Begriffe2-00a: Einleitung A – Der Kampf in unserer Seele

Fleisch oder Geist

William Barclay

 

Philosophie und Theologie sind eine Wiedergabe und Erklärung menschlicher Erfahrung; und diese Erfahrung weiss um den Kampf in unserer Seele. Der Apostel Paulus verstand darunter die Auseinandersetzung zweier sich streitender Mächte, die er Fleisch und Geist nannte. „Denn das Fleisch begehrt auf gegen den Geist“, sagt er, „und der Geist gegen das Fleisch; die sind gegeneinander, so dass ihr nicht tut, was ihr wollt“ (Gal 5,17). „Denn ich habe Lust an Gottes Gesetz nach dem inwendigen Menschen. Ich sehe aber ein anderes Gesetz in meinen Gliedern, das widerstreitet dem Gesetz in meinem Gemüt“ (Röm 7,22-23). Darin sah der Apostel Paulus das Dilemma der menschlichen Situation.

Paulus war nicht der erste, der das Leben unter dem Gesichtspunkt eines inneren Konfliktes sah. Schon die Juden hatten ihre Lehre über yetser hatobh und yetser hara, über die gute Natur und die böse Natur. Sie sahen den Menschen als ein Wesen mit zwei Naturen, das deshalb stets gleichzeitig nach zwei Richtungen gezogen wurde. Es ist so, als ob zwei Engel ihm zur Seite stünden, ein guter Engel, der ihm aufwärts hilft und ein böser, der ihn zum Niedrigen verführt. Das Böse gehört so grundsätzlich zur menschlichen Natur, dass die Rabbiner sogar glaubten, Gott habe es geschaffen. Sie zitierten: „Das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend an“ (1. Mos. 8,21). Rabbi Abahu interpretiert das Bedauern Gottes (1. Mos. 6,6) so, dass Gott in Wirklichkeit bereute, „den schlechten Sauerteig in den guten Teig getan zu haben.“ Der Trieb zum Bösen wartete bereits auf den Menschen, als er aus dem Mutterleib kam, „so lauert die Sünde vor der Tür“ (1. Mos. 4,7), also dem Mutterleib (Sahedrin 91b). „Sein ganzes Leben hindurch verbleibt die Sünde der unerbittliche Feind des Menschen“ (Tanhuma, Beshallah 3). Der Kampf in der Seele war ein Teil jüdischen Glaubens.

Dieser Bestandteil des jüdischen Glaubens findet sich auch im griechischen Denken. In dem Mythos „Phaidon“ (246b) stellt Platon die Seele als einen Wagenlenker dar, der in doppelter Rüstung zwei Pferde lenken will, von denen das eine „edel und von edler Herkunft“ und das andere „das Gegenteil in Abkunft und Charakter“ ist. Das edle Pferd ist die Vernunft, das ungezähmte die Leidenschaft, und dieses bösartige Pferd „drückt den Wagen abwärts“ und zieht ihn zur Erde herunter. Auch hier ist wiederum das gleiche Bild von Kampf und Spannung, stets mit der schrecklichen Möglichkeit des Scheiterns als Konsequenz.

Dieser innere Konflikt läuft wie ein Refrain durch die griechische und römische Literatur. Ovid (Metamorphose 7.20) stösst den berühmt gewordenen Seufzer der Enttäuschung aus: „Video meliora, proboque; Deteriora sequor.“ „Ich sehe das Bessere, und ich heisse es gut, aber ich folge dem Schlechten.“ Seneca sagt: „Menschen lieben und hassen ihre Laster gleichzeitig“ (Briefe 112.3). Nach Epiktet begann die Philosophie, als der Mensch seine Unfähigkeit und Schwachheit erkannte (Unterredungen 2.11.1).

Was ist nun der Grund für diesen Krieg in der Seele des Menschen? Worin liegt die Stärke der bösen Macht? Die einmütige Antwort der antiken Welt auf diese Frage ist, dass die böse und zerstörende Macht im Körper des Menschen wohne. Auch hier begegnen wir einer Wiedergabe menschlicher Erfahrung. Die Menschen wussten nur zu gut um die Vielzahl der Versuchungen, die ihnen ihr Körper bereitete, und sie wussten auch wie viel leichter es wäre, „gut“ zu sein, wenn sie geistige Geschöpfe ohne Leib wären.

Dieser Gedanke taucht im späteren Judaismus auf. „Ein sterblicher Leib beschwert die Seele, und diese irdische Hütte ist dem besonnenen Geist eine Last“ (Weisheit 9,15).

Das Böse des Leibes wurde eine dominierende Vorstellung im griechischen Denken. Soma sema - der Leib ist ein Grab, so tönt es aus den orphischen Reimen. Der Leib, sagt Philolaus, ist ein Gefängnis, in welchem die Seele festgehalten wird, um ihre Sünden zu büssen. Epiktet kann ausrufen, dass er sich schäme, einen Leib zu besitzen, dass er eine „arme, an einen Leichnam gefesselte Seele sei“ (Fragment 23). Seneca spricht von der „verabscheuungswürdigen Behausung seines Leibes“ und dem nutzlosen Fleisch, in dem die Seele gefangen ist (Briefe 92. 110).

Diese Einstellung dem Körper gegenüber findet sich besonders bei zwei der grössten griechischen Denker, Platon und Philon. In seinem „Phaidon“ erzählt Platon von Sokrates’ letzten Stunden; er zeigt, wie ersehnenswert der Tod ist. Der Philosoph kann nur durch den Tod, der die Menschen von ihrem Leib befreit, zur Erkenntnis, Wirklichkeit und Wahrheit gelangen. Das Studium der Philosophie ist nichts anderes, als ein Studium des Sterbens (Phaidon 64a). Mehr als jeder andere Mensch versucht der Philosoph, die Seele aus der engen Verbindung mit dem Leib zu lösen (64e). Nur dann, wenn die Seele den Leib verlässt und jede mögliche Verbindung und Berührung mit dem Leib meidet, wenn sie versucht, für sich allein zu sein, kann sie die Wirklichkeit erfassen, denn so lange wie sie mit dem Leib verbunden ist, wird sie ständig vom Leib betrogen (65b,c,d). Die Gemeinschaft mit dem Körper stört die Seele und hindert sie, Wahrheit und Weisheit zu erlangen. Die Seele wird durch den Leib befleckt. Wenn wir jemals etwas wissen wollen, müssen wir vom Leib befreit werden. Der Leib ist die Fessel der Seele. Der Philosoph ist dem Leib in jeder Hinsicht feind, und er ist immer bestrebt, diesem Miteinander, das er hasst, zu entrinnen (67a,c,e; 68a). Niemand kann die Weisheit und auch den Körper lieben (68c). Es ist also klar, dass ein Mensch sterben muss, um zu leben. In Platons Denken war der Leib das grösste Hindernis auf dem Weg zu Weisheit und Wahrheit.

Der zweite der grossen Denker, bei dem dieser Gedankengang sichtbar wird, ist Philon, ein Zeitgenosse von Paulus. Er war die Brücke zwischen der jüdischen und der griechischen Gedankenwelt. Philon schreibt: „Der Hauptgrund der Unwissenheit ist das Fleisch und die Verbindung mit dem Fleisch. Nichts hindert das Wachstum der Seele so sehr wie das Fleisch, weil es eine Art Nährboden für Unwissenheit und Torheit ist, auf dem sich alles Böse aufbaut... Seelen, die die Last des Fleisches tragen, werden beschwert und bedrängt, bis sie nicht mehr zu den Himmeln aufschauen können und ihre Häupter gewaltsam herabgezogen werden; sie sind an die Erde angepflockt wie Vieh“ (De Gigantibus 7). „Es ist nicht leicht, an Gott zu glauben, wegen des sterblichen Gefährten (das ist das Fleisch), an den wir gebunden sind (Q.R.D.H. 18). Der Körper ist ein Gefängnis und ein Leichnam (De Migratione 2; De Agricultura 5). Hier finden wir wieder die gleiche Haltung, noch lebendiger und schärfer dargestellt.

Sogar bei einem Dichter wie Vergil taucht dieser Gedanke auf. Bei ihm gibt es ein göttliches Lebensprinzip, das alle lebendigen Dinge nährt, aber es kann durch verderbliche Körper gehemmt, durch irdische und sterbliche Glieder abgestumpft werden, ... eingeschlossen in Dunkelheit und einem düsteren Gefängnis (Aeneis 6.730-734).

Die Gedankenwelt der Antike war durchdrungen von einer Art Schrecken und Ekel vor dem Körper.

Wenden wir uns nun dem Apostel Paulus zu. Nach dem Alten Testament und den Evangelien besteht der Mensch aus einem äusseren, sichtbaren Teil, dem Körper und einem inneren, unsichtbaren Teil, der Seele. Der Leib wird schliesslich sterben, aber die Seele lebt weiter. Bei Paulus ist die Einteilung des Menschen komplizierter. Für ihn besteht der Mensch aus Körper - soma, Seele - psyche, und Geist - pneuma (1 Thess 5,23).

Der Körper ist der äussere und stoffliche Teil des Menschen; auf seine Bedeutung im Denken des Apostels Paulus wollen wir später eingehen. Die Seele, psyche, ist das Prinzip des physischen Lebens. Genau genommen hat also jede lebendige Kreatur psyche. Ein Tier besitzt psyche; man kann sogar sagen, dass auch Pflanzen, also alle wachsenden Dinge psyche haben; alles, was lebt, hat psyche. Psyche ist das, was dem Menschen mit der tierischen Schöpfung gemeinsam ist. Aus diesem Grunde kann Paulus auch das Wort auf zweierlei Weise gebrauchen.

1. Er verwendet es in der Bedeutung einer lebenden Person. „Trübsal und Angst über alle Seelen - psyche der Menschen, die da Böses tun“ (Röm 2,9). „Jedermann - psyche sei untertan der Obrigkeit“ (Röm 13,1). Psyche wird hier im Sinne von lebenden Personen gebraucht, so wie wir zum Beispiel auch sagen, dass ein Schiff mit 300 Seelen an Bord gesunken ist.

2. Manchmal gebraucht Paulus psyche auch einfach im Sinne von Leben. Er spricht von Priska und Aquila, dass sie sogar bereit waren, ihren Hals für sein Leben - psyche hinzuhalten (Röm 16,4). Er spricht von Epaphroditus, der um des Werkes Christi willen sein Leben - psyche aufs Spiel setzte, um ihm anstelle der Philipper zu dienen (Phil 2,30). Die grundlegende Verbindung zwischen psyche und physischem Leben im Denken des Apostels Paulus ist ganz klar.

Die Anwendung des verwandten Eigenschaftswortes psychikos unterstreicht das. Paulus spricht von einem Menschen, der psychikos ist als von einem, der unfähig ist, den Geist Gottes wahrzunehmen (1 Kor 2,14). Sowohl in der Luther- als auch in der Zürcher Übersetzung wird diese Stelle mit „natürlichem Menschen“ wiedergegeben. Der Mensch, der psychikos ist, ist einer, der ausschliesslich auf einer natürlichen Stufe lebt. Seine Lebensgrundlagen sind der Selbsterhaltungstrieb, die Ichbezogenheit und der Erwerbstrieb, die auch charakteristische Merkmale der Tiere sind.

Bei den Paulusbriefen ist es manchmal schwer festzustellen, wann pneuma Geist sich auf den Geist Gottes und wann auf den Geist des Menschen bezieht. Soviel können wir jedoch erkennen: Der Geist ist der herrschende Teil des Menschen. Es ist der Geist, der unsere Gedanken und Gefühle, die geistigen Tätigkeiten und die Leidenschaften beherrscht. Es ist der Besitz dieses Geistes, der den Menschen vom Tier unterscheidet. Die psyche, das Prinzip des Lebens hat der Mensch mit dem Tier gemeinsam, aber nur der Mensch besitzt Geist - pneuma, denn gerade das ist es, was ihn zum Menschen erhebt. Weiterhin ist pneuma das Verbindende zwischen Gott und dem Menschen. Durch den Geist kann Gott zu dem Menschen sprechen, und der Mensch kann Gemeinschaft und Verbindung mit Gott haben. Pneuma ist unzweideutig der einzige Teil des Menschen, der mit Gott verwandt ist.

Manche Ausleger glauben aufgrund der Anwendungsweise dieses Wortes pneuma bei Paulus, dass pneuma - Geist nur ein Teil des Menschen ist, nachdem er Christ geworden ist. Der Apostel spricht wiederholt davon, dass Gott seinen Geist oder den Geist seines Sohnes in unsere Herzen gibt, denn gerade deshalb können wir ihn ja Vater nennen im eigentlichen und tiefsten Sinne des Begriffs „Vater“ (GaI 4,6). Der in uns wohnende Geist macht unsere sterblichen Leiber lebendig (Röm 8,11). Unsere Leiber sind Tempel des heiligen Geistes geworden (1 Kor 6,19). Gott hat uns den Geist als Unterpfand in unsere Herzen gegeben (2 Kor 1,22). Wenn das wirklich so ist, dann ist der Christ ein Mensch, in den die Gegenwart und die Macht Gottes eingezogen sind, was bei einem anderen Menschen nicht der Fall sein kann. Es würde dann also stimmen, wenn man sagt, dass der Geist eines Christen nichts anderes ist als der heilige Geist selbst, der nun im Menschen wohnt und seinem Leben einen Frieden, eine Glückseligkeit und Kraft verleiht, wie sie ein Nichtchrist niemals besitzen kann.

Paulus hat eine merkwürdige Art, wie er zu seinen Freunden von „ihrem Geist“ spricht; besonders in seinen abschliessenden Segenswünschen kommt diese Art zum Ausdruck. „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit eurem Geist“ (GaI 6,18; Phil 4,23; Phlm 25). „Euer Geist“ ist das, was wir die christliche Persönlichkeit der Freunde des Apostels nennen könnten. Er schreibt ihnen und segnet sie, nicht nur als Menschen mit psyche, mit physischem Leben, sondern als Menschen mit pneuma, mit Geist, als Menschen, die nicht nur lebendig sind, sondern leben, weil sie Christen sind.

Paulus benutzt ständig zwei Wörter in Verbindung mit Geist. Das erste ist das Wort arrabon (2 Kor 1,22; 5,5; Eph 1,14), ein Begriff aus dem Wirtschaftsleben. Bei jeder geschäftlichen Transaktion, die Kauf und Verkauf in sich schloss und bei jedem legalen Vertrag über eine Dienstleistung für eine bestimmte Summe, wurde ein arrabon gezahlt. Arrabon war die Vorauszahlung eines Teiles des Preises oder Lohnes mit der Garantie, dass rechtzeitig die ganze Schuld bezahlt werden würde. Aus diesem Grunde übersetzt Luther arrabon mit dem Wort Unterpfand und die Zürcher Übersetzung mit Angeld. Die Gabe des heiligen Geistes ist daher ein Vorgeschmack der Fülle des Lebens, das ein Christ eines Tages in der Gegenwart Gottes haben wird, ein Vorgeschmack des Lebens Gottes selbst, eine Bürgschaft und eine Garantie, dass Gott seine Verheissung erfüllen und der Gläubige dann zu diesem Leben gelangen wird. Wer also im Geiste lebt, trägt das Leben Gottes in sich.

Das zweite ist das Wort sphragizein, das versiegeln bedeutet. Paulus spricht wiederholt vom Christen als von einem, der mit dem heiligen Geist oder durch den heiligen Geist versiegelt ist (2 Kor 1,22; Eph 1,13; 4,30). In der Geschäftswelt der Antike wurde das Siegel allgemein so verwendet wie heute ein eingetragenes Warenzeichen. Es war das Zeichen des Eigentumsrechtes oder der Nachweis, dass ein Gegenstand das Erzeugnis einer bestimmten Person oder Firma war. So wurden z. B. Weinkrüge mit dem Siegel des Besitzers des Weingartens, aus dem der Wein stammte, versiegelt. Aus dieser Anwendung des Wortes erkennen wir nun, dass der Besitz des heiligen Geistes die Garantie dafür ist, dass ein Mensch Gott gehört. Der heilige Geist ist also das „Warenzeichen“ Gottes auf einem Menschen. Wenn ein Mensch den heiligen Geist hat, so ist das Leben dieses Menschen das Werk Gottes. Bei Paulus ist der Geist der Teil des Menschen, der ihm von Gott eingepflanzt wurde; er ist die Gegenwart und die Kraft Gottes in ihm; durch ihn wohnt der auferstandene Christus in dem Menschen. Er ist jetzt die Verbindung zwischen Gott und dem Menschen, die ihm eine neue Gemeinschaft mit Gott schenkt und Kraft, die Glückseligkeit dieser Gemeinschaft zu bezeugen.

Das kommt besonders klar in Römer 8,1-17 zum Ausdruck, dem ausführlichsten Abschnitt des Apostels Paulus über den heiligen Geist und den Geist des Menschen. Hier legt der Apostel die Beziehung des Geistes Gottes zu dem Geist des Menschen dar. Ohne den heiligen Geist kann niemand das Eigentum Gottes sein (Vers 9). Es ist der Geist Gottes, der den Menschen zu einem Sohn Gottes macht (Vers 14) und ihm die Wirklichkeit dieser Sohnschaft bezeugt (Vers 16). Für den Christen muss der Geist das Gesetz seines Lebens sein, sein Führer, der Massstab, nach dem er alle Dinge ausrichtet, das Wesen, nach dessen Gaben er sich vor allem anderen sehnt (Verse 4, 5 und 9). Der Geist schenkt ihm bestimmte Gnadengaben. Er bringt ihm Befreiung vom Gesetz der Sünde und des Todes (Vers 2). Er bringt ihm Frieden (Vers 6). Der Geist verhilft ihm zum Sieg im Kampf der Seele. Der Geist schenkt ihm Leben. Durch das Leben Christi wird auch der sterbliche Leib des Menschen lebendig und tätig (Vers 11). Man kann den ungläubigen Menschen ohne Christus und ohne den heiligen Geist als existent ansehen, aber nicht als lebendig. Der Geist gibt dem Menschen Macht (Vers 13) und befähigt ihn, die Werke des Fleisches abzutöten. Der Friede, den der heilige Geist gibt, ist der Friede, der durch den Sieg kommt.