Zeichen und Wunder
Rückgang der Wunder
Die Anzahl von Wundern nimmt von der Apostelgeschichte bis zu den Briefen ständig ab. In den Korintherbriefen können viel mehr Wunder festgestellt werden, als in den sogenannten Pastoralbriefen. Wir werden später zu den Wunderlisten im ersten Korintherbrief Stellung nehmen.
In den meisten Briefen werden Wunder nicht ausdrücklich erwähnt. Es gibt nur indirekte Hinweise. Kein Gehen auf dem Wasser, keine Heilung von Kranken oder Auferweckung von Toten. Das heisst aber nicht, dass es keine Wunder gab.
Der Zweck der Wunder veränderte sich. Die geistlichen Gaben dienten nicht mehr zur Beglaubigung, sondern zur Erbauung für das Gemeinwohl (1Kor 12,7). Es ging also von der Beglaubigung zur Erbauung.
Die Wunder in den Briefen unterscheiden sich von denen in den Evangelien und der Apostelgeschichte. Einerseits durch den auffallenden Rückgang, da es keinen Bedarf an weiteren Wundern dieser Art gab. Der Sohn Gottes wurde durch seine Wunder vollständig bestätigt (Joh 20,30-31). Auch die Botschaft der Apostel wurde durch die Wunder vollständig bestätigt (Apg 5,12-16). Da es keinen neuen Christus noch ein neues Evangelium mehr gab, erübrigten sich die Wunder, die für die Bestätigung sorgten.
Die Gläubig gewordenen brauchten keine weiteren göttlichen Beglaubigungen durch Wunder und Zeichen. Sie mussten vielmehr lehrmässig, moralisch und praktisch in Bezug auf das geistliche Leben in der Nachfolge Christi unterrichtet werden (1Petr 1,14-17). Zudem motivierten die Briefe die Leser, den Glauben festzuhalten und der Gemeinde treu zu bleiben (1Tim 1,5). Wunder würden den Zweck der Briefe zunichte machen.
Der literarische Stil kann folgendermassen unterschieden werden:
1. Die Evangelien sind eine geschichtliche Erzählung von Ereignissen während der Lebenszeit Jesu auf Erden.
2. Die Apostelgeschichte ist hauptsächlich ein Reisebericht mit polemischen Reden.
3. Die Briefe beinhalten viele praktischen Anleitungen für die Gläubigen in den Gemeinden (Jak 1,22-27).
4. Wunder und Zeichen passen weniger in die Zeit, in der die Briefe verfasst wurden.
Die vier Phasen der Wunder im Neuen Testament
Im Neuen Testament können die Wunder in vier Phasen eingeteilt werden:
1. In der ersten Phase lesen wir von Wundern, die von Jesus gewirkt wurden.
2. In der zweiten Phase lesen wir von Wundern, die von den Aposteln und den siebzig Jüngern gewirkt wurden (Lk 10,1-24).
3. In der dritten Phase lesen wir von Wundern, die von denen ausgeübt wurden, denen die Apostel die Hände auflegten (Apg 8,17).
4. In der vierten Phase lesen wir von Wundern, die Gläubig gewordene begleiteten, indem sie von den Wundern Jesu zeugten (Mk 16,17-18).
Jede Phase war anders.
1. Phase eins konzentrierte sich auf die Person Jesu.
2. Phase zwei konzentrierte sich auf den Namen Jesu, durch die die Wunder geschahen.
3. Phase drei konzentrierte sich auf die Ausübung der Geistesgaben.
4. Phase vier konzentriert sich auf die Heiligen Schriften, die von den Wundern berichten, so dass der Glaube in den Menschen wächst.
5. Zur letzten Phase sagte Jesus (Joh 20,29): „Du glaubst, weil du mich gesehen hast. Selig, die nicht mehr sehen und glauben!”
Jede dieser Phasen hatte eine bestimmte Zeitspanne.
1. Phase eins spiegelt sich in den Evangelien wider.
2. Phase zwei spiegelt sich in der Apostelgeschichte wider.
3. Phase drei spiegelt sich in den Briefen wider.
4. Die letzte Phase wird bis zur Wiederkunft Jesu andauern.
Die ersten drei Phasen gibt es heute nicht mehr.
1. Phase eins hörte auf, als Jesus in den Himmel entrückt wurde.
2. Phase zwei hörte auf, als die Apostel und die Siebzig starben.
3. Phase drei endete, als die letzte Person, die die Handauflegung durch einen Apostel empfing, starb.
Das Ende der dritten Phase wurde in der Heiligen Schrift vorhergesagt. Paulus erklärte den Korinthern im Zusammenhang mit der Diskussion über die Geistesgaben, dass sie vergehen werden.
1. Korinther 13,8-10: „Die Liebe kommt niemals zu Fall: Prophetische Gaben - sie werden zunichte werden; Zungenreden - sie werden aufhören; Erkenntnis - sie wird zunichte werden. Denn Stückwerk ist unser Erkennen und Stückwerk unser prophetisches Reden. Wenn aber das Vollkommene kommt, dann wird zunichte werden, was Stückwerk ist.”
Der vorübergehende Charakter dieser Geistesgaben ist klar ersichtlich. Prophetie und Erkenntnis werden vergehen. Die Sprachenrede begleitete einen Menschen jeweils nur für eine bestimmte Zeit (nicht fürs ganze Leben), dann hörte sie von selbst auf. Paulus schrieb auch an die Epheser über die Vergänglichkeit der Geistesgaben.
Epheser 4,11-13: „Und er selbst hat die einen als Apostel eingesetzt, die anderen als Propheten, andere als Verkündiger des Evangeliums und wieder andere als Hirten und Lehrer, um die Heiligen auszurüsten für die Ausübung ihres Dienstes. So wird der Leib Christi aufgebaut, bis wir alle zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangen und zum vollkommenen Menschen heranwachsen und die volle Reife in der Fülle Christi erlangen.”
Diese Gaben können übernatürlich gewesen sein, weil sie für die Leitung der ersten Gemeinden notwendig waren. Vielleicht übermittelte sie der Apostel Paulus bestimmten Gliedern, als er sich in der Stadt aufhielt (Apg 20,31). Sie dienten der Einheit und Auferbauung des geistlichen Leibes. Wie zitiert war die Dauer dieser Gaben nur für eine beschränkte Zeit gedacht (1Kor 13,8). Sie waren solange wirksam „bis“ die Gläubigen zur Einheit des Glaubens gelangten. Sie waren solange wirksam „bis“ die Gläubigen zur Erkenntnis des Sohnes Gottes gelangten. Sie waren solange wirksam „bis“ die Gläubigen zur vollen Reife der Fülle Christi heranwuchsen, d. h. geistlich erwachsen wurden.
Einzelne Stellen in den Briefen betrachtet
Römer 12,6-8: „Wir haben verschiedene Gaben entsprechend der Gnade, die uns gegeben wurde: sei es die Gabe, prophetisch zu reden in Ausrichtung auf den Glauben, sei es die Gabe zu dienen, wo es um Dienst geht, zu lehren, wo es um Lehre geht, Trost zu spenden, wo es um Trost geht. Wer andern etwas gibt, tue es ohne Hintergedanken; wer eine Leitungsaufgabe versieht, tue es mit Hingabe; wer Barmherzigkeit übt, tue es heiter und fröhlich.”
Diese Liste mit sieben Gnadengaben (χάρισμα) sind nicht übernatürlich. Zu diesem Zeitpunkt kannten die Gläubigen in Rom keine übernatürlichen Geistesgaben. Der Apostel Paulus hatte aber vor nach Rom zu reisen, um einigen die Hände aufzulegen und sie mit Geistesgaben zu beschenken (Röm 1,11).
Römer 15,18-19: „Denn ich würde es nicht wagen, von Dingen zu reden, die Christus nicht durch mich gewirkt hat, um die Völker zum Gehorsam zu bringen, durch Wort und Tat, durch die Macht von Zeichen und Wundern, in der Kraft des Geistes.”
Paulus fand es nicht nötig, über einzelne Zeichen und Wunder genauer zu berichten, da sie allen bekannt waren. Die Gläubigen hatten bereits von den machtvollen Zeichen und Wundern gehört und waren sich der grossen Bedeutung bewusst.
Galater 1,8-9: „Jedoch, selbst wenn wir oder ein Engel vom Himmel euch etwas als Evangelium verkündigten, das dem widerspricht, was wir euch als Evangelium verkündigt haben: Verflucht sei er! Wie wir schon früher gesagt haben, so sage ich jetzt aufs Neue: Wer euch etwas als Evangelium verkündigt, das dem, was ihr empfangen habt, widerspricht, sei verflucht!”
Paulus spricht hier vom Wunder einer Engelserscheinung. Selbst wenn ein Engel etwas anderes verkündigen würde, als das ursprüngliche Evangelium beinhaltet, so sei er verflucht. Es geht also um einen unveränderbaren Massstab (Gal 6,16).
Galater 3,5: „Der euch nun den Geist gibt und Wundertaten unter euch wirkt - geschieht dies, weil ihr tut, was im Gesetz geschrieben steht, oder aus dem Glauben, der hört?”
Paulus argumentiert, dass die Wunder nicht für das Gesetz bewirkt werden, sondern für den Glauben an das Evangelium (Gal 2,16, 3,2). Die Wunder zeugten von der göttlichen Wahrheit des Evangeliums (Mt 11,4, Mk 16,20; Joh 20,30; Apg 2,22, 8,6; 2Kor 12,12; Hebr 2,4). Als der Apostel Paulus bei ihnen war, vollbrachte er einige Wundertaten (Apg 14,3; 15,12). Diese Wundertaten konnte nur jemand vollbringen, dem die Apostel die Hände auflegten (Apg 8,17-18; 2Tim 1,6). Paulus empfing die Geistesgaben direkt von Jesus (Gal 1,15-20) und spricht hier mit grosser Wahrscheinlichkeit von sich, der Wundertaten unter den Galatern bewirkte.
2. Korinther 12,2: „Ich weiss von einem Menschen in Christus, der wurde vor vierzehn Jahren - ob im Leib, weiss ich nicht, ob ausserhalb des Leibes, weiss ich nicht, Gott weiss es - bis in den dritten Himmel entrückt.”
Auch hier spricht Paulus vermutlich von sich selbst. Das war damals eine typische Schreibweise eines Autors, der von sich selbst sprach (siehe auch Joh 21,20-25). Gott allein weiss, was der Sinn und Zweck dieses Wunders war und deshalb gibt auch Paulus keine weiteren Erklärungen.
Hebräer 2,4: Dieses Heil wurde „zugleich von Gott bestätigt durch Zeichen und Wunder und vielerlei machtvolle Taten und Gaben, die der heilige Geist nach seinem Willen austeilt.”
Besonders die Israeliten erfuhren grosse Zeichen und Wunder Gottes. Aber auch die Gläubigen im ersten Jahrhundert erfuhren, wie Jesus und die Apostel das Evangelium mit grossen Zeichen und Wundern bekräftigten (V. 3). Alle diese Zeichen und Wunder erfüllten ihren Zweck und verschwanden um die Jahrhundertwende. Paulus erklärt, was einen Apostel ausmacht, das sind Zeichen und Wunder und machtvolle Taten (2Kor 12,12).
1. Petrus 4,10: „Dient einander - ein jeder mit der Gabe, die er empfangen hat - als gute Haushalter der vielfältigen Gnade Gottes.”
Das griechische Wort für Gabe ist Charisma (χάρισμα). Diese Gabe hat jeder Gläubige von Gott empfangen und wird hier nicht auf übernatürliche Gnadengaben bezogen.