduldig ist.