Einführung-AT09: Untergang und Wiederaufbau des jüdischen Staates

Einführung Altes Testament

 

 

 I.  Untergang des jüdischen Staates

Im Jahr 605 v. Chr. besiegte der babylonische König Nebukadnezar bei Karkemisch das ägyptische Heer des Pharaos Necho und anschliessend noch einmal bei Hamat (Jer 46,2). Er nahm auch den Rest der assyrischen Armee ein, so dass er schliesslich das ganze Nordreich beherrschte. Ein Jahr später zog er durch das Land Kanaan, eroberte Aschkelon und stiess bis zum Nil Ägyptens vor (2Kön 24,7). Damit fiel das gesamte Herrschaftsgebiet Ägyptens, vom Nil bis zum Euphrat, in die Hände des neubabylonischen Reichs. Juda, das zwischen den beiden Grossmächten lag, musste sich einmal mehr einer neuen Herrschaft unterwerfen. Im Jahre 597 v. Chr. eroberte Nebukadnezar Judäa und brachte den König Jojachin18 (609-598 v. Chr. auch Eljakim genannt, 2Kön 23,34 - 24,7), zusammen mit seiner Familie und dem ganzen Hof, samt tausenden von Kriegern und Handwerkern in die Gefangenschaft nach Babylonien (2Kön 24,14). Jojachins Onkel, Mattanja, erhielt den Namen Zedekia und wurde als neuer König über Jerusalem eingesetzt, mit dem Zweck, Nebukadnezars Herrschaft zu stärken (2Kön 24,10-17).

Juda wurde von 597 bis 586 v. Chr. tributpflichtig gemacht und diente unfreiwillig, durch den Marionettenkönig Zedekia, dem babylonischen Reich. Doch im Geheimen liebäugelte Zedekia mit den Ägyptern und hoffte, dadurch die Unabhängigkeit des Staates wieder zu erlangen. Der falsche Prophet Hananja, der Sohn Assurs, verkündigte dem Volk wiederholt, dass Gott in den kommenden zwei Jahren das Joch Babylons zerbrechen werde, so dass Nebukadnezar sogar die geraubten goldenen Tempelgefässe zurückerstatten werde (Jer 28,1-4). Doch der von Gott eingesetzte Prophet Jeremia beschuldigte Hananja der Lüge und weissagte die unbequeme Wahrheit, dass die Macht Babylons bestehen bleiben werde. Seine Anhänger, die zur konservativen Gruppe zählten, machten sich keine Illusionen, während die radikale Partei im Lande erwartete, dass Ägypten ihnen zu Hilfe komme (Jer 28,12-17). Schliesslich erhielt Zedekia im Jahre 590 v. Chr. die Zeit zum Aufstand für günstig.

Der ägyptische Pharao, Psametik II, drang an der Küste Palästinas nach Norden, um die Babylonier anzugreifen. Zedekia glaubte endlich einen Mitstreiter gefunden zu haben und stellte sich an die Seite Ägyptens. Doch der babylonische König Nebukadnezar erkannte die Lage und entsandte Truppen, um das nördlich gelegene Tyrus an der Mittelmeerküste zu verteidigen. Zudem legte er 588 v. Chr. einen Belagerungsring um Jerusalem. Da die Ägypter mit ihrem Angriff nicht den gewünschten Erfolg erzielten, zogen sie sich bald wieder zurück, sodass Jerusalem der mächtigen Armee aus dem Norden ausgeliefert war. Diesmal waren die Vergeltungsmassnahmen der Babylonier gegen die Stätte Judas gnadenlos. 586 v. Chr. rissen sie die Mauern Jerusalems nieder, legten die Stadt samt dem königlichen Palast in Feuer und plünderten den Tempel. Der König Zedekia wurde beim Fluchtversuch gefasst und als Gefangener nach Ribla gebracht. Zur Strafte wurden ihm die Augen ausgestochen und seine beiden Söhne umgebracht. Der vornehmere Teil der Bevölkerung Jerusalems wurde gefangen nach Babylon deportiert. Nur die Ärmsten blieben zurück (Jer 39,4-10).

Der babylonische General Nebusaradan setzte Gedalja zum Gouverneur über Juda ein (2Kön 25,22). Er regierte von Mizpa aus (ca. 12 Kilometer nördlich von Jerusalem), wo er für einige Königstöchtern, sowie viele Offiziere und Soldaten Zedekias, die dem Feind entkommen waren, sorgte. Auch der Prophet Jeremia befand sich unter ihnen (Jer 40,6). Doch die Ammoniter zettelten einen Aufruhr an, um Gadalja zu ermorden. So liess Baalis, der König der Ammoniter Gadalja durch Ismael, einen jüdischen Offizier, mit dem Schwert erstechen (Jer 41,1-3). Anschliessend floh er, zusammen mit zehn andern Männern, nach Ägypten und nahm Jeremia unfreiwillig ins Exil mit (Jer 41-43).

Das Ende des jüdischen Staates bedeutete nicht das Ende des Judentums. Viele fromme Juden, die in Gefangenschaft gerieten und nach Babylon verschleppt wurden, nahmen das kostbare Gesetz und die Prophetenbücher mit. Obschon die Opferungen im Tempel aufhörten, führten sie die Anbetung Gottes in fremdem Land fort, in der die Tora den Mittelpunkt bildete.

Auch der Prophet Hesekiel zählte, zusammen mit dem König Jojachin19 (oder Chonja 598-597 v. Chr.) zu den Verbannten, die sich am Fluss Kebar ansiedelten (Ez 1,1). Sie bildeten die Elite der jüdischen Nation (Jer 24,1) und der Anfang des „orthodoxen Judentums”. Hesekiel prophezeite die Rückführung des Volkes in ihre Heimat und den Wiederaufbau des jüdischen Staates. Das gab Anlass zur Hoffnung.

 

 II.  Wiederaufbau des jüdischen Staates

Während den siebzig Jahren babylonische Gefangenschaft schlossen sich gläubige Juden im Namen Jahwes zusammen, lehrten und verehrten das Gesetz, gründeten Synagogen und ernannten religiöse Führer, die die Aufgaben der Tempelpriester ersetzten, jedoch ohne Tieropfer.

Mit einem hinterlistigen Plan eroberte der Perserkönig Kyros, 539 v. Chr., die gut gesicherte Stadt Babylon. Er liess das Wasser des Euphrat, das durch die Stadt lief, umleiten. Die Tore, die aus dicken eisernen Stangen bestanden und nicht bis zum Grund des Flusses hinunterreichten, wurden durch den sinkenden Wasserpegel offengelegt. Die angreifende Armee konnte so durch das trockene Flussbett, unter den Toren hindurch, in die Stadt gelangen und sie fast kampflos einnehmen. Auf diese Weise ging die Herrschaft über den Mittleren Osten auf die Medo-Perser über.

Der neue Herrscher Kyros erwies sich gnädig und behandelte die eroberten Völker behutsam. Gleich im ersten Jahr seiner Herrschaft erliess er ein Dekret, das den Juden erlaubte, in ihr Heimatland zurückzukehren (Esra 1). Er befahl auch, die Reste des Tempelschatzes zurückzugeben und finanzierte sogar den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem (Esra 6,1-5).

Doch nicht alle Juden, die in Babylon lebten, wollten nach Palästina zurückkehren. Viele hatten sich eine neue Existenz aufgebaut und zogen es vor, bei ihrem Geschäft und ihrem Heim zu bleiben. Gegen 50 000 war die Zahl der ersten Rückkehrer. Darunter befanden sich vor allem Juden aus den Stämmen Juda, Benjamin und Levi, aber auch Sklaven und ein paar hundert Sänger. Unter der Führung von Scheschbazar, den Kyros zum Gouverneur über Juda ernannt hatte, erreichten sie 538 v. Chr. die Stadt Jerusalem (Esra 1,3.5-11).

Im selben Jahr begannen die Juden mit dem Wiederaufbau des Tempels (Esra 3,1-13). Da von Seiten derer, die im Land geblieben waren, Widerstand wuchs, wurde das Bauvorhaben verzögert (Esra 4,1-4). Fast zwanzig Jahre lang blieb das Projekt liegen, in der sich die Zurückgekehrten ihre eigenen Häuser bauten und zu Wohlstand kamen (Hag 2,4). Erst als die Propheten Haggai und Sacharja zum Wiederaufbau des Tempels aufriefen, wurde 520 v. Chr. die vernachlässigte Arbeit wieder aufgenommen (Esra 5,1-2). Als sich erneut Widerstand erhob, wandten sich die Juden an den neuen Perserkönig Darius I, der alles untersuchen liess und feststellte, dass sein Vorgänger Kyros durch ein besonderes Dekret den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem unterstützte. Als das geklärt war, wurde die Arbeit wieder aufgenommen und 515 v. Chr. fertiggestellt (Esra 6,1-15). Ab diesem Zeitpunkt fand wieder eine regelmässige Anbetung statt. Zudem wurden auch Priester eingesetzt (Esra 6,19-22).

In den folgenden fast sechzig Jahren, von 515 bis 485 v. Chr., schweigen die biblischen Berichte über den jüdischen Staat. Erst 458 v. Chr., „dem siebten Jahr des Königs Artaxerxes” (Esr 7,7), lesen wir von einer weiteren Rückwanderungswelle nach Jerusalem, unter Führung des Schriftgelehrten Esra. Er war ein Nachkomme Hilkias, der in der Regierungszeit Josias als Hoherpriester eingesetzt war. Esra wurde begleitet von Hoherpriestern, Sängern und Leviten. Zudem besass er einen Brief von Artaxerxes, der ihm die Befugnis erteilte, die Tempeldienste wieder aufzunehmen. Dazu spendete er grosse Summen, Silber und Gold, um Opfertiere zu kaufen und für den übrigen Bedarf des Tempeldienstes. Esra wurde auch damit betraut, Richter und Rechtspfleger im Land einzusetzen, die nach jüdischem Gesetz Recht sprechen und die Leviten von Steuern befreien. Diese Verfügung erteilte Artaxerxes unter Strafandrohung aller Zuwiderhandlung (Esra 7,12-26).

„Im zwanzigsten Jahr des Königs Artaxerxes” (Neh 2,1), das war im Jahr 446 v. Chr., traf ein Bote aus Jerusalem bei Nehemia ein und berichtete über die niedergerissenen Mauern und verbrannten Tore in Jerusalem, die immer noch brach lagen. Nehemia war ein im Exil aufgewachsener Jude, der als Hofbeamter des Perserkönigs für die Versorgung von Getränken (vor allem Wein) zuständig war. Der König entsandte Nehemia und beauftragte ihn mit dem Wiederaufbau der Stadt. Zudem setzte er ihn als Statthalter von Jerusalem ein. Nehemia machte sich sofort auf den Weg. Am dritten Abend nach seiner Ankunft, besichtigte er die Befestigungsanlagen der Stadt und beschloss unverzüglich den Wiederaufbau.

Es ist möglich, dass die Verwüstung der Stadt erst kurze Zeit zurücklag, da der Wiederaufbau Jahrzehnte früher abgeschlossen wurde. Vielleicht lösten die Aktivitäten der Juden weitere Feindseligkeiten bei den Samaritern aus, so dass es zu Überfällen auf Jerusalem kam. Denn, als Nehemia die Abschnitte der Mauer verschiedenen Männern zuteilte, um die Arbeiten zu beschleunigen, drohte Sanballat und Tobija, samt den Arabern und anderen Volksstämmen die Stadt anzugreifen, sodass Nehemia die eine Hälfte seiner Arbeiter mit Waffen ausrüsten musste, um die Stadt Tag und Nacht zu bewachen, während die übrigen an den Renovierungen arbeiteten (Neh 4,1-15). In weniger als zwei Monaten wurden die Instandsetzungsarbeiten ohne Zwischenfälle schliesslich vollendet und die Stadt gesichert (Neh 6,15-16).