Krankmachender Glaube-01: Wenn der Glaube krank macht

Wenn der Glaube krank macht

 

 

 Einleitung

Es ist eine Tatsache, dass ein falsch verstandener und falsch gelebter Glaube uns Menschen krank machen kann. Folgende Faktoren tragen dazu wesentlich bei:

1.  Eine falsch verstandene Frömmigkeit,

2.  eine problematische religiöse Erziehung,

3.  falsche Vorstellungen von Gott, von Nachfolge und Heiligung,

4.  fanatische Glaubensüberzeugungen und

5.  sexfeindliche Erziehungspraktiken.

Es ist erschreckend, dass ein beachtlich grosser Anteil von sogenannt „gläubigen“ Menschen an seelischen Störungen leiden und in therapeutischer Behandlung stehen.

Woran liegt das? Welche Gefahren lauern in unserem Glaubensleben? Wie können wir Christen die Widersprüchlichkeiten und die falschen Mechanismen an uns erkennen, mit denen wir uns selbst etwas vormachen? In der Bibel lesen wir: „Abgründig ist das Herz über alles, und heillos ist es, wer kann es ergründen?“ (Jer 17,9). Schon vor der Sintflut sah Gott, „dass der Menschen Bosheit gross war auf Erden, und dass alles Dichten und Trachten ihres Herzens die ganze Zeit nur böse war“ (Gen 6,5).

 

 I.   Wie soll unser abgründiges Herz gepflegt werden, damit es nicht noch kränker - sondern ganz gesund wird?

Seit ich mich für den Glauben interessiere, versuche ich für die folgende Frage eine Antwort zu finden: Wie werde ich frei von der Knechtschaft der Sünde? Christus hat uns durch sein Opfer am Kreuz befreit von aller Schuld. Durch die Taufe sind wir mit dem Blut Christi in Berührung gekommen und begnadigt worden. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass wir nach wie vor unvollkommene Menschen sind und täglich sündigen:

- Wir sündigen, wenn wir etwas tun, was Gottes Wort ausdrücklich verbietet (Gal 5,19-21).

- Wir sündigen aber nicht nur, wenn wir das Böse tun, sondern auch, wenn wir Gutes unterlassen, das wir hätten tun können (Jak 4,17).

- Wir sündigen auch durch eine falsche innere Einstellung (Mk 7,21-23).

Sünde ist allgengewärtig, so dass wir täglich mit ihr konfrontiert werden. Sünde bedeutet am Ziel vorbeischiessen (Pfeil, der nicht ins Schwarze trifft). Durch die Sünde will uns Satan zurück in die Knechtschaft versetzen. Denn die Wirkung und die Folgen der Sünde sind unterschiedlich gross und können durch nichts in der Welt aufgehoben werden (z. B. Mord, Unzucht). Um von der Sünde mit ihren teils schwerwiegenden Konsequenzen frei zu werden, müssen wir sie zuerst kennen und aufdecken, und dann loslassen wollen. Je mehr wir von Sünde frei werden, desto glücklicher wird unser Leben.

Hier beginnt das grosse Dilemma des christlichen Glaubens: einerseits will jeder von uns am liebsten nichts mehr mit der Sünde zu tun haben, andererseits geben wir oft unserem Fleisch nach und sündigen, indem wir nach den falsch gelernten Verhaltensmustern und alten Gewohnheiten weiterleben: Galater 5,17 (Wir stehen mitten in einem geistigen Krieg).

Paulus ermutigt uns im 2. Korinther 5,17 und erklärt: „Ist somit jemand in Christus, so ist er ein neues Geschöpf. Das Alte ist vergangen, siehe, es ist neu geworden.“ Wie neu sind wir durch die Wiedergeburt in Christus geworden? Empfinden wir den Glauben als Befreiung und Befriedigung, als Streicheleinheiten für unsere Seelen, als Stärkung oder als Zwang?

Sind wir überzeugt, dass die biblischen Prinzipien unsere kranken Seelen gesund machen können, oder empfinden wir sie als Schmerz und Anklage? Wie sehr wollen wir uns umwandeln lassen zu neuen Menschen mit einem neuen Geist und einem neuen Leben? Jesus kam, um uns von unseren Lasten und unserem Fehlverhalten zu befreien. Er ruft uns zu: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, so will ich euch Ruhe geben [für eure Seelen]“ (Mt 11,28). Er versprach: „die Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8,32). Frei von was? = frei von der Knechtschaft der Sünde! Wie frei sind wir denn geworden? Sind wir wirklich daran interessiert frei zu werden von der Knechtschaft der Sünde? Oder ist uns das christliche Leben mit all den Moralpredigten zum Krampf geworden?

Es besteht kein Zweifel, dass viele ein verkrampftes Christentum leben und sich mit psychischen und physischen Störungen herumschlagen. Sie wirken verklemmt und unfrei, unecht und unehrlich. Sie zeigen ein fröhlich aufbereitetes Äusseres, aber es stimmt mit dem Inneren, mit dem wirklichen Leben, nicht überein. Wie kommen solche Glaubensverzerrungen zustande? Wie sehen solche Glaubenskrämpfe konkret aus?

In der Psychologie spricht man von „ekklesiogene“ Neurosen. Was sind das? Das Wort Ekklesia kennen wir: Ekklesia = Kirche oder Gemeinde. Es handelt sich dabei um seelische Störungen (Neurosen), die zum grossen Teil durch die Kirche oder Gemeinde verursacht wurden. Was sind denn Neurosen? Neurosen sind nicht Krankheiten im naturwissenschaftlichen Sinn, sondern Verhaltensweisen, die sich von der Seele aus entwickeln und auf den ganzen Körper übergreifen können. Es sind Verarbeitungsprozesse einer kranken Seele. Z. B. wenn jemand in bestimmten Zeitabständen sich die Hände waschen muss.

Der Neurotiker hat etwas oder mehrere Dinge im Leben falsch verstanden und reagiert dann übertrieben. Er entzieht sich den Spielregeln der Allgemeinheit und folgt seiner privaten Logik. Im erwähnten Beispiel handelt es sich um einen Menschen, mit einem übertriebenen Reinheitssinn. Es könnte darin liegen, dass ein Elternteil im übertriebenen Mass auf Sauberkeit und Hygiene geachtet hat, so dass der Betreffende überall Schmutz und Dreck sieht und so sich daraus diese Waschzwänge entwickelten. Der Ursprung könnte aber auch in der Erziehung liegen, dass gläubige Eltern dieser Person übertrieben klar machen wollten, dass sie sündhaft und unrein sei. Weil sie sich einer Hinwendung zu Gott widersetzt, beginnt sie zwanghafte äussere Handlungen, in der Hoffnung, selbst dieses Problem lösen zu können.

Hiermit möchte ich auf ein paar Fallen im christlichen Glauben aufmerksam machen:

 

 II.   Falle Nr. 1: Die Erwartungen zu hoch stecken

Von andern zu viel erwarten:
Wenn ein Mensch zum Glauben kommt, dann stellt er oft zu hohe Erwartungen an die Gemeinde und an seine geistlichen Geschwister. Es ist klar, dass wenn man das erste Mal in eine christliche Gemeinde kommt, alles nach dem äusseren beurteilt wird. Alles scheint zu Beginn heilig und vollkommen zu sein, bis sich mit der Zeit Mängel und Schwächen bemerkbar machen. Aus der Bibel erfahren wir, dass es in den ersten Gemeinden etliche Mängel, ja sogar schwerwiegende Probleme gab: Paulus musste z. B. die Korinther zurechtweisen, die ja viele Geistesgaben besassen, keine Gemeinschaft mit unbussfertigen Unzüchtigen zu pflegen. Da gab es in ihrer Mitte einen jungen Mann, der mit seiner Mutter eine sexuelle Beziehung pflegte und offenbar seine Sünde nicht einsah (1 Kor 5). In Korinth gab es auch Unordnung in der Gemeindeversammlung, weil alle durcheinander redeten und keiner zuhörte (1 Kor 14). Es gab Irrlehrer in der Gemeinde zu Korinth, die Paulus als falsche Apostel und betrügerische Arbeiter bezeichnete (2 Kor 11). Wir lesen von Paulus, dass er sogar den Apostel Petrus zurechtweisen musste, weil dieser lieber mit den Juden verkehrte und damit durch sein Verhalten den bekehrten Heidenchristen in Antiochien die Beschneidung aufzwang (Gal 2,14). Wenn wir die sieben Gemeinden in der Offenbarung studieren, dann erkennen wir etliche Mängel und Schwächen, aber auch Stärken.

Überall wo Menschen zusammenkommen entstehen Probleme. Auch und gerade unter Gläubigen ist das der Fall. Deshalb ist es wichtig, dass wir die Latte unserer Erwartungen in der Gemeinde nicht zu hoch setzen! Philipper 2,1-4. Der Blick soll auf Einigkeit gerichtet sein, auf inniges Mitgefühl und Erbarmen und nicht auf die Differenzen. Wir sollen einander nicht anklagen, sondern dienen und stärken! Wenn wir Fehler und Schwächen in andern erkennen, dann sollen wir einander ertragen in Liebe und in Demut. Wir helfen einander nicht auf dem Weg zur Besserung, wenn wir einander ständig kritisieren, anklagen und verändern wollen.

Von sich selbst zu viel erwarten:
Wir können aber auch von uns selbst zu viel erwarten.
„Nur Pilze wachsen über Nacht!“ Alles Kostbare und Langandauernde braucht viel Zeit und Pflege, besonders die persönliche Veränderung und die geistige Entwicklung. Es ist nichts neues, dass Neubekehrte durch ihre grosse Veränderungskraft motiviert sind alles besser zu machen als die ältere Generation. Dabei wirken sie oft anklagend und möchten alles verändern. Sie verstehen aber nicht, dass diese Kraft und Energie, die sie am Anfang ihres Glaubens an den Tag legen, grossenteils noch aus sich selbst heraus kommt. Denn jeder macht am Anfang den Fehler, dass er mit eigener Kraft und aus eigener Initiative sein Leben zum Guten verändern will. Es dauert oft nur ein paar Monate, bis der erste Motivationsschub verpufft ist.

Der Mensch in Christus muss lernen auf Gott zu vertrauen und nicht aus eigener Kraft und aus eigenem Willen gute Glaubenswerke zu vollbringen. Dieser Prozess des Übergebens fordert viel Übung, Geduld und Liebe zum Herrn und zu sich selbst. Es gilt zuerst zu verstehen und zu unterscheiden, was aus eigener und was aus Gottes Kraft kommt. Darum, erwarte nicht zu viel und sei nicht enttäuscht, wenn nach kurzer Zeit vieles in deinem Leben wieder zum alten Verhaltensmuster zurückkehrt! Versuche dich so zu lieben und anzunehmen, wie Gott dies mit dir tut und erzwinge nichts, sondern lass deiner Entwicklung Zeit! Denn du musstest rückfällig werden, damit du anfängst nicht aus eigener Kraft, sondern aus der Kraft Gottes zu schöpfen: Sprüche 3,5. Dem Herrn zu vertrauen ist nicht so einfach wie es klingt. Durch die göttliche Weisheit lernen wir Schritt für Schritt die alten Gewohnheiten, die fleischlichen Verhaltensmuster abzulegen.

 

 III. Falle Nr. 2: Der Perfektionismus

Der Perfektionismus gehört zu den meist aufgestellten Fallen Satans, in die wir Christen leicht hineintreten: Matthäus 5,48 (missbrauchte Bibelstelle). Der englische Theologe Oswald Chambers sagte: „Vollkommenheit der Christen beinhaltet, sich immer vollkommener auf Jesus zu verlassen.“ Nicht die eigene Leistung ist gefragt, sondern das Vertrauen auf den Herrn!

Perfektionismus ist eine schlimme menschliche und geistige Fehlhaltung. Fehlerlosigkeit ist ein Fehler. Fehlerlosigkeit ist das krankhaft ehrgeizige Bestreben, besser als die anderen sein zu müssen. Die Anstrengungen sind übermenschlich, ungesund und machen krank. Der Perfektionist ist nur an sich interessiert, an seinem Prestige und an seiner Überlegenheit. Sein Gemeinschaftsgefühl ist begrenzt, weil er überpedantisch ist. Er ist auch ungeduldig und stressblind, d. h. keine Anstrengung ist gut genug.

Wie kommt es zum perfektionistischen Denken? Der Mensch, der dazu neigt hat ein völlig unbefriedigendes Selbstwertgefühl als Kind gehabt. Er wertet sich ab, er traut sich nichts zu, und daraus entwickelt sich ein unstillbares Bedürfnis, durch übersteigerte Ansprüche, drch überhöhte Ziele, durch Überlegenheit über alle, durch einen Perfektionismus im Leistungsbereich sich einen unangreifbaren Selbstwert zu verschaffen.

Die Tragik ist, dass der Perfektionist ständig unzufrieden, unglücklich und ängstlich ist. Denn nur, wenn es ihm gelingt, fehlerlos und perfekt, überlegen und unangreifbar zu sein, geht es ihm gut. Da das kein Mensch schaffen kann und im Sinne der biblischen Botschaft dieses Verhalten der Werkgerechtigkeit nahekommt, zahlt er einen zu hohen Preis für sein krankhaftes und ungeistliches Verhalten. Er überfordert sich und setzt sich selbst unter negativen Stress. Hinzu kommt, dass er sich seelisch und körperlich krank macht. Der Perfektionist schaut auf die Sünde und nicht auf Christus, auf die Fehler und nicht auf das Gelingen, auf sich selbst und nicht auf die Vergebung.

Die entscheidende Frage ist bei Gott nicht, wie nah wir an die Vollkommenheit heran kommen in unserem Leben, sondern, wie gehen wir mit unseren Misserfolgen, Grenzen und Fehlern erfolgreich um! Mit Fehlern und Grenzen produktiv umgehen zu können ist eine Kunst - und zwar eine der anspruchsvollsten. Wer diese Kunst nicht lernen will, macht sich unnötig sein Leben schwer und sein Dasein wird zur Hölle. Nicht die Perfektionisten oder die Willensstarken sind es, denen es gelingt, ihr Leben zum Blühen zu bringen. Es sind die Lernfähigen, die sich von ihren Fehlern und Grenzen herausfordern lassen. Nicht die scheinbar Fehlerlosen, sondern diejenigen, die ihre Schwächen erkennen und daran arbeiten, sind die Glücklichen. Jesus erklärt (Mt 9,12): „Nicht die Starken bedürfen des Arztes, sondern die Kranken.“ Denen, die meinen perfekt und stark zu sein kann Christus nicht helfen. Sondern die, die ihre Schwächen einsehen, bekennen und sich verändern lassen, zählen in Gottes Augen zu den Grossen. Die, die sich selbst vergeben können, weil sie daran glauben, dass Gott ihnen vergeben hat durch Jesus Christus. Sie zählen zu den Siegern, die das Himmelreich ererben.

1. Johannes 1,8 – 2,2: Es gibt drei schwerwiegende Denkfehler, mit denen wir uns selbst unglücklich machen: Durch Fehlerlosigkeit werde ich vollkommen. Nein! Durch Fehlerlosigkeit bereite ich mir die Hölle. Fehlerlosigkeit ist ein Fehler. Wer ohne Christus sündlos leben will, muss die Erde verlassen. Unser Vollkommenheitsstreben ist Werkgerechtigkeit, eine ungeistliche Selbstrechtfertigung. Ein schrecklicher Fehler stempelt mich zum Versager. Ein Fehler kann schlimm sein, aber er ist nicht schrecklich. Und schon gar nicht werde ich bei Gott dadurch zum Versager gestempelt. Im Gegenteil, wer behauptet keine Fehler zu machen ist in Gottes Augen ein Lügner. Christus ist für Menschen mit Fehlern gestorben, für Sünder und Versager und nicht für Gerechte und Perfektionisten. Weil ich unvollkommen bin, bin ich wertlos. Der Teufel hat an Christen, die sich zu wertlosen Menschen abstempeln, seine grosse Freude. Denn wer sich wertlos fühlt, der ist für Christus unbrauchbar. Die Wahrheit aber ist: wir sind wertvoll, weil Gott uns liebt, wir sind wertvoll, weil Gott in Christus für uns gestorben ist, wir sind wertvoll, weil uns nichts von der Liebe Gottes mehr trennen kann: Römer 8,31.38-39.

 

 Schlussfolgerungen

Es gibt noch viele andere Fallen, die Satan wie Mienen für uns in den Weg gelegt hat, damit wir auf sie treten und so in unserem Glauben zerschmettert werden. Darum lasst uns wachsam sein, damit wir nicht uns selbst etwas vormachen und sich daraus „ekklesiogene“ Neurosen entwickeln. Heuchelei und ein verkrampftes Christentum haben der Glaubwürdigkeit der Bibel an den lebendigen Gott und den Erlöser, Jesus Christus, am meisten geschadet.

Lasst uns echt sein und durch Gottes Wort unser abgründiges Herz aufdecken lassen, zu unseren Schwächen stehen, damit wir Heilung finden und der ungläubigen Welt ein Zeugnis sein dürfen!