Das Leben Jesu-09a: Verurteilungsprozess (Teil 1)

Das Leben Jesu

 

 EINLEITUNG

Wir möchten uns heute mit der Verurteilung Jesu auseinandersetzen und die einzelnen Schritte auf der Karte von Jerusalem betrachten.

Die Stadt Jerusalem ist in vier Teile aufgeteilt: Der nördliche Teil der Stadt mit der Vorstadt. Der Tempelhof und der Tempel. Der Süden ist in einen oberen und unteren Stadtteil aufgeteilt. Auf der östlichen Seite sehen wir das Kidrontal und den Garten Gethsemane. Auf der nördlichen Seite der Hügel Golgata, auf dem Jesus gekreuzigt wurde.

 

 I.   Das Abendmahl

Aus den Schriften erfahren wir, dass das Passafest anbrach, an dem auch Jesus mit seinen zwölf Jüngern sich in einem Obergemach versammelte (Mk 14,15). Jesus wusste, dass es der letzte Abend vor seinem Tod sein werde, an dem er mit seinen Jüngern zusammen sein konnte. Alles war festlich vorbereitet, wie es der Herr anordnen liess (Mt 26,17-19). Es war damals Sitte, dass man rund um einen Tisch am Boden lag. Das berühmte Gemälde von Leonardo da Vinci (1454-1519 n. Chr.) kann so nicht stimmen. Auch die Jünger lagen mit Jesus gemütlich um einen Tisch und assen das Passamahl. Jesus nutzte diese Gelegenheit, um seinen Jüngern letzte Anweisungen zu geben.

Das Passa war ein jährliches Fest, das der Herr seinem Volk geboten hatte, damit sie sich dankbar an den Auszug Ägyptens zurückerinnerten (siehe Ex 12). Es war der Tag ihrer Befreiung aus der Sklavschaft. Es war ein Siegestag, an dem ein fehlloses, einjähriges Lamm geschlachtet und gegessen wurde, zusammen mit Brot und bitteren Kräutern. Das Blut des Lammes strich man an die Türpfosten des Hauses, damit der Würgengel vorüberging und die Erstgeburt vor dem Tod verschonte.

Jesus benutzte das Passafest dazu, um das Abendmahl oder Herrnmahl an dieser Stelle einzuführen, indem er Brot nahm und sprach (Lk 22,14-20): „Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Dies tut zu meinem Gedächtnis.“ „Und ebenso nahm er den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das vergossen wird für euch.“ Damit verband er das Passa mit seinem Tod als dem wahren Passalamm. Deshalb feiert nun die weltliche Christenheit jedes Jahr Ostern. Aus biblischen und nichtbiblischen Quellen erfahren wir, dass die ersten Christen dieses Mahl nicht nur einmal im Jahr feierten, sondern wöchentlich. Deshalb feiern wir dieses Mahl wöchentlich zur Erinnerung an unser Passalamm, Jesus Christus, der dies seinen Jüngern so angeordnet hat. Sein Blut rettet auch uns vom ewigen Tod, weil wir es an unsere Herzen gestrichen haben. Wir erinnern uns an Jesu Tod und Auferstehung, dass wir in der Taufe mit ihm gestorben, begraben und zum neuen Leben auferweckt wurden. Damit feiern wir unseren Auszug aus der Sklavschaft der Sünde.

In seiner Abschiedsrede (Joh 14-16) tröstete und ermutigte Jesus seine Jünger, und gab ihnen Anweisung in Jerusalem zu bleiben, bis der Heilige Geist über sie ausgegossen werde (Lk 24,49). Dann betete er mit ihnen und gemeinsam sangen sie Loblieder (Mt 26,30). Anschliessend verliessen sie spät abends das Haus und gingen zum Ölberg.

 

 II.   Im Garten Gethsemane

Unterwegs erklärte Jesus seinen Jüngern, dass er von den Toten auferweckt werde und sie in Galiläa wiedersehen werde (Mt 28,7.10.16). Jesus wusste ganz genau, dass seine Todesstunde nun gekommen war. Doch die Jünger hatten von all dem, was Jesus zu ihnen sprach, keine Ahnung. Sie verstanden seine Worte noch nicht. Um Mitternacht kamen sie im Garten Gethsemane an.

Dort entfernte sich Jesus einen Steinwurf von ihnen, um zum himmlischen Vater zu beten (Lk 22,41). In den Evangelien lesen wir, dass es kein gewöhnliches Gebet war. Jesus rang und flehte, so dass sein Schweiss dickflüssig wie Blutstropfen zu Boden fielen (Lk 22,44). Nachdem er von einem Engel gestärkt wurde (Lk 22,43), stand Jesus auf und war bereit, die Herausforderung seines Lebens anzutreten.

Es ist offensichtlich, dass Jesus sich selbst den Soldaten stellte und auslieferte. Daran half auch der Verrat des Judas nicht mehr viel. Jesus übergab sich gewaltlos, weil er wusste, dass nur durch seinen Tod am Kreuz, die Menschheit von ihren Sünden erlöst werden konnte.

 

 III. Bei Hannas

Nach der Gefangennahme führten die Soldaten Jesus zuerst zu Hannas, einem einflussreichen Mann unter den Juden (Joh 18,12-14). Hannas war ein reicher und korrupter Mann, der für mehr als ein Jahr das Hohepriesteramt innehatte (6 bis 15 n.Chr.). Er war der Schwiegervater des neuen Hohenpriesters Kajafas. Die Händler im Vorhof unterstanden Hannas. Sie waren Wucherer und verkauften ihre Opfertiere viel zu teuer. Der Tempelhandel war eine einzige Abzokerei. Die Stände innerhalb des Tempelbezirks, in denen die Opfertiere verkauft wurden, trugen die Bezeichnung „Bazar des Hannas“. So gelangte Hannas durch seinen ausbeutenden Handel mit den heiligen Opfertieren zu Reichtum und Einfluss. Jesus, der dieses unehrliche Treiben schon lange durchschaut hatte und die Händler im Tempelvorhof vertrieb, hatte bei Hannas keine guten Karten (Joh 2,14-16).

Der einflussreichste Mann der Stadt wollte sich als erster an der Gefangennahme Jesu vergewissern und erfreuen: Johannes 18,19-24. Der Sohn des höchsten Gottes lässt sich von einem nichtswürdigen Menschen demütigen und ins Gesicht schlagen. Doch Jesus liess diese Ungerechtigkeiten über sich ergehen. Nach jüdischer Rechtsprechung wäre es Hannas nicht erlaubt gewesen, so vorzugehen und Jesus über seine Jünger und Lehre auszufragen. Hannas verletzte einen wichtigen jüdischen Rechtsgrundsatz. Deshalb antwortete Jesus, indem er sagte: „Beschafft euch das Beweismaterial gegen mich auf legale Weise.“ „Vernehmt die Zeugen; das ist euer gutes Recht.“ Doch an einer legalen Prozedur waren die Oberen der Juden gar nicht interessiert. Deshalb liessen sie Jesus ins Gesicht schlagen und taten so, als ob er eine respektlose Antwort gegeben hätte. Doch Jesus blieb stumm, wie der Prophet Jesaja dies vorausgesagt hatte (Jesaja 53,7).

 

 IV. Zu Kajafas gesandt

So führten sie Jesus gefesselt zum Haus des Kajaphas, der zu dieser Zeit das Hohepriesteramt innehatte: Dort kam der ganze Hohe Rat (Sanhedrin) zusammen. Der Sanhedrin war die höchste jüdische Instanz, die aus siebzig Mitgliedern bestand. Sie alle waren angesehene Leute aus den Kreisen der Sadduzäer und Pharisäern und anderen jüdischen Gruppen. Auch Schriftgelehrte und frühere Hohepriester, die sich aus hohen Tempelbeamten zusammensetzten und sich auf die Tora Moses beriefen, kamen in der frühen Morgenstunde zusammen. Zweifellos übertrat der Hohe Rat bei diesem Verhör alle bindenden Gesetzesbestimmungen.

Erstens war es illegal ein Verhör in der Nacht durchzuführen.

Zweitens gab es genaue Vorschriften, wo ein solches Verhör stattfinden durfte, nämlich in den Räumen des Tempels und nicht privat, sonst war der Urteilsspruch ungültig. Drittens, das jüdische Gesetz schrieb zudem vor, dass der Hohe Rat ein Todesurteil niemals am Tag der Untersuchung verhängen durfte. Dies konnte Ungerechtigkeiten und zu schnelle Verurteilungen verhindern. Doch das interessierte in dieser Situation keinen. Jesus war alleine mitten unter Wölfen und musste diesen ungerechten Prozess über sich ergehen lassen.

Selbst seine engsten Jünger verliessen ihn und flohen (wie es heisst im Mk 14,50). Nur Petrus wagte es der Kohorte zu folgen und bis in den Vorhof des Kajafas vorzudringen (Joh 18,15-18). Mit einem anderen Jünger, der Zugang zum Haus des Kajafas hatte, begab er sich „in die Höhle des Löwen“. Beide kamen in den Vorhof, wo die Diener sich an einem Kohlenfeuer wärmten. Da erkannte ihn die Magd, die ihm die Tür aufmachte, dass Petrus einer der zwölf Jünger Jesu war und sagte: Matthäus 26,69-75. Es ist ungeheuerlich, was uns hier geschildert wird. Ein Apostel Jesu Christi, der später auch zwei Briefe verfasste, verleugnete seinen Herrn dreimal vor diesen Gottlosen. Ja, er Schwur und fluchte sogar, obschon alles nichts half. Schliesslich erschrak er und entfernte sich, als er den Hahn dreimal krähen hörte. Es war eine Tragödie, denn das Unmögliche was Jesus vorausgesagt hatte, traf ein: Lukas 22,31-34. Nachdem Petrus Busse getan hatte, stärkte er tatsächlich seine Brüder. Er stärkt noch heute alle Gläubigen, die seine Briefe lesen.

Von allen Seiten brachten sie falsches Zeugnis wider den Sohn Gottes vor. Sie suchten nach einem Zeugnis wider Jesus, doch sie fanden keins (Mk 14,55). Normalerweise wurden die Zeugen getrennt befragt und auf alle Einzelheiten hin überprüft. Doch im Fall Jesus liess man es zu, dass die Zeugenaussagen nicht einmal übereinstimmend, sondern widersprüchlich waren. Die Aussage Jesu über den Wiederaufbau des Tempels wurde völlig verdreht (Mk 14,58; Joh 2,18-21). Halbwahrheiten sind bei Verurteilungen immer besonders belastend. Jesus hatte nie gesagt, dass er selbst den Tempel zerstören würde. Denn er sprach ja vom Tempel seines Leibes.

Zuletzt nahm Kajaphas die Sache selbst in die Hand und stellte eine Frage, wie sie das Gesetz ausdrücklich verbot: Es war verboten, einen Angeklagten so zu fragen, dass er gegen sich selbst aussagen musste. Doch Jesus zögerte nicht und gab ihm die Antwort, auf die er und die andern warteten, um über ihn die Todesstrafe zu verhängen. Immer wieder versuchte Jesus den Juden zu erklären, dass Er der verheissene Messias ist, der in die Welt kommen sollte, doch sie verstanden ihn nicht. Zum Beispiel, als er sie lehrte: „Wenn Gott euer Vater wäre, würdet ihr mich lieben. Denn ich bin von Gott ausgegangen und gekommen; und nicht von mir aus bin ich ja gekommen, sondern jener hat mich gesandt“ (Joh 8,42). Und wiederum, als er sagte: „Ehe Abraham war, bin ich [gewesen]“ (Joh 8,58).

So antwortete Jesus, als er von Kajafas gefragt wurde, ob er der Messias sei (Mk 14,62): „Ich bin es, und ihr werdet den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Macht und kommen mit den Wolken des Himmels.“ Mit diesen Worten stellte sich Jesus über jede gesetzliche Instanz und machte sich Gott gleich. Das war das Zeugnis, das der Hohe Rat brauchte, um Jesus zu verurteilen, weil er damit in ihren Augen gegen Gott gelästert hatte. Denn es steht im Gesetz Mose geschrieben (Num 24,16): „Wer den Namen des Herrn lästert, der soll getötet werden.“ Schliesslich zerriss Kajaphas seine Kleider. Das Zerreissen der Kleider war ein Akt tiefer Trauer, Betroffenheit und Erschütterung über ein Elend. Doch es war absolut fehl am Platz und heuchlerisch, in dieser Situation die Kleider zu zerreissen. Zudem war es ein erneuter Verstoss gegen das Gesetz Mose, denn es heisst (Num 21,10): „Der aber, welcher Hoherpriester ist unter seinen Brüdern, .... der soll seine Kleider nicht zerreissen.“

Somit war der Urteilsspruch der Juden gefällt, obschon sie weder legal handelten, noch zu so einer Verurteilung gesetzlich das Recht hatten. Es ist etwa gleich zu setzen, wie wenn die katholische Kirche jemand in unserem Land zum Tode verurteilen würde. Dazu hätte sie keine Macht. Sie muss sich an die Gesetze des Staates halten und dem Staat das Gerichtsurteil über einen Menschen überlassen. Genauso war es damals, als die römische Armee die Herrschaft über Israel hatte. Es galt also nun, die oberste Behörde der römischen Armee zu überzeugen, dass Jesus zum Tode verurteilt werden sollte (Joh 18,31).

 

 Schlussfolgerungen

Was lernen wir aus diesem ganzen Verurteilungsprozess?
Wir lernen, wie skrupellos Menschen sein können, wenn sie die Wahrheit nicht annehmen wollen. Der Mensch ist zu allem bereit, sogar zum Mord, wenn es sein muss, um so die unbequeme Wahrheit aus der Welt zu schaffen. Wie weit sind wir bereit der Wahrheit ins Gesicht zu schauen? Wie weit sind wir bereit uns die Wahrheit sagen zu lassen? Wie weit sind wir bereit unsere Sünden einzugestehen und zu bekennen vor dem Herrn?

Lasst uns Christus nachfolgen und uns nicht für alles verteidigen, sondern einsichtig sein und bereit zur Veränderung.

Denn im Gegensatz zu Jesus, machen wir immer wieder viele Fehler!